Berlin, Staatsoper: Regisseurin Andrea Breth schafft „LULU“ ab, 04.04.2012
Mojca Erdmann (hinten) als Lulu, Deborah Polaski als Gräfin Geschwitz, Foto: Bernd Uhlig
Eine femme fatale wie Wedekinds „Lulu“, die die Männer reihenweise um den Verstand bringt, die gibt es nicht mehr, meint wohl Regisseurin Andrea Breth in dieser Neu-Inszenierung von Alban Bergs Opernfragment an der Staatsoper im Schillertheater. Jetzt sind Magermodels modern und müde Männer, geschlaucht vom Karrieretrip.
Den Prolog mit dem Schlangenbändiger hat Frau Breth weggespart, später auch das Paris-Bild. Anfangs spricht hier ein alter Mann, der spätere Theaterdirektor (Johann Werner Prein), Zeilen des Philosophen Sören Kierkegaard. Er erinnert sich darin an sein Leben, erzählt das Erlebte einem Kind, obwohl das sich selbst an das Geschilderte erinnert. Die Geschichte der „Lulu“ also im Rückblick und als Spiel im Spiel.
Mal kämmt dieser Theaterdirektor einem von Lulus Lovern (Alwa) die Haare vor einem angeblichen Auftritt, während der intensiv von den Reizen ihres Körpers schwärmt. Auch ein Kameramann auf Inline-Skaters huscht mitunter über Erich Wonders düstere Bühne, bestehend aus einem Auto-Schrottplatz und zwei durch Eisenstäbe umgitterte Gänge.
Auf alle Fälle ist diese Lulu von Anfang an mausetot, vermittelt sofort Lulus Todesschrei vom Band. Danach aber steht sie im Glitzerkleid (Kostüme: Moidele Bickel) auf der Bühne. Geklont ist sie außerdem, hat sie doch zwei fast identisch gekleidete stumme Schwestern.
Mit der zarten Mojca Erdmann ist diese Lulu im Sinne der Regisseurin ideal besetzt. Ein Magermodel ist die schöne junge Frau nicht, aber eine kühle Blonde, ein fast sex-freies Püppchen, keinesfalls ein Luder, noch nicht einmal eine Lolita. Dieses Mädchen ist sich zwar seiner Schönheit bewusst, setzt sie aber betont lethargisch ein. Vermutlich soll sie das so spielen. Die Verführerin glaubt man ihr jedenfalls nicht.
Aber wen sollte sie denn verführen? Ihr greiser Medizinalrat (Wolfgang Hübsch) kriegt eh gleich den Herzinfarkt. Die übrigen Männer und anfangs auch sie agieren hinter Gitterstäben, wobei unter Agieren zumeist nur abgezirkelte Handbewegungen zu verstehen sind. Menschen wie Marionetten im Gefängnis ihrer Zwänge? Kann sein, wirkt aber ungemein angestrengt.
Insgesamt zeigt sich diese Inszenierung als ein akribisch ausgefeiltes Konstrukt. Spannung streng verboten! Die im Libretto und in der Musik enthaltene fiebrige Sinnlichkeit bleibt nur eine Behauptung. Bloß keine Berührung! Diese Abstandshaltung erzeugt alsbald gehörige Langeweile. Nur die Szene, als Lulu ihrem Erretter, dem Dr. Schön (Michael Volle), auf den Rücken springt und ihn so zum Abschiedsbrief an seine Geliebte zwingt, hat etwas Pepp. Insgesamt aber ist diese Arbeit von Andrea Breth nach ihrer grandiosen „Wozzeck“-Fassung eine herbe Enttäuschung.
Im 2. Akt wird’s dann etwas munterer. Stephan Rügamer, zuvor noch ein Maler im Beinahe-Stillstand, darf jetzt einen schlaksigen Neger geben und bietet dazu passend einen geschmeidigen Tenor.
Derweil schlitzt ein stummer Jack the Ripper (hier noch Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, zuvor der Prinz aus Afrika) eines der Lulu-Doubles auf, fährt das Opfer in der Schubkarre über die Bühne, beguckt glücklich sein Messer und wischt sich genüsslich das Blut von den Fingern.
Anders Thomas Piffka als Alwa, der Lulu liebt, obwohl sie seinen Vater Dr. Schön erschossen hat. Der überzeugt zwar stimmlich, muss aber zusammen mit Schigolch (Jürgen Linn), der vermeintlichen Theatergarderobiere (gut: Anna Lapkovskaja) und dem zuvor wendig boxenden Athleten (Georg Nigl) auf und neben den Autowracks verharren, selbst als die aus dem Gefängnis befreite Lulu ihn um einen Kuss bittet. Unglaubwürdiger geht’s nimmer, auch die Gefühle sind hier verschrottet und abgeschafft.
Und Mojca Erdmann, mit Vorschusslorbeeren bedacht, als Lulu? Ihr heller Sopran klettert gelenkig in allerhöchste Höhen, wird dabei manchmal auch etwas schrill, doch sie meistert die schwierige Partie bravourös. Dennoch geht ihrer Stimme jede Sinnlich- und Farbigkeit ab. Insofern passt sie, wie schon gesagt, perfekt in Breths rigides Schema.
Nur eine bietet ein Gegengewicht und rettet doch etwas Sinnenlust: Deborah Polaski als Gräfin Geschwitz, die Frau in blau und der Lulu in unerwiderter lesbischer Liebe verfallen. Verzweifelt denkt sie über den Selbstmord nach, schaufelt schon Sand fürs Grab und fragt: „Was mag kälter sein, das Wasser oder ihr Herz?“ Vielleicht ist das der Schlüsselsatz für Breths Regieeinfälle.
Schließlich Jack the Ripper, als Freier bei der inzwischen als Nutte tätigen Lulu. Er meuchelt sie nicht mit dem Messer, sondern gießt ihr Benzin über den Kopf und zündet sie an. Die Flammen züngeln über die Bühne, die Feuerwehr steht hoffentlich mit Löschgerät irgendwo parat.
Diesen Jack verkörpert jetzt Michael Volle. Schon als Dr. Schön hat er eine profunde Leistung geboten. Ein Klasse-Bariton, der auch atonal noch glänzt.
Einer glänzt noch mehr: Daniel Barenboim mit seiner engagiert aufspielenden Staatskapelle Berlin. Er konterkariert dieses seelenlosen Inszenierungskonzept, er bringt die vermisste Sinnlichkeit, das Brodeln der Begierden ins trostlose Spiel, integriert auch den neuen, von David Robert Coleman komponierten Schluss. Vor allem malt er Alban Bergs Zwischenspiele klangreich und in satten Farben aus. Die sind das Beste an diesem ansonsten leider belanglosen Abend, der eigentlich die „Festtage“ der Staatsoper krönen sollte.
Der Beifall in dieser 2. Aufführung klingt insgesamt etwas matt. Die tapferen Sängerinnen und Sänger sowie Barenboim und die Staatskapelle werden dennoch mit Bravos bedacht.
Ursula Wiegand