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BERLIN/ Zoopalast: SILVESTERKONZERT der BERLINER PHILHARMONIKER – live im Kino;

BERLIN / ZOOPALAST – SILVESTERKONZERT der BERLINER PHILHARMONIKER – live im Kino; 31.12.2024

Brahms, Wagner, R. Strauss: Musikalische Himmelfahrt in unfasslicher Perfektion

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Copyright: Stephan Rabold

Das Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker im Kino ist eine gute Idee und erfreut sich großer Beliebtheit. Zumindest der Zoopalast, nach wie vor bedeutendes Berliner Uraufführungs-Filmtheater, war vollkommen ausverkauft.  Ich kann das gut verstehen. So bekommt man im Vergleich zum Publikum vor Ort in einem 30-minütigen Vorspann Interviews und allerlei hektisches Gewusel hinter den Kulissen mit. Wie auch letztes Jahr, bat die US-amerikanisch-britische Hornistin Sarah Willis einige der meistbeschäftigten Musiker des Abends zum Gespräch. So konnte man sich mit den kleinen Aperçus und Anmerkungen von Philipp Bohnen (2. Geige), Noah Bendix-Balgley, US-amerikanischer Geiger und 1. Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, Emmanuel Pahud und Jelka Weber (Flöten), Wenzel Fuchs, österreichischer Klarinettist und Solist bei den Berliner Philharmonikern, auf das Konzert einstellen.

Solo-Hornist Stefan Dohr hat Daniil Trifonov vor dem Konzert interviewt. Der eher scheue und stets ernsthaft auftretende Musiker erzählt, dass er das Brahms-Konzert, das er erst seit kurzem im Repertoire hat, zum ersten Mal mit den Berliner Philharmonikern unter der Stabführung von Kirill Petrenko aufführt. Trifonov bewundert in diesem hochromantischen Stück die Vielseitigkeit an Symphonischem, kammermusikalischer Introspektion und konzertanter Bravour. Den ersten Satz empfindet Trifonov als ausladenden Austausch zwischen Klavier und Orchester, in großer Wärme, wobei der Solist die Ideen vorstellt. Der zweite Satz strotzt vor Leidenschaft, während das Andante vor allem durch den Dialog von Cello und Klavier besticht, mit einem magischen Finale, tänzerisch, sehr leichtfüßig und zart. Als seine persönliche Lieblingsstelle bezeichnet Trifonov den Übergang von Andante zum Allegretto grazioso.

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Copyright: Stephan Rabold

Das Aufregendste im Kino ist, dass das Publikum auf großer Leinwand und mit tollem Sound etwa beim Zweiten Klavierkonzert von Johannes Brahms in B-Dur, Op. 83, so nah an der Tastatur und Daniil Trifonov dran ist, dass die expressive Körpersprache und jede kleinste mimische Bewegung, dazu die schier unglaubliche Fingerfertigkeit des im Gespräch gar nicht so nahbaren russisch-amerikanischen Pianistenstars mitverfolgt werden können. Und wirklich, dieses Zweite Klavierkonzert ist die Stunde des Daniil Trifonov. An Hochdramatik, dynamischen Extremen, russischer Tastenwucht und emotionalem Grenzgang war seine Interpretation nicht zu überbieten. Das Publikum wurde Zeuge eines umfassenden musikalischen Welttheaters. Besonders das Allegro appassionato bot Trifonov die Gelegenheit, alles zu geben, was dieser exzeptionelle Pianist an Virtuosität, Tempo und Dezidiertheit des Anschlags zu bieten hat.  

Bei der Wahl des Instruments kam es Trifonov auf den Glanz und die Aura des Klangs des Flügels, aber auch auf den optimalen Platz im Saal an. Im dritten Satz zeigte Trifonov auf der anderen Seite des Spektrums, auf schön unheimliche Art und Weise, wie sehr er bei gläserner Klarheit des Tons zu lyrischer Versenkung und leisesten Tönen befähigt ist, zumal er hier auch von Kirill Petrenko kongenial unterstützt wurde. Im Schlusssatz übernahmen Ausgelassenheit und Freude die Oberhand. Und wieder einmal bewahrheitete sich der Gedanke „per aspera ad astra“:  Es ist wahrlich kein bequemer Weg von der Erde zu den Sternen.

Dieser an Perfektion und Gestaltungstransparenz nicht zu überbietende Klangkörper der Berliner Philharmoniker stand bei Richard Wagners Ouvertüre zur Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ und Salomes Tanz aus Richard Strauss Oper „Salome“ ganz im Zentrum der Aufmerksamkeit. Seit den Tagen Herbert von Karajans habe ich diese beiden Stücke nicht aufregender, plastisch modellierter und in ihrer packenden Theatralik spannungsreicher und überzeugender gehört als an diesem Silvesterabend. Als Solisten boten vor allem Emmanuel Pahud (Flöte) und Albrecht Mayer (Oboe) überragende Leistungen.

Ein wie gutes Händchen Kirill Petrenko für die Musik von Richard Strauss hat, könnte nicht schwungvoller, eleganter, klanglich opulenter und „wienerischer“ erwiesen werden als bei der Zweiten Walzerfolge aus dem dritten Akt des „Rosenkavaliers“. Petrenko hatte schon zuvor an der Mailänder Scala mit einer Serie glanzvoller Rosenkavalier-Dirigaten im Oktober letzten Jahres für eine veritable Sensation gesorgt. Diesmal durfte er mit seinem Orchester eindrücklich vorführen, dass man auch in Berlin weiß, wie Walzer geht.

Als Zugabe wählte Kirill Petrenko die Polka schnell ‚Stürmisch in Lieb‘ und Tanz‘, Op. 393 aus der Operette „Das Spitzentuch der Königin“ von Johann Strauss II.

Was für ein überzeugendes Statement am 29., 30. und 31.12 2024: Petrenko strich in seiner sehr kurzen Ansprache am Beispiel des Silvesterkonzerts die künstlerische Kraft und Exzellenz Berlins hervor. Ein Appell, den wohl auch der im Saal anwesende Berliner Kultursenator Joe Chialo gehört haben wird. Denn es war wirklich ein Silvesterkonzert, das in seiner Dringlichkeit, seinem Klangluxus und seiner unerhörten Perfektion in die Musikgeschichte eingehen wird.

Fotos: Copyright Stephan Rabold

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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