Berlin, Staatsoper in der Baustelle: Sciarrino: Macbeth am 25.6.2014
Salvatore Sciarrino darf fast als Klassiker der zeitgenössischen Musik gelten. Seine Werke hört und sieht man stetiger auf den Spielplänen. Er hat eine ihm eigene minimalistische Musiksprache entwickelt, die vorrangig aus kleinteiligen Eruptionen und Melismen besteht. Auch die Behandlung der Gesangsparts besteht in der Ausdünnung und Unterbrechung der Linien.
Dies bietet große Chancen zur musikdramatischen Ausdeutung, aber auch Gefahren gewissser musikalischen Monotonie.
Stark wird diese Musik immer, wenn der Ausdruck diese Tonfetzen erfüllen kann, wenn die persönliche Gestaltungskraft der Ausführenden die Bruchstücke inhaltlich überbrückt und wieder zu Großen formt. Schwach ist sie, wenn sie brav zu zitieren versucht, wie hier beim Macbeth, wenn Don Giovannis Finalszene oder die Baritonarie aus Un ballo in maschera überdeutlich ertönen.
Auf der Baustelle Unter den Linden wird der Zuschauer in einen Salon geführt. Man trifft sich fast zur Hausmusik. In Nebenräumen werden Teile des Kammerorchesters untergebracht. Der Dirigent stolziert zu der keinen Restkombo aus Posaunen und Violoncelli.
Dann beginnt ein von JÜRGEN FLIMM intelligent inszeniertes Endspiel um den englischen Macbeth im bürgerlichen Wohnzimmer.
Rokokogewandet begegnen uns die Hauptfiguren, demaskieren und derangieren sich, halten innere Monologe treffen höchstens in Zweierszenen aufeinander, um sich gegenseitig zu attackieren und vernichten. Macbeth ist hier ein intimes Kammerspiel, bei dem der Zuschauer zum Voyeur wird. Flimm gelingt es vorzüglich, auf engem Raum spezifische Situationen zu entwickeln, die von großer theatralischer Könnerschaft zeugen. So führt er die eigentlich unsichtbaren Vokalstimmen als szenische Spielmacher ein: sie sind Erinnyen, Hexen oder Kämpfer. Auch als putzige „Grüffelos“ haben sie leider einen leicht albernen Auftritt. Überhaupt ist Kostümbildnerin BIRGIT WENTSCH nicht immer stilsicher. Der Raum von MAGDALENA GUT erklärt sich selbst, die 50er Jahre Ledersessel hätte man sich allerdings sparen können. Die Lichtregie übernimmt teilweise bei offenen Fenstern der Himmel, wobei auch die Strahler aus dem Hof in der Dämmerung Effekt machen.
Unter den Sängern erstgenannt sei KATHARINA KAMMERLOHER, die es am meisterlichsten und eindringlichsten versteht, ihre verschiedenen Parts (Sergeant, Fleance, Mörder, Geist) zu plastischem Leben und klingendem Gefühl zu formen. Bei ihrer Interpretation verschmilzt Musik und Szene zur Vollkommenheit.
Wesentlich artifizieller, weil kontrollierter, gehen die anderen Akteure mit Sciarrinos schwierigem Material um, mehr Sänger als Darsteller:
OTTO KATZAMEIER gelingt als Macbeth ein souveränes Portrait, mit sonorer Basstiefe und breitem, weiblichem Falsett. CAROLA HÖHN konzentriert sich als seine Lady und hat einen starken Monolog. Schönstimmig und strahlkräftig zeigt sich STEPHEN CHAMBERS als Banquo, während TIMOTHY SHARP einen klaren, hellen Macduff in der finalen Szene gibt.
Die Solostimmen mischen sich nicht immer lupenrein, was allerdings nicht an den vokal wie szenisch sehr präsenten Sopranistinnen SONIA GRANE und LENA HASELMANN und dem Tenor MAGNUS HALLE JÖNSON, sondern eher an der mulmigeren Stimmgebung der unteren Stimmgruppen ( UTA BUCHHEISTER, JAKOB AHLERS, ULF DIRK MÄDLER) liegt. Darstellerisch treiben sie alle die Szene stark an.
DAVID ROBERT COLEMAN leitet das in verschiedenen Ebenen stattfindende musikalische Geschehen mit grosser Hand, das Orchester klingt präsent und durchsichtig zugleich.
Starker Beifall im kleinen Kreis.
Der Staatsoper sind mit dieser Produktion Einblicke in verschiedenste Innenleben geglückt. Nicht zuletzt dem ihres- noch sehr baustelligem – eigenen.
Damian Kern