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BERLIN/ Staaatsoper/Werkstatt: LEZIONI DI TENEBRA von Lucia Ronchetti. Premiere

31.01.2014 | KRITIKEN, Oper

Modernes Musiktheater in Berlin: „Lezioni di tenebra“ von Lucia Ronchetti (Premiere: 30. 1. 2014)

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Eine Glanzleistung boten der Countertenor Daniel Gloger und die Sopranistin Olivia Stahn, die beide je drei Rollen in verschiedener Stimmlage sangen (Foto: Stephanie Lehmann)

 Zu einer packenden Premiere kam es in der Werkstatt der Staatsoper Berlin, die zurzeit immer noch im Schillertheater beheimatet ist: „Lezioni di tenebra“ von Lucia Ronchetti nach „Giasone“ von Francesco Cavalli, die auf dem der griechischen Antike entstammenden Mythos von Jason und Medea basiert und zu den erfolgreichsten Opern des 17. Jahrhunderts gezählt wird. Von der 1963 geborenen italienischen Komponistin brachte die Semperoper Dresden im Vorjahr das Auftragswerk „Contrascena“, das quasi als „Intermezzo im Intermezzo Dorina e Nibbio von Domenico Sarro fungierte.

 Ihre im Februar 2011 im Konzerthaus Berlin uraufgeführte Kammeroper Lezioni di tenebra bezeichnete Lucia Ronchetti als „Riduzione“. Alle Personen des Originals von Cavalli werden von nur zwei Solisten in wechselnden Rollen und einem vierköpfigen Ensemble verkörpert. Die Besonderheit des Werks, für das auch das Instrumentarium angepasst wurde, liegt in der Erweiterung des vokalen und instrumentalen Klangspektrums. Inhaltlich werden die zentralen Themen des Librettos, wie Liebe, Eifersucht und Schmerz, aus der Handlung herausgelöst und in neuen szenischen Räumen und Konstellationen gezeigt.

 Über ihr Werk schrieb Lucia Ronchetti in einem im Programmheft abgedruckten Beitrag: „‘Mit den Augen fühlen und mit dem Gefühl sehen‘ ist ein Vers aus einer der beliebtesten Arien aus ‚Giasone‘ von Francesco Cavalli: sie berichtet von dem leidenschaftlichen Verlangen Jasons, der Medea liebt, ohne sie jemals gesehen zu haben – ihre einzige Begegnung fand im Dunkeln statt. – Die selbstgewählte Blindheit des Paares und die fortschreitende Verdunkelung ihres Schicksals bilden den Kern dieser Neugestaltung.

 Das Werk ist als analytische Adaption Francesco Cavallis ‚Giasone‘ konzipiert, die bewusst die dramatischen Spannungen und Kompliziertheiten des Librettos von Giacinto Andrea Cigognini betont und herausstellt. Fragmente aus Cavallis Partitur werden zitiert, die Continuolinien weiter ausgearbeitet, gänzlich neue musikalische Teile hineingewoben. Dadurch entstehen Beziehungen und dramaturgische Querverbindungen zwischen dem Original und der Bearbeitung, mithilfe derer die Blindheit, das nicht Sehen-Können (-Wollen) als Ausgangssituation hervorgehoben werden.

 Die Handlung der „Lektionen der Finsternis“ (in italienischer Sprache gesungen) spielt sich in 21 kurzen Szenen ab, beginnend mit Liebe und Leben in der Dunkelheit über Blindheit in allen Formen (gewollte und ungewollte, simulierte – auch als Schutz), thematisiert die Dunkelheit auf verschiedene Weise und endet mit der Finsternis des Schicksals. In dieser letzten Szene treten alle Personen auf – und Jason stellt ein letztes Mal die vielen Irrtümer und deren falsch kalkulierte Konsequenzen klar.

 Reyna Bruns gelang eine packende Inszenierung, die dem Publikum während der Aufführungszeit von siebzig Minuten den Atem zu rauben schien. Exzellent ihre Personenführung, die den beiden Protagonisten und dem vierköpfigen Vokalquartett auch schauspielerisch bis zu turnerischen Fähigkeiten alles abverlangte. Die Ausstattung mit nur wenigen Requisiten (ein zerlegbarer Styropor-Torbogen und eine Rüstung) und durchwegs stilgerechten schwarzen Gewändern schuf der Modedesigner Stephan von Wedel.

 Für das Licht war Irene Selka zuständig, zu deren Aufgaben es auch zählte, die Namen der sechs Personen auf der „Rückwand“ der Bühne im richtigen Augenblick zu beleuchten, um dem Publikum anzuzeigen, welche Person eben von den beiden Protagonisten dargestellt wird. So konnte das anfängliche Verwirrspiel in Grenzen gehalten werden.

 Mit hervorragenden stimmlichen und schauspielerischen Leistungen warteten die beiden Hauptdarsteller auf, die je drei Rollen zu singen hatten: die Sopranistin Olivia Stahn spielte und sang Medea, ihren Vertrauten Demo und ihren Geliebten Egeo, der Countertenor Daniel Gloger stellte Jason, seinen Diener Oreste und seine Ehefrau Isifile dar. Die zu bewältigende Schwierigkeit lag vor allem in den verschiedenen Stimmlagen der Figuren und verlangte stimmakrobatisches Können in jenen Szenen, in denen sich beispielsweise Medea mit Egeo oder Oreste mit Isifile „Rededuelle“ lieferten. Es war bewundernswert, wie beide alle Schwierigkeiten meisterten, wobei der Countertenor die mehr feinfühligen und fragilen Figuren verkörperte, während die Sopranistin die handelnden und starken Charaktere darstellte.

 Das Vokalquartett, das in der Art von Schicksalsgöttern agierte, wurde dargestellt von der Sopranistin Sónia Grané, der Mezzosopranistin Lena Haselmann und den beiden Baritonsängern Christian Oldenburg (mit hoher Stimmlage) und Martin Gerke (mit tiefem Bariton). Alle vier waren Bewegungskünstler und legten eine das Publikum begeisternde Spielfreude an den Tag, die sehenswert war.

 Die schillernde Partitur, die zarte Töne bis dramatisch-expressive Klänge aufwies, wurde von Mitgliedern der Staatskapelle und der Orchesterakademie bei der Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Max Renne mit großer Hingabe dargebracht.

 Das Premierenpublikum in der ausverkauften Werkstatt der Staatsoper Berlin lauschte der Kammeroper siebzig Minuten lang in atemloser Spannung, die am Schluss in einen frenetischen, nicht enden wollenden Applaus für alle Mitwirkenden inklusive Regieteam mündete und in zahlreichen Bravorufen – auch für die Regisseurin – gipfelte. Resümee: Es war ein modernes Musiktheater der Extraklasse!

 Udo Pacolt

 

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