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BERLIN/ Staatsoper: SALOME – Eros und Thanatos: Prinzessin Salome im Blutrausch

BERLIN / Staatsoper Unter den Linden SALOME; 7.7.2023

Eros und Thanatos: Prinzessin Salome im Blutrausch

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Thomas J. Mayer (Jochanaan). Foto: Monika Rittershaus

Draußen ist die Bühne bereit für „Staatsoper für alle“ mit viel Musik unter freiem Himmel am 8. und 9. Juli bei freiem Eintritt. Drinnen herrscht Hektik. „Salome“ von Richard Strauss steht auf dem Spielplan, in der Inszenierung von Hans Neuenfels aus dem Jahr 2018, kompliziert und herausfordernd in der Darstellung. Thomas J. Mayer, der Jochanaan der Premiere und ein ganz vorzüglicher Rolleninterpret, fühlt sich am Vormittag nicht in der Lage aufzutreten, er will absagen. Tomasz Konieczny erklärt sich bereit, einzuspringen (und von der Seitenbühne aus zu singen, Thomas J. Mayer hätte darstellen sollen). Der polnische Heldenbariton macht sich im Auto auf den Weg, bleibt aber irgendwo im Stau stecken. Er schafft es gerade bis 19h30 ins Haus. Mittlerweile geht es Thomas J. Mayer glücklicherweise wieder besser und er will es versuchen. Als Absicherung steht, falls was schief gehen sollte, Kollege Konieczny in den Kulissen. Aber Thomas J. Mayer wird nicht nur durchhalten, sondern wieder einmal Eindrückliches liefern. 19h35 geht es dann endlich los.

François-Xavier Roth steht am Pult der diesmal ordentlich lauten Staatskapelle Berlin und beginnt in getragenen Tempi. Er breitet über den Abend hinweg einen pompösen symphonischen Sound aus. Im Orchestergraben brodelt und surrt es, es flasht crazy und in Neonfarben zu dieser Horror-Familiengeschichte, wo es dem Jochanaan aus morbider sexueller Lust an den Kragen geht. Auf die Sänger nimmt er keine Rücksicht, wenn es um die Dramatik und Drastik der Strauss‘schen Klangballungen geht, dort, wo die Flügel des Todesengels im Palast rauschen oder die Tochter der Unzucht bei ihrem Tanz wie ein Vampir blutrünstig die Zähne in das Fleisch des Oscar Wilde wuchtet. Man fühlt sich an Heimito von Doderers Erzählung „Eine Person von Porzellan“ erinnert.

Christian Natter agiert in der stummen Rolle des englischen Dichters und Rächers viktorianischer verlogener Prüderie als eine Art sadistischer Spielvogt, als Leiter einer irrwitzigen Familienaufstellung, als Improvisator und Lenker verbotener Leidenschaften und tödlicher erotischer Fantasien. Sein gruseliger pas de deux mit Salome – anstatt einer nackten Salome erlebt das Publikum einen SM-Seelenstrip mit Oscar Wilde in Fetisch und Totenmaske – wird niemanden gleichgültig lassen.

Thomas J. Mayer ist wider Erwarten toll bei Stimme. Sein mächtiger Bariton erklimmt die heldischen Bergspitzen des Propheten genauso gut wie dessen aus tiefster Zisterne tönenden Vorhersagen von Basilisken, deren Brut die Vögel verschlingen wird. Neuenfels und sein Bühnenbildner Reinhard von der Thannen stecken Jochanaan in eine Art phallische Raumkapsel, aus der er, nachdem der schrille Stephan Rügamer als bis über beide Ohren in Salome vernarrter Narraboth grüne Licht dafür gegeben hat, in einem schwarzen Rüschenrock bei nacktem Oberkörper steigt. Unvergesslich und ganz große Oper, wie Thomas J. Mayer als Jochanaan sich im Duett mit Salome voller aus selbst gewählter Askese erwachsener Pein dreht und windet, die Hand im Schritt. Wenn dieser Jochanaan über das Unmaß der Sünden der Herodias predigt und Salome rät, ihr Gesicht mit einem Schleier zu bedecken und Asche auf ihr Haupt zu streuen, ist unendlich viel von dessen eigener Verführbarkeit im Kampf gegen das übermächtige Verlangen des Körpers zu spüren. Ja, das Fleisch ist höllisch schwach.

