Don Carlo – Deutsche Oper Berlin, 7. November 2013
Eine gute Repertoireaufführung war das gestern Abend. Die zwei Jahre alte Inszenierung von Marco Arturo Marelli, der auch für Bühnenbild und Licht verantwortlich zeichnete, ist ein ideales Sängervehikel und dürfte Künstler auf der Durchreise nicht vor größere Probleme stellen. Drehbare Quader bilden gelegentlich ein Kreuz, das ist aber wohl auch das Einzige, was dem Italiener zu dieser Oper eingefallen ist. Personenführung findet nicht statt, man steht und geht herum, und am komischsten wird die Bewegungslosigkeit, wenn sich beim Autodafé die Quader zu einer Tribüne verschieben, Chor und Statisten auf diese klettern, um der Zeremonie zuzusehen – nur, um dann, kurz bevor es richtig losgeht, wieder runterzusteigen. Ein Ausbund an mehr oder weniger gepflegter Langeweile also, die man sich nur ansehen muss, wenn gerade interessante Sänger singen.
Und das war gestern Abend der Fall. Allen voran – wen wundert’s? – Anja Harteros, die sich in den Ensembleszenen noch eher schonte, aber ihre große Szene am Anfang des vierten Aktes zu einer Lehrstunde in Sachen Verdigesang machte. Das war unglaublich und hätte am besten nie aufhören sollen. Ihre durchaus majestätische Ausstrahlung tat da ihr Übriges zu einer idealen Verkörperung der Elisabetta. Violeta Urmana ließ sich als Eboli ansagen und präsentierte im Lied vom Schleier auch einige ziemlich üble Jauler, doch es gelang ihr, sich zu fangen und den Abend mit einer guten Leistung zu beenden. Dalibor Jenis sang den Posa, und das tat er hervorragend; wenn auch einige Stellen etwas sehr geknödelt waren, machte er diese (vor allem in seiner Sterbeszene) durch einmalig kultiviertes Singen mehr als wieder wett.
Den Filippo gab Hans-Peter König, der in Topform war, aber manchmal doch zu sehr König und zu wenig König ist. Nach seinem „Ella giammai m’amo“ erhielt er großen Jubel, auch wenn bereits vorher einige nicht richtig ausgesungene Phrasen (exemplarisch sei hier „la nell’avvello dell [ATMER] Escorial“ genannt) seine Leistung getrübt hatten. Solche Kleinigkeiten stören einfach und trüben den sonst sehr guten Gesamteindruck. Als Titelheld angesetzt war der junge Amerikaner Russell Thomas, und man merkte in jeder Sekunde, wie viel ihm dieses Engagement bedeutete. Er sang wunderbar auf Linie, einige Piani vielleicht manchmal etwas zu sehr gesäuselt, und gab sich redlich Mühe, den Qualen der Figur auch darstellerisch Ausdruck zu verleihen, was aber aufgrund seiner Statur (breit wie hoch) manchmal nicht gänzlich gelang (auch hier wieder: Das trübte keineswegs seine Gesamtleistung).
Im Graben waltete Donald Runnicles und manövrierte den Apparat routiniert, wenn auch oft zu laut durch die Partitur – besonderes Kompliment an das Solo-Cello in der leider fürchterlich zerhusteten Introduktion der Filippo-Arie. Nicht unerwähnt bleiben soll jedoch der Großinquisitor von Paata Burchuladze, dessen „Leistung“ einer kompletten Unverschämtheit gleichkam. Eine fahle, hohle und ausgesungene Stimme mit allenfalls zittriger Tiefe („Sire!“), gestützt von merkwürdiger Gesangstechnik (als hätte er ständig einen Kloß knapp über dem Kehlkopf kleben) trifft auf nicht vorhandene Diktion – Konsonanten werden so gut wie nie eingesetzt, und er mogelt sich mit der Mischung eines seltsamen Vokals, der entfernt an ein E erinnert, und einem Gewaber, das Esperanto rückwärts sein könnte, durch die Rolle – und eine kaum vorhandene Ausstrahlung. Sein Auftritt in dieser kleinen, aber so wichtigen Rolle trübte doch für jeweils einige Augenblicke den sonst so guten Abend.
Am Ende großer Jubel für eine keinesfalls epochale, aber dennoch (im absolut positiven Sinne) sehr routinierte und zufriedenstellende Aufführung. Es war schön!
Sebastian Unbescheid