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BERLIN/ Schaubühne: „AMPHITRYON“ von Molière und Herbert Fritsch

28.12.2019 | Allgemein, Theater


Auf den Foto von Thomas Aurin sind folgende Schauspieler/innen zu sehen:
Bastian Reiber, Werner Eng, Florian Anderer, Annika Meier, Carol Schuler, Foto Thomas Aurin

BERLIN/ Schaubühne: „AMPHITRYON“ von Molière und Herbert Fritsch, 27.12.2019

Die Bühne ist noch dunkel und leer, da fetzt schon die Musik von Ingo Günther am Klavier und Taiko Saito an der Marimba. Bald danach steht Joachim Meyerhoff auf dem Parkett, der „Star-Heimkehrer“ nach rd. 14 Jahren am Burgtheater Wien. Schon dort hat er mit dem Regisseur Herbert Fritsch zusammengearbeitet und startet nun an der Schaubühne Berlin als Sosias im Stück Amphitryon von Molière, der 1668 sein nach der altgriechische Sage geschriebenes Theaterstück in Paris zur Uraufführung brachte.

Dass Meyerhoff als Sosias „nur“ den Diener des Amphitryon (Florian Anderer) verkörpert – hat das Publikum bei der Premiere am 13. Oktober sehr erstaunt. Erst im Verlauf wird klar, dass diese im Grunde tragische Partie die eigentliche Hauptrolle des Stückes darstellt. Wer bin ich, wer bist du? Oder bist Du ich, und bin ich du? Doch diese Fragen verstecken sich zunächst hinter aufgekratzter Munterkeit und absichtlichem Blödsinn.

Der Feldherr Amphitryon (Florian Anderer) ist hier noch nicht zu sehen. Er hat nur den Sosias losgeschickt, um der Gattin Alkmene von seinem großartigen Sieg über die Feinde zu berichten und seine baldige Heimkehr anzukündigen.

Hin und her tänzelnd beklagt sich Sosias, dass er bei Nacht und Nebel diesen Auftrag erfüllen muss und freut sich, als er endlich das kleine kunterbunte Anwesen im Hintergrund erblickt. Von den Wänden hängen farbige Papierstreifen, die sich auch mal vor Wut herunterreißen lassen. So hat Fritsch selbst seine Bühne eingerichtet, auf der sich später alle in zauberhaften Barockkostümen (erdacht von Victoria Behr) intensiv tummeln.

Noch ist Sosias allein und fragt sich, was er wohl der Alkmene berichten soll, da er selbst nie auf dem Schlachtfeld war! Also lässt er sich wie ein Vorläufer von Relotius (dem fantasiereichen Spiegel-Redakteur unserer Tage) halt was Spektakuläres einfallen und probt genau seinen Auftritt.

Mit der überlangen Ärmelmanschette imitiert er Alkmenes Kopf und schildert ihr das Kampfgeschehen in glühenden Farben. Eine Super-Szene, lustig, aber auch nachdenklich machend. Im Verlauf wird dieser von Meyerhoff so genau Charakterisierte zum stillen Helden der insgesamt 120 irrwitzigen Minuten.


Axel Wandtke, Annika Meier, Carol Schuler, Foto: Thomas Aurin

Denn alle anderen übertreiben absichtlich so arg, dass wohl alle im Saal schmunzeln oder kichern. Die Darsteller/innen sind zumeist in total hektischer Bewegung, trippeln und trappeln, hüpfen und hopsen. Sie werfen sich auf den Boden, einer aus dem Salto heraus, kein Stillstand nirgends und alles wie im Rausch. Artistik vom Feinsten und Komischsten, jeder und jede sein eigenes Tableau vivant bis zum fast schrankenlosen Klamauk. Herbert Fritsch erlaubt offensichtlich, dass sich alle austoben, dass sie ihre Rollen ausleben. Öfter entsteht der Eindruck, sie wollten einander noch übertrumpfen.

Eigentlich sind diese persönlichen Explosionen durchaus verständlich, wird doch Amphitryons Heimkehr gefeiert. Dass statt seiner der verkleidete Jupiter (Axel Wandtke) unerkannt zu Besuch und Beischlaf kam, weiß noch niemand.

