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BERLIN/ Philharmonie: WEIHNACHTSKONZERT des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin


Vladimir Jurowski dirigiert das RSB. Foto: Matthias Creutziger

Berlin / Philharmonie: Weihnachtskonzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, 23.12.2018

Für die Weihnachtsmusik des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB) sorgt der Chef, und da der Vladimir Jurowski heißt, fällt die etwas anders aus, reichhaltiger und internationaler als zu diesem Anlass gewohnt.

Mit dabei an diesem Abend in der Philharmonie ist die traditionsreiche Berliner Singakademie, mit der Felix Mendelssohn-Bartholdy Bachs Matthäus-Passion 1829 aus der Versenkung geholt hatte. Zur Stelle sind auch der Berliner Mädchenchor sowie Knaben des Staats- und Domchors Berlin, dessen zunächst bescheidene Anfänge sogar bis 1465 zurückreichen. Die Solo-Partien singen Christopher Purves Bassbariton, Andreas Scholl Countertenor und Altus, Olga Pasichnyk Sopran und Jan Petryka Tenor.

Das Konzert beginnt mit dem „Psalm 23 für gemischten Chor und Orchester“ op. 14 von Alexander Zemlinsky (1871-1942), geschaffen für den Philharmonischen Chor, Wien, und dort 1910 mit großem Erfolg uraufgeführt. Die Anweisungen des Komponisten heißen: in ruhig-heiterer Bewegung, sehr ruhig, breit mit großem Ausdruck und sehr breit. Jurowski folgt diesen Vorgaben mit akkurater Zeichengebung, zusammen mit dem RSB und der Berliner Singakademie, einstudiert von Achim Zimmermann.

Die Anfangszeile: „Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln“ bestimmt das anschließende musikalische Geschehen. Harmonisch und volltönend schwingt dieser Psalm in der Übersetzung durch Martin Luther durch den großen Saal. Dass Arnold Schönberg Zemlinskys Lehrer gewesen ist, hat in dieser traditionellen Musik keinen Niederschlag gefunden. Das unerschütterliche Gottvertrauen und die daraus gespeiste persönliche Zuversicht werden 11 Minuten lang mit wogender Begeisterung gesungen und musiziert.


Andreas Scholl. Foto: James McMillan

Soviel Drum und Dran braucht der bescheidene Arvo Pärt nicht. Sein „Wallfahrtslied – Psalm 121 für Countertenor und Streichorchester“ ist eine stille, nachdenkliche Musik. Dieser Psalm wird von allen christlichen Konfessionen nach wie vor gebetet und nun von Andreas Scholl mit Wohllaut dargeboten. Pärt hat, erschreckt vom plötzlichen Tod eines Freundes, nach eigenen Wort versucht, mit der Vertonung dieses Psalms eine Brücke zu schlagen über den Graben zwischen dem Leben und dem Jenseits.

In Arvo Pärts zarten und absichtlich einfach komponierten Melodien – schön gesungen vom Countertenor Andreas Scholl – herrscht eine seltene vorweihnachtliche Ruhe. Das gleiche gilt für sein bekannteres „Vater unser“, das er auf Anregung von Andreas Scholl für Countertenor umgearbeitet hat. Nur mit Stimme und Streichern plädiert er für Demut, eine heutzutage total unmoderne Tugend.

An Johann Sebastian Bach kommt aber auch Jurowski nicht vorbei, hat jedoch die weniger bekannte Kantate Nr. 63 ausgewählt, die älteste von sechs Weihnachtskantaten, komponiert um 1713. Sie trägt den sonderbaren Titel „Christen, ätzet diesen Tag“.

Dieser Tag soll in Metall und Stein verankert werden, lautet die erste Textzeile, also nicht vergessen werden. Der junge Bach gibt sich passend zum teilweise recht rüden Text (womöglich von Heineccius) öfter kämpferisch und siegesgewiss. Nichts da von lieblicher Hirtenmusik oder einem Wiegenlied für das Jesuskind.