Salome ist mit der vom Mezzo zum Sopran gereiften Jennifer Holloway vorzüglich besetzt. Mir gefällt sie wesentlich besser als die Premierenbesetzung Aušrine Stundyte. Holloway hat einen echten jugendlich dramatischen Sopran (sie ist u.a. in der für Bru Zane erarbeiteten Titelpartie von César Francks Oper „Hulda“ auf CD zu hören), ist eine begnadete Darstellerin und singt bruchlos durch alle Register. In den Höhen agiert Holloway klugerweise vorsichtig, allerdings kämpft sie gegen die Fortissimo-Ausbrüche des Orchesters an. Da hätte der Dirigent mehr auf sie achten müssen. Am Ende bei „Ich habe ihn geküsst, deinen Mund“ muss sie den Ton zweimal ansetzen. Ja, auch so kleine Schnitzer gehören zu lebendiger Oper, die nicht perfekt sein muss. Hauptsache, die Musik und ihre Interpreten berühren und geben alles. Am Schluss sehr viel Zustimmung des Publikums zu dieser singulären Gesamtleistung.

Das gilt auch für Nikolai Schukoff als Herodes, der in der Premiere noch den Narraboth sang. Wie er den Spagat zwischen den mörderischen heldentenoralen Anforderungen der Partie, die er mühelos bewältigt, und dem mehrfach gebrochenen Charakter auf der Bühne meistert, ist ein Kabinettstück der Sonderklasse. Ohne parodistische Züge (der von mir sehr geschätzte Hans Beirer konnte dem Outrieren kaum widerstehen) gibt Schukoff diesem von seiner Gattin Herodias als ehemaligen Kameltreiber beschimpften Herodes ein menschliches Profil mit einem Rest von so etwas wie einem Gewissen, auch wenn dieses auf Aberglauben und Ängsten gründet. An der Größe der Rollengestaltung und dem auch die brachialsten Orchesterwogen noch überstrahlenden Tenor konnte auch eine kleine Hustenattacke nichts anhaben. Bei Neuenfels ist Herodes im David Lynch-Outfit ein Epileptiker, ein erbarmungswürdiger Sklave seiner Süchte und den erotischen Fantasien seiner Stieftochter Salome gegenüber erlegen, mit stets einem Hauch von Melancholie und Einsamkeit auf den Lippen. Als einziger erkennt er den doppelten Wahn des „Rübe-ab“ Vernichtungsfeldzugs Salomes, ihres begehrten aber unerreichbaren Sexualobjektes als auch des Widersachers von Salomes Mutter.

Marina Prudenskaya mit wasserstoffperoxid-blondiertem Lockenhaar reüssiert als hysterischer Vamp Herodias, der nicht an Propheten glaubt und weiß, warum sie Salome am Tanz hindern will.

Natalia Skrycka als Page der Herodias sieht aus wie eine Angela Merkel Klon (Perücke, Hosenanzug). Dafür begeistert wieder einmal Magnus Dietrich vom Internationalen Opernstudio, diesmal als erster Jude. Seine Mitstreiter Michael Smallwood, Matthew Pena, Andres Moreno Garcia und Frederic Jost machen ebenfalls allesamt einen guten Job. Erster und zweiter Nazarener sind mit Carles Pachon und Ulf Dirk Mädler gediegen besetzt.

Leider war die Auslastung an diesem sehr heißen Freitagabend alles andere als gut. Ich schätze einmal, dass ein Drittel der Plätze leer blieb. Dafür war viel junges Volk zu sehen, was wiederum Anlass zu Hoffnung gibt.

Am Ende heftigen Applaus für einen sehr intensiven und vom Dirigenten bis an die Grenze der Belastbarkeit getriebenen Opernabend.

Dr. Ingobert Waltenberger

Foto: Monika Rittershaus

 

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