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BERLIN/ Staatsoper: THE TURN OF THE SCREW von B. Britten. Premiere

15.11.2014 | Allgemein, Oper

Berlin/ Staatsoper: „THE TURN OF THE SCREW”, von Benjamin Britten, Premiere, 15.11.2014

Emma Bell als Governess, Thomas Lichtenecker als Miles, Foto Monika Rittershaus
Emma Bell als Governess, Thomas Lichtenecker als Miles, Foto Monika Rittershaus

Berlin setzt zur Zeit auf Benjamin Britten. Nach der „Schändung der Lucretia“ tags zuvor durch die Deutsche Oper im Ausweichquartier – kann die Staatsoper im Schillertheater mit „The Turn of the Screw“, einer Kammeroper von 1954, bestens punkten. Die wie geölt funktionierende Technik des Hauses – seit Jahren ebenfalls eine Ersatzspielstätte – verdeutlicht hier eindringlich das Drehen der Schraube in den Köpfen der handelnden Personen.

Regisseur Claus Guth und Ausstatter Christian Schmidt nutzen diese Möglichkeit. Immer wenn sich die Governess (Gouvernante) vor Gespenstern fürchtet oder deren Spuren folgt, drehen sich die Räume und lassen mal die Bewohner des schlossartigen Hauses unerwartet auftauchen, mal die Geister der Verstorbenen oder das eigene Double. Insgesamt ein unheimliches Kreisen in einer unheimlichen Umgebung.

Wer möchte nach solchen Eindrücken in nächster Zeit in einem englischen Herrenhaus ähnlich dem einsamen Gespenster-Landsitz Bly nächtigen? Dort tritt die neue, namentlich nicht genannte Gouvernante ihren Dienst an. Sie soll sich um die beiden halberwachsenen Waisenkinder Flora und Miles kümmern. Der angeblich stark beschäftigte Vormund (Onkel) kann und mag das nicht tun, möchte auch nie belästigt werden. Doch in den hat sie sich beim Vorstellungsgespräch sogleich verliebt und übernimmt daher diesen Job.

Schon das erscheint etwas sonderbar, doch noch weit mehr gilt das für gesamte Geschehen, basierend auf einer 1898 erschienenen Novelle von Henry James, nach der Myfanwy Piper das Libretto verfasste. Ein Skript, genau so mehrdeutig wie die bereits in viele Richtungen interpretierte Novelle. Wer ist hier „verrückt“ oder wird es?

Diese Rätselhaftigkeit gepaart mit Schreckensschauern hat Britten genau so komponiert, ohne die Tonalität zu verlassen. Dirigent Ivor Bolton verwirklicht all’ das mit nur wenigen Mitgliedern der Staatskapelle Berlin. Jedes Instrument ist nur einfach besetzt, genügt aber, um ein sattes, mal unheimliches, mal beinahe bukolisches Klangbild hervorzuzaubern.

Die Kinder empfangen die neue Gouvernante mit Knicks und Verbeugung. Sofort schließt sie die beiden ins Herz, fühlt sich auf dem romantischen Landsitz bald wie zu Hause. Doch dort spukt es. Auf einem fernen Turm sieht sie einen rothaarigen bleichen Mann, der näher kommt und ihr Angst einjagt.

Nach den Worten der Hausdame Mrs. Grose ist das Peter Quint, der verunglückte Diener des früheren Herrn. Der mochte die Hübschen, wie Miss Jessel, war auch mit dem kleinen Miles stundenlang alleine unterwegs. „Er bekam seinen Willen, morgens und nachts“, sagt Mrs. Grose eindeutig-zweideutig. Nach diesen Vorkommnissen hätte Miss Jessel das Haus verlassen und sei gestorben. Auch sie spukt durchs Haus, zumindest meint die neue Gouvernante, ihre Vorgängerin mitunter zu erblicken, und beschließt, die Kinder vor diesen Dämonen zu schützen.

Die erste schlechte Nachricht kommt bald. Miles ist von der Schule geflogen, gilt als unguter Umgang für die Mitschüler. Warum? Das wird lieber nicht hinterfragt. Wurde der Junge früher von Peter Quint missbraucht und ist nun traumatisiert? Ist ihm Quint immer noch auf den Fersen?

Und Flora? Das Mädchen weicht der neuen Erzieherin aus. Will sie auch einiges verbergen? – Oder, die ganz andere Möglichkeit, die (nicht nur) Claus Guth favorisiert: Die Governess leide unter Wahnvorstellungen, die sich wie eine Schraube immer mehr in ihren Kopf hineindrehen.

Ganz großartig gestaltet Emma Bell diese Partie. Ihr klingender Sopran, Mimik und Körpersprache zeigen eindeutig den allmählichen Verlust ihrer Selbstkontrolle. Sehr überzeugend auch Marie McLaughlin als Mrs. Grose, eine Frau, die zwar von dem Spuk weiß, ihn aber ignoriert. Möglicherweise ist es auch die Angst vor der Gouvernante, die sie mit Flora aus dem Haus fliehen lässt.

Diese Angst erscheint berechtigt, steigert sich doch die Governess immer mehr in die Vorstellung hinein, dass Miles vom Quint verfolgt wird. Dass die Kinder etwas eigenartig sind, macht aber auch die Regie deutlich. Erst streicheln sie ein Kaninchen, dann töten sie es, hantieren auch mit toten Vögeln. Bei der Kissenschlacht wirken sie andererseits ganz „normal“, sind auch nett zueinander. Guth hat diese Rollen zwei jungen Erwachsenen (nicht Kindern!) anvertraut, dem aus Wien stammenden Countertenor Thomas Lichtenecker als Miles und der Portugiesin Sónia Grané aus dem Opernstudio der Staatsoper als Flora. Kompliment für beide!

Von den Zweien ist Miles der Dreh- und Angelpunkt des Geschehensund wohl die Hauptursache für den Gespensterglauben der Gouvernante. Die aber gibt es bei Britten durchaus! Richard Croft, Tenor, und Anna Samuil, Sopran, singen diese Rollen aus dem Off.

Der traumatische Zugriff von Quint auf Miles summiert sich zum dramatischen Höhepunkt. Die Gouvernante zwingt Miles in ein Verhör, doch immer mischt sich Quints Geisterstimme ein, warnt den Jungen vor der Frau, die ihn zuerst liebkost, dann jedoch wie eine Teufelsaustreiberin solange würgt, bis er den Namen Peter Quint preisgibt. „Peter Quint, du Teufel, sind seine letzten Worte, bevor er tot zusammensackt. Aber meint er damit Quint oder vielleicht die Governess?

Die aber singt verträumt „Malo als ein böser Junge“ und „was haben wir beide bloß getan“. Gab es „besondere Kontakte“ zwischen dem pubertierenden Jungen und der bislang sexuell kaum verwöhnten Gouvernante? Die aber löffelt nun ganz entspannt und der Realität entrückt ihre Suppe, während die Musik verklingt. Auch Britten belässt es bei den Geheimnissen.

Danach lang anhaltender Beifall für alle Sängerinnen und Sänger, für Bolton mit den Instrumentalisten und das Regieteam, das diesmal voll überzeugt hat. Hingehen!

Weitere Termine: 19., 22., 27. und 30. Nov., letztmalig am 5. Dez. –

Ursula Wiegand

 

 

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