Berliner Singakademie. Copyright: Berliner Singakademie

Die Berliner Singakademie ist nun im Halbkreis aufgestellt mit den Sopranistinnen vorne links, was sich als sehr passend erweist. Jurowski dirigiert jetzt ohne Taktstock, nur mit seinen Händen und seinem mitschwingenden Körper, aber ohne zu übertreiben. „Bach muss man tanzen“, dieser Ausspruch kommt mir sogleich in den Sinn.

Schon strahlt der Klang von 4 Trompeten empor, gesellen sich Oboen, Pauken, Fagott und Basso continuo hinzu, außerdem die vier Gesangssolisten. Andreas Scholl singt weiterhin ausdrucksvoll und mit kleinen Gesten, der Tenor Jan Petryka mit Wärme. Beide passen im Duett gut zusammen.
Das andere Paar harmoniert stimmlich weniger gut. Der Sopran von Olga Pasichnyk glitzert in der Höhe, wird manchmal schrill. Christopher Purves, der Bassbariton, trumpft mit viel Tiefe auf. Beim Miteinander übertönt sie ihn deutlich, zumal es seiner Stimme an Beweglichkeit fehlt. Als Solisten sind beide dann besser. Doch am allerschönsten singt die Oboe von Clara Dent-Boganyi. Ausdrucksvoll umrahmt sie nach Bach’scher Art die Solisten. Das ist einfach wunderbar und Weihnachtsandacht pur. Das klingt noch beim fulminanten Schluss im Herzen nach.

Abwechslungsreich hat Witold Lutoslawski (1913-1994) seine 20 volkstümlichen polnischen Weihnachtslieder gestaltet, 12 davon sind zu hören. Bewusst ist der Pole bei der traditionellen Musik geblieben. Liebe und Zärtlichkeit herrschen vor, das Jesuskind wird tonschön geherzt und verwöhnt. In dieser Rolle, zumal in der Mittellage, klingt nun Olga Pasichnyk, die auf Polnisch singt, angenehm.
Lustig wird’s, wenn die Hirten dazukommen. Hej! Hej! Hej! singt dann munter der Mädchenchor, einstudiert von Sabine Wüsthoff. Das letzte Lied erinnert noch einmal an die schwierige Herbergssuche der hochschwangeren Maria. Es ist ein armer Bauer, der der „wunderschönen Frau“ ein Nachtlager in seinem Schuppen anbietet.

Echt international wird es zuletzt bei der „Une Cantate de Noël“ von Arthur Honegger (1892-1955), und jetzt scheint Jurowski voll in seinem Element zu sein. Nun wird alles aufgeboten: neben der Singakademie auch der Mädchenchor sowie die Knaben des Staats- und Domchors Berlin, einstudiert von Kai-Uwe Jirka. Die hellen Kinderstimmen klingen schön durch die Philharmonie.
Bei der ersten Zeile „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“ rauschen die Orgel und die tiefen Streicher wie am Abgrund, und erst nach den Bässen setzen die Soprane der Singakademie ein. Den Beginn der Kantate hat Honegger dunkel und dissonant komponiert, so tief stecken die Menschen im Unglück, so intensiv und schrill schreien sie nach Hilfe.

Doch schnell macht der Knabenchor mit „Freu dich, o Israel“, den Elenden Mut. Überzeugend bringt auch Christopher Purves sein Solo „Fürchtet euch nicht“. Danach geht es vielsprachig weiter mit „Es ist ein Ros’ entsprungen auf Deutsch, mit der Geburtsfeier für das göttliche Kind auf Französisch, mit eingestreuten Sätzen aus „O du Fröhliche“. Alles wird mehr und mehr ineinander verwoben und schließt auf Latein mit dem „Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto“.

Nach den vorangegangenen voluminösen und klangprächtigen Teilen wird dieses Welt umspannende Gotteslob erstaunlicherweise leise und eindringlich gesungen. Umso kräftiger braust gleich danach der Jubel durch die Philharmonie.

Ursula Wiegand

 

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