Der aber hat Alkmene in Gestalt von Amphitryon in einer deutlich verlängerten Nacht dermaßen beglückt, dass sie vor Lust Grunztöne ausstößt und kaum mehr sie selbst ist. Tatsächlich hat sie, obwohl der überpotente Lover keine dunklen Haare wie Amphitryon hat, den getarnten Göttervater für ihren Gatten gehalten. Stammt daher vielleicht der Ausdruck „mein Göttergatte“? Kann soviel Irrtum möglich sein?? Schlag’ nach bei Molière, dessen übersetzte Reime sie alle akkurat im Munde führen.

Jupiter hat den Götterboten Merkur (Bastian Reiber) als Begleiter, der sich manchmal mit nacktem Oberkörper wie ein stolzer Boxer präsentiert, darüber hinaus jedoch in die Rolle des Sosias schlüpft, den echten Sosias in Kampftechnik angreift und ihn vor allem total verunsichert.

Der zu Amphitryon gehörige Sosias fragt sich bang, wer er denn nun eigentlich sei. Erkennt sich selbst nicht mehr, weiß nicht mehr genau, wer er ist und bettelt den rüden Kontrahenten, doch wenigstens als Sosias II gelten zu dürfen. Wie die meisten Komödien hat also auch diese einen doppelten Boden. Hinter dem überaufgedrehten Irrsinn lauert der persönliche Abgrund. Die Dienerrolle, von Meyerhoff in allen Facetten dargeboten und durchgelitten, wird wirklich zur Hauptrolle. Und es ist ja nur Merkur, der den Sosias so peinigt, nur der Bote von Jupiter!

Und Alkmene, die laut der Sage so wunderschöne und äußerst kluge Frau? Die lässt sich von dem richtigen Gatten keinen Treuebruch vorwerfen. Mit hochgerecktem Kinn und harscher Stimme weist sie alle Schuld von sich, was nun auch Amphitryon an seiner Identität zweifeln lässt. Herr und Diener in einem Boot.

Und da ist auch noch Cleanthis, eine von Molière hinzu erfundene Rolle, die hundertprozentig zu Carol Schuler passt. Die hat den Merkur zum Mann, der nach 15 Ehejahren nicht mehr an ihr interessiert ist. Mit dem Spruch, leises Laster sei ihm lieber als keifende Tugend, geht er vondannen. Doch nun streift sie den langen Rock ab, und zeigt sich als Tanzmaus mit sehr hübschen Beinen. Alle Damen und Herren glänzen mit schlanken Beinen, auch Werner Eng, als Puffmutter mit rauchiger Stimme.

Nach all’ dem übermütigen Getobe und manch tragisch-komischen Passagen kommt schließlich die Stunde der Wahrheit: Jupiter gibt sich zu erkennen und übergibt Alkmene dem richtigen Gatten. Sehr glücklich sehen beide dabei nicht aus, und auch das Geschenk Jupiters, das er hinterlässt, ist zumindest für den düpierten Echt-Gatten eine Zumutung, wird Alkmene bereits die Geburt des Helden Herakles prophezeit. Die Menschen als Spielball der Götter oder der jeweils Mächtigen. Eine Wahrheit, die sich hinter Jubel, Trubel und Heiterkeit verbirgt. Doch nur nicht zu sehr grübeln. Zuletzt vereinen sich alle zum Tänzchen.

Der Applaus ist riesig und auch voll verdient. Etwas Abschiedsschmerz ist ebenfalls inkludiert, wird doch Herbert Fritsch nach dieser vierten Arbeit die Schaubühne auf eigenen Wunsch verlassen. Was er danach machen wird oder wo, ist ein bisher gut gehütetes Geheimnis. Die Schauspieler Axel Wandtke, Bastian Reiber und Joachim Meyerhoff, die mit Fritsch arbeiten, bleiben auch dem nach Sommer 2020 noch an der Schaubühne. Mit anderen Mitgliedern von Fritschs Ensemble befände man sich noch in Gesprächen, teilte das Haus mit.

Doch noch ist Gelegenheit, sich für Fritschs „Amphitryon“ zu begeistern. Die nächsten Termine: 29., 30., und 31. Dezember, dann am 2., 3. und 4. Januar sowie am 7., 8. und 9. Februar 2020. Die bisherigen Vorstellungen waren stets ausverkauft. www.schaubuehne.de

Ursula Wiegand

 

 

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