Berlin/ Philharmonie: RSB mit Christian Tetzlaff, 26.05.2013
Christian Tetzlaff, Foto Giogina Bertazzi
Eigentlich hätte so einer wie Christian Tetzlaff nach seinem Karrierestart vor rd. 20 Jahren – bei entsprechender PR – die Berliner Philharmonie auch komplett mit jungem Publikum füllen können. So wie es David Garrett seit einigen Jahren schafft. Vermutlich könnte Tetzlaff das noch immer gelingen, wenn er es denn wollte, ist er doch nicht nur exzellent anzuhören, sondern auch gut anzusehen.
Denn er geigt mit seinem ganzen Körper, wiegt und biegt sich rhythmisch mit der Musik, ohne dass es affektiert wirkt. Schwärme ich also für ihn? Nein, das nicht. Aber in unserer bilderverwöhnten Zeit wird es immer wichtiger, dass Künstler aller Couleur – ob sie ein Instrument spielen oder singen – auch ansprechend aussehen. Dafür lässt sich ja was tun! „Augen zu und durch“ – das sollte heutzutage eher die Ausnahme sein.
Vermutlich spielt Christian Tetzlaff Mozarts „Violinkonzert Nr. 3 G-Dur“, KV 216 ähnlich lebhaft, wie es der junge Wolfgang Amadeus getan hat. Und wenn ich dabei mitunter an niveauvolle Dinner- oder Kaffeehausmusik denke, ist das kein Sakrileg. Mozart selbst unterhielt mit diesem G-Dur-Konzert die Gäste beim Speisen. Am 25. Oktober 1777 schilderte er es in der ihm eigenen Orthographie seinem Vater: „ …“auf die Nacht beim soupèe spiellte ich das strasbourger-Concert. Es ging wie öhl. Alles lobte den schönen und reinen Ton.“
Tetzlaff spielt es mit einem sicherlich ebenso schönen und reinen Ton, bringt feinste Pianissimi und kräftige Aufschwünge. Das Adagio streicht er mit solcher Süße, dass es mir fast zu zuckrig wird. Aber auch das möglicherweise genau wie Mozart, der seine Violinkonzerte zwar oft selbst gespielt, sie aber kompositorisch nicht als überragend eingestuft hat, was sie dennoch in seiner Zeit gewesen sind. Mozarts gewisse Selbstironie gegenüber den Stücken, die er als Primgeiger in Salzburg komponierte, lässt auch Tetzlaff anklingen.
Doch weit mehr in seinem Element ist er bei den Herausforderungen, die das Violinkonzert von Leoš Janáček an die Interpreten stellt. Es geht um die aus Skizzenblättern rekonstruierte „Wanderung der kleinen Seele“, JW IX/10.
Der Hintergrund ist Janáčeks späte und 11 Jahre dauernde Schwärmerei für die rd. 40 Jahre jüngere, verheiratete Kamila Stösslová. Eine (offenbar platonische) beiderseitige Liebesbeziehung. Bei ihm voll von Aufruhr und innerer Glut für diese junge Frau, die er Seele oder Seelchen nannte. Nur 12 Minuten voller Leidenschaft, Schmerz, Innigkeit und letztendlicher Entsagung.
Schrille spitze Töne, harte Passagen, dann wieder schwebende Melodiefetzen – wahrscheinlich ungeheuer schwierig zu spielen. Tetzlaff als Teufelsgeiger, wie ich ihn vor vielen Jahren erlebt und damals so bezeichnet habe. Mit Körperkraft gestaltet er das Fortissimo, um dann wieder ganz, ganz leise zu werden. Eine großartige Hinterlassenschaft des Komponisten – ebenso großartig gespielt.
Nach dem hübschen – pardon – Getändel des jungen Mozart nun die Zerrissenheit eines Mannes am Ende seines Lebens, tragisch und aufrüttelnd. Dem freundlichen Beifall für die Mozart-Interpretation folgt nun der kräftige Applaus für Tetzlaffs überzeugende Janáček-Darbietung.
Aber wer ist eigentlich Josef Suk (1874-1935), dem sich nun das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) mit deutlichem Engagement widmet? Er war der Schüler und Schwiegersohn von Antonín Dvořák. Dessen Tod in 1904 traf ihn tief. Suk, der bis dato hauptsächlich Quartette komponiert und darin die 2. Geige gespielt hatte, fühlte das Bedürfnis, dem Lehrer und Freund mit einem großen Werk die letzte Ehre zu erweisen. Doch noch viel dramatischer wurde Suks Situation, als im folgenden Jahr auch seine geliebte Frau Otylka Dvořákova mit nur 27 Jahren verstarb.
Das Ergebnis seiner Verzweiflung und doppelten Trauerarbeit ist die Symphonie Nr. 2 c-Moll op. 27 »Asrael«, begonnen im Jahr 1905. Asrael ist der Todesengel, der die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits geleitet – je nach Lebenswandel in den Himmel oder in die Hölle. Diese konträren Möglichkeiten bringt Suk deutlich zum Ausdruck.
Jakub Hrůša, Foto Zbynek Maderyc
Mit Verve nimmt sich der 32jährige tschechische Dirigent Jakub Hrůša – Chef und der Prager Philharmonie und bereits ein international gefragter Star – diesem weithin unbekannten Werk seines Landmannes an. Er gliedert das fast einstündige, stilistisch noch dem 19. Jahrhundert verpflichtete Stück und liefert uns eine große Überraschung.
Dumpf setzen die Celli ein, begleitet von düsterem Trommelwirbel. Immer wieder übernehmen sie und die Contrabässe (je 8 an der Zahl) eine führende Rolle, werden dann aber mit Bläsern und Violinen konfrontiert. Ein Riesengemälde entsteht, Moll und Dur in Konfrontation, oft in intensiver Klangentfaltung. Das Schicksal bricht tatsächlich mit Pauken und Trompeten über Suk, den zuvor Glücklichen, herein. Eine Klarinette jault vor Todesangst. Alles vergebens, es gibt kein Erbarmen.
Suk, bewandert in den Kompositionen der Zeitgenossen, lässt neben Dvořák auch Mahler, Wagner und eigene frühere Werke anklingen. Der 2. Teil wird der spürbar persönlichste. Mit „An Otylka“ ist das Adagio überschrieben. Es mündet ins Adagio maestoso und endet nach offenbar innerem Kampf und choralartigen Klängen in C-Dur. „Weißt Du, was ich durchmachen musste, bis ich dieses letzte C-Dur erreichte?“ hat er danach geschrieben. Den inneren Frieden hat er dennoch nicht gewonnen. Die 30 Jahre nach Otylkas Tod blieb er, ein ruhelos Reisender, allein.
Jakub Hrůša und das RSB werfen sich in diese Symphonie, die im Schatten der „Konkurrenz“ geblieben ist, und begeistern das konