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BERLIN/ Staatsoper: DON GIOVANNI – oder Donna Elvira?

28.06.2012 | KRITIKEN, Oper

Berlin, Staatsoper: „DON GIOVANNI“ oder Donna Elvira? 27.6.2012


Christopher Maltman (Don Giovanni), Erwin Schrott (Leporello) und Dorothea Röschmann (Donna Elvira). Foto: Monika Rittershaus

Diese Frage stellt sich bei der Inszenierung dieser Mozart-Oper durch Claus Guth, die 2008 bereits in Salzburg zu erleben war. Und das wegen der bravourös singenden und spielenden Dorothea Röschmann als diese Donna Elvira.

Gewandet wie eine stocksteife Kanzleidame agiert sie mal als zickige Person, kurz darauf als Verfolgerin, geplagt von Mordgelüsten und Liebessehnsucht. Frau Röschmann übertreibt diese Gefühlsschwankungen gnadenlos, sorgt sogar für Heiterkeit im Parkett und spielt die anderen mitunter an die Wand.

Vielleicht wäre ihr das selbst im Beisein von Anna Netrebko gelungen, doch die hat abgesagt, woanders aber zugesagt. War sie um ihre schönen Beine besorgt? Möglich wäre es, muten doch Klaus Guth und Christian Schmidt (verantwortlich für Bühne und Kostüme) den Sängern einen Knöchel gefährdenden, unebenen Waldboden zu. Dass sich fast alle vorsichtig bewegen oder barfuß gehen, fällt sofort auf.

In einem düsteren Forst (Licht Olaf Winter) irren sie umher, tasten sich vorwärts, suchen einander, mitunter auch mit Taschenlampen. Soll wohl heißen: genau so irren sie rat- und planlos durch ihr Leben. Manchmal sitzen sie auch zu Dritt im Bus-Wartehäuschen wie bestellt und nicht abgeholt und beklagen ihr Schicksal, diesen treulosen Don Giovanni.

Doch sind sie nicht selbst an ihrer Misere Schuld? Die Inszenierung legt das nahe. Donna Anna ist hier kein unschuldiges Opfer, sondern die treibende Kraft. Sie springt Don Giovanni anfangs mehrfach an und wirft sich ihm in die Arme, als wollte sie ihn zur Fortsetzung der Liebesspiele zwingen. Die schlanke Maria Bengtsson macht und singt das fabelhaft. Anna Netrebko müssen wir nicht übertrieben nachtrauern.


Maria Bengtsson (Donna Anna), Christopher Maltman (Don Giovanni). Foto: Monika Rittershaus

Auch den Don Giovanni zeichnet Guth anders als gewohnt. Der ist schon verbraucht und hat eigentlich gar keine Lust mehr auf aktiven Sex. Der tut nur so, um sein Image zu bewahren. Das Verführen von Frauen dient seiner Selbstbestätigung und Unterhaltung.

Um das zu verdeutlichen, verpasst der Komtur dem Don Giovanni beim tödlichen Gerangel einen Bauchschuss. Rot rinnt das Blut durch seine Finger, auch im Verlauf der Handlung. Immer hinfälliger wird er, rafft sich aber immer wieder auf und bleibt selbstherrlich wie eh und je. Christopher Maltman gibt das alles sehr überzeugend und mit einem oft gedeckten Bariton. Ob das wohl Absicht ist?

Dagegen strotzt Erwin Schrott als Leporello nur so vor Fitness, Stimme und Spielwitz. Der macht lieber den durchtriebenen Lümmel als den (zumeist) demütigen Diener. Einige Male wirken die beiden wie ein Ganovenpaar, ehe der sarkastische Don Giovanni klarstellt, wo der Hammer hängt.

Dieser Slum-Leporello, der einzige Echte unter all’ den Heuchlern, setzt dem Herrn und sich auch mal schnell einen Schuss, klettert geschickt einen Baum empor und kraftvoll singend aufs Wartehäuschen. Schrott glänzt nicht nur bei der berühmten Registerarie. Sein profunder Bass trägt ermüdungsfrei und klangreich bis zum letzten Takt. Der ist nicht Anna Netrebkos Anhängsel, sondern ein eigenständiger Künstler. Er wird zum Helden des Abends und zuletzt besonders gefeiert.

Dann ist da noch der brave Don Ottavio (Giuseppe Filianoti), der bekanntlich die Ermordung des Komturs rächen und Donna Anna ehelichen möchte. Mit knatterndem Oldtimermotor rollen die beiden auf eine Lichtung. Doch sie will nicht diesen Langweiler, sondern den amüsanten Don Giovanni. Während sie dem Verlobten mit wirklich wunderschönem Gesang ihre Liebe vorgaukelt, schaut sie ständig nach ihrem Lover, und der malt frech ein Herzchen aufs Autofenster.

Dass die süße Zerlina ihren Bauernbräutigam Masetto an der Nase herumführt und sich gar zu gern vom charmanten Don Giovanni verführen lässt, war schon immer ebenso bekannt wie die Dummheit ihres Zukünftigen. Nach dem Zusammensein mit Don Giovanni ist ihr weißes Hochzeitskleid von seinem Blut besudelt. Ein starkes Bild. Die zarte Anna Prohaska, die auch in Mailand in dieser Rolle überzeugte, zeigt sich hier in mindestens ebenso guter Form und hat in Stefan Kocan einen „stimmenden“ Partner.

Mit düster dräuendem Bass verbreitet schließlich Alexander Tsymbalyuk als der ermordete Komtur tatsächlich Angst und Schrecken. So grauslich habe ich die Gastmahlszene, Don Giovannis Todesschreie und seine Höllenfahrt noch nie gehört.

Das auch dank der engagiert aufspielenden Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim, der von Anfang an auf Dramatik setzt. Großes Lob verdient auch der von Eberhard Friedrich geleitete Staatsopernchor.

So wird der neue„Don Giovanni“, wie es schon E. T. A. Hoffmann formulierte, an diesem Abend tatsächlich zur „Oper aller Opern“, quittiert mit kräftigem Beifall und vielen Bravos.

Ursula Wiegand

 

 

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