Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Staatsoper: EMMA UND EGINHARD von Georg Philipp Telemann. Premiere

26.04.2015 | Allgemein, Oper

Berlin/ Staatsoper: „EMMA UND EGINHARD“ von Georg Philipp Telemann, Premiere, 26.04.2015

Nikolay Borchev (Eginhard), Robin Johannsen (Emma), Gyula Orendt (Carolus), Foto Monika Rittershaus
Nikolay Borchev (Eginhard), Robin Johannsen (Emma), Gyula Orendt (Carolus), Foto Monika Rittershaus

 Frau trägt Mann, und das macht ausgerechnet Emma, die Tochter Karls des Großen. Nach einer Liebesnacht schleppt sie ihren Lover Eginhard auf dem Rücken aus ihrem Gemach, damit er keine Fußspuren im frisch gefallenen Schnee hinterlässt.

Die „Last-tragende Liebe“ ist denn auch der Untertitel von Georg Philipp Telemanns Oper „Emma und Eginhard“, die am Hamburger Gänsemarkt-Theater am 22. November 1728 uraufgeführt und begeistert aufgenommen wurde.

Dieses außergewöhnliche Tun, geschildert von Librettist Christoph Gottlieb Wend nach noch älteren Vorlagen (u.a. dem Epos „Mandragende Maegt“ von Jacob Cats), ereignet sich erst am Ende des zweiten von insgesamt drei oft recht turbulenten und mit Komik angereicherten Akten. Dafür, dass diese (trotz Kürzungen) 3-stündige Barockoper nicht langweilig wird, sorgt u.a. die muntere Inszenierung von Eva-Maria Höckmayr mit jedoch vielfachem Einsatz der Drehbühne.

Auch das Bühnenbild von Nina von Essen und die teils heftig gerüschten Kostüme von Julia Rösler finden offensichtlich Gefallen. So gibt es schließlich in der Staatsoper im Schillertheater ähnlich wie seinerzeit in Hamburg Jubel und Bravos.

In erster Linie gelten sie jedoch Telemanns fein austarierter Musik, die bei René Jacobs und der Akademie für Alte Musik Berlin in bewährten Händen ist. Allerdings kommt diese zunächst etwas akademisch dröge daher. Erst beim Fortgang der Handlung und dank der Sänger-Darsteller, die ihre Rollen intensiv und glaubwürdig verkörpern, gewinnt die Story den nötigen Drive. Auch ist im Verlauf deutlich herauszuhören, wie gekonnt Telemann die Figuren, ihre Stellung und ihren Seelenzustand charakterisiert. Die Adligen singen feinere und ausführlichere Arien als die Dienerschaft, und die Duette der Liebenden sind vom Allerfeinsten.

Das Stück beginnt mit der Rückkehr Karls des Großen nach einem 35 Jahre dauernden und letztlich siegreichen Kampf gegen die heidnischen Sachsen. Als Held wird er gefeiert, wird aber auch wegen seiner Mildtätigkeit und seines Großmuts gepriesen. Ein Feldherr, der Wiederaufbau statt verbrannter Erde auf seine Fahnen geschrieben hat. Einer, der nun seine Mitstreiter und die Familie um sich schart, um den Frieden zu genießen. Die Frauen freuen sich am meisten darüber, dass nun ihre Männer wieder daheim sind, wobei diese Arie bei Karls Gattin Fastrath (Katharina Kammerloher) doch etwas distanziert klingt.

Nikolay Borchev (Eginhard), Robin Johannsen (Emma), Foto Monika Rittershaus
Nikolay Borchev (Eginhard), Robin Johannsen (Emma), Foto Monika Rittershaus

Den Carolus (Karl) gibt der 30-jährige Ungar Gyula Orendt mit anfangs zurückgenommenem, später sehr präsentem Bariton. Das passt zu der Rolle, die er zunächst innehat. Der ist ein nachdenklicher Beobachter, der auf weite Strecken gar nichts zu singen hat und doch mit Bühnenpräsenz überzeugt. Ähnliches gilt für den Hofnarren Steffen, der in Gestalt von Johannes Chum zwar sogleich mit klangreichem Tenor erfreut, sich aber streckenweise mit spöttischem Gesichtsausdruck und entsprechenden Gesten begnügen muss.

Dieser Narr an Karl Seite agiert hier als Anzugträger mit Krawatte, der sich – ganz im Sinne der aufgeklärten Hamburger Bürgerschaft zu Telemanns Zeiten – distanziert gibt und die Adelssitten mehr oder weniger deutlich kritisiert. Kaiser Karl kontert, hängt ihm – eine gelungene Idee der Regisseurin – den hermelinverbrämten Purpurmantel um die Schultern und setzt ihm seine Krone auf.

Dermaßen verkleidet muss der Narr (der erst später mal die Clownshose sehen lässt) nun das Friedensfest, die Lobpreisungen der Hofgesellschaft und das Sehnsuchtsbekenntnis von Fastrath über sich ergehen lassen. Karl amüsiert sich darüber köstlich. Erst als Steffen der Gattin an den Busen greift, ist Schluss mit lustig.

Über Karls Rückkehr freut sich vor allem seine Tochter Emma aus erster Ehe, fabelhaft gesungen und glaubwürdig gespielt und der jungen US-Sopranistin Robin Johannsen, die übrigens im Jahr 2002 als Stipendiatin an die Deutsche Oper Berlin kam, dort Ensemblemitglied wurde, dann nach Leipzig ging und seit 2008 freischaffend tätig ist. Sie wird zum Ass dieser Aufführung und gewinnt schnell und höchst verdient die Herzen des Publikums.

Ihr eigenes Herz strebt derweil zu Eginhard, Karls Schreiber und Vertrauter. Der, zumeist Einhard genannt, war tatsächlich des Kaisers rechte Hand, sein Berater und überdies der Verfasser von Karls Biographie („Vita Caroli Magni“, 9. Jahrhundert).

In dieser Oper ist er ein Bürgerlicher, und das geht gar nicht für eine Kaisertochter. Die eigentlich Vernünftige fühlt sich nun in ihrer Liebe zu Eginhard wie ein im Netz des Jägers gefangenes Reh. („Je mehr, dass ich mich widersetze“, I/ 9).

Dabei ist sie zunächst die treibende Kraft, ehe er, schüchtern und klug zugleich, überhaupt wagt, an Liebe zur Kaisertochter zu denken. Diese Partie ist mit dem jungen Nikolay Borchev, auch mal Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper und nun international gefragt, sehr passend besetzt. Im Verlauf des immer dramatischer werdenden Geschehens gewinnt sein Bariton mehr und mehr an Wärme und Überzeugungskraft.

Denn schnell sind die stürmischen Gefühle auch in ihm erwacht. Er will „zur Sonne fliegen“, und die Liebesbriefe fliegen mit Hilfe der Dienerin Barbara (spritzig gesungen und gespielt von Narine Yeghiyan) ebenfalls hin und her.

Bald ganzer Mann fordert er von ihr, sich über alle Standesschranken hinwegzusetzen. Sein „Vergiss dich selbst, mein schöner Engel, vergiss nur nicht der Liebe Pflicht. Vergiss an mir der Abkunft Mängel, vergiss, was Ehr’ und Klugheit spricht, vergiss nur meiner Treue nicht.“ Bei solchen Beteuerungen muss wohl jede Frau dahinschmelzen und Emma sowieso.

Das schon erwähnte Liebesbett dient übrigens nicht nur den beiden als Spielwiese. Auch der übrige Hofstaat – Adlige und Diener – kriechen dort mitunter aus den Federn. Schließlich sogar Kaiser Karl, der nun sieht, wie seine Tochter den Eginhard durch den Schnee trägt, eine von zwei Kindern gespielte Szene.

Jetzt kommt auch für ihn, Gyula Orendt, die große Stunde. Gewaltig und gewaltbereit klingt sein Rache-Song „Glühende Zangen, Schwert, Feuer und Rad“ durchs Haus. Der Narr Steffen und der Adlige Wolrad (Stephan Rügamer) bitten auf ihre Art vergeblich um Verständnis und Verzeihen.

Dagegen dringen seine Gattin und einige Adlige, wie der neidische Adelbert (Dmitry Egorov mit geschwindem Countertenor) und der durch den Frieden arbeitslos gewordene Soldat Alvo (Jan Martiník mit kräftigem Bass), auf drakonische Bestrafung.

Karl steht schon mit dem langen Schwert hinter den beiden Gefesselten, um sie persönlich zu enthaupten. Die aber lassen sich nicht erschüttern und singen frei heraus: „Ich will sterben für dich“. Bewegt davon erwacht im Kaiser mehr und mehr die Vaterliebe, bis eine Stimmer von oben – also sein eigenes Gewissen – ihn zum Verzeihen auffordert.

Happy End also für alle, denn auch die übrigen Paare finden nach Irrungen und Wirrungen zueinander. Hildegard (Sylvia Schwartz), die auch ein Auge auf Eginhard geworfen hatte, nimmt nun doch den Sachsenprinzen Heswin, der sich taufen lassen will, verkörpert von der superschlanken Stephanie Atanasov. Ob die flotte Barbara aber wirklich den intensiv um sie werbenden Urban (Florian Hoffmann) nimmt statt Steffen, der ebenfalls Interesse bekundet hatte? Vermutlich ja.

Denn der Narr hat ausgedient. Allein bleibt er am kaiserlichen Konferenztisch zurück, geringschätzig von Karl beäugt, der – basta – die Türe schließt. Danach heftiger Beifall für alle, insbesondere für die großartige und so angenehm uneitle Robin Johannsen.

 Weitere Termine: 29.04. sowie am 02., 08. und 10.05.

Ursula Wiegand

 

 

Diese Seite drucken