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BERLIN/ Werkstatt des Schillertheaters: VANITAS von Salvatore Sciarrino – modernes Musiktheater

04.04.2013 | KRITIKEN, Oper

Modernes Musiktheater in Berlin: – „Vanitas“ von Salvatore Sciarrino (Vorstellung: 3. 4.2013)


Die britische Mezzosopranistin Rowan Hellier musste während des Singens auch über den Boden robben (Foto: Thomas Bartilla)

Auf der Werkstattbühne des Berliner Schillertheaters, das noch längere Zeit der Staatsoper Unter den Linden als Ausweichstätte dienen wird, wurde „Vanitas“ gezeigt, ein Frühwerk des italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino (geb. 1947 in Palermo), das 1981 in Mailand uraufgeführt wurde. Dieses vom Komponisten „Stillleben in einem Akt“ bezeichnete Musikstück für Stimme, Violoncello und Klavier stellt in fünf Sprachen eine Anthologie barocker Dichtung (darunter auch Christoffel von Grimmelshausen) dar, deren Texte Sciarrino selbst zusammenstellte.

Salvatore Sciarrino, der als Wunderkind galt, beschloss im Alter von zwölf Jahren, Komponist zu werden und gab bereits mit fünfzehn das erste Konzert mit seinen Werken. Bereits mit 19 schloss er sein Studium an der Universität in Palermo ab. In einem Artikel über den Komponisten, der im informativ gestalteten Programmheft abgedruckt ist, schreibt Lorina Mattern unter anderem: „Für ihn zählt nicht nur der Klang, sondern auch das, was nicht erklingt. … Er vergleicht Musik gerne mit Licht und Luft. So langsam und schleichend, wie sich eine Lichtstimmung verändert, entwickelt sich auch seine Musik. Es passiert nicht viel in seinen Stücken, aber was passiert, ist von größter Intensität.“

 Beate Baron, die für Regie, Ausstattung und Video der Aufführung zuständig war, versuchte das „Nicht viel“ in dem etwa einstündigen Werk „Vanitas“ (Vergänglichkeit) zu inszenieren. Sie stellte eine Sitzbank an die Seitenwand der Bühne, darüber hing ein Rahmen ohne Bild, zwei Leinwände für die Videosequenz waren an der Längswand angebracht. Eine Frau und ein Mann in eleganter Kleidung – sie in Abendrobe, er im Smoking – agierten als „lebende Requisiten“. Die beiden Schauspieler (Friederike Frerichs und Hans Hirschmüller) beobachteten stumm die Sängerin und die Musiker, aber auch das Publikum. Zeitweise saßen sie auf der Bank, dann blickten sie interessiert auf das nicht vorhandene Bild im Rahmen, später ihre auf Video aufgenommenen großformatigen Porträts an den Leinwänden, die sie offenbar sosehr belustigten, dass sie zu tanzen begannen.

 Die britische Mezzosopranistin Rowan Hellier spielte die Rolle der Sängerin als ungelenke Marionettenpuppe, die zuerst bloß Töne von sich gab, aber im Verlauf des Stücks in einigen Passagen bewies, dass sie auch über nuancenreiche Stimmkraft verfügt. Ihre artistische Leistung war zu bewundern, musste sie gegen Schluss sogar über den Boden robbend singen. Verdientermaßen erhielt sie vom Publikum am Ende der Vorstellung den meisten Applaus und einige Bravo-Rufe. Am Violoncello saß Gregor Fuhrmann, der seinem Instrument so manche die Ohren „quälenden“ Töne entlocken musste, am Klavier die koreanische Pianistin Jenny Kim, die des Öfteren sehr robust die Tasten schlug. Sie zeichnete auch für die musikalische Einstudierung verantwortlich.

 Zur Musik ein paar Zitate aus dem im Programmheft veröffentlichten Beitrag von Salvatore Sciarrino über seine Komposition: „Paradoxerweise ist <Vanitas> ein Lied. Es besitzt die ausdrückliche Intimität des Lieds und beinhaltet dessen Stilisierungen und Gestus. Wie im Traum gleichen aber seine Verhältnisse nicht denen des Lieds. In unserer Tradition ist das Lied für Gesang und Klavier eine kleine Sache. Doch in seiner miniaturistischen Klarheit, die alles vom Universum widerspiegelt, steht es durch seine Proportionen dem Albumblatt nahe. Daher ist <Vanitas> ein Lied von vorher nie gehörten Dimensionen. Die innerlichen Strukturen der Zeit dehnen sich aus und so öffnet sich die Musik, um räumliche Hervorhebungen zu empfangen. … Stellt euch eine Musik vor, mit einem derart breiten Gefüge, dass sie eine andere Musik durchschimmern lässt: Das ist <Vanitas>, eine riesige Anamorphose eines alten Lieds, von dem sie in mysteriöser Art einen intensiven Duft bewahrt.“

 Vielleicht war es dieser „intensive Duft“, der nicht wenigen im Publikum einen Hustenreiz verursachte. Bei einigen Besucherinnen und Besuchern entstand bald eine Nervosität, die sich offensichtlich in einem Juckreiz bemerkbar machte. Viele kratzten sich oder blickten immer wieder auf die Uhr. Davon abgesehen herrschte in der Werkstatt eine unglaubliche Stille, die man in einem Opernhaus nur selten erlebt. Am Schluss der Vorstellung höflicher Applaus für die Musiker und Schauspieler, intensiver Beifall für die Sängerin.

 Udo Pacolt, Wien – München

 

 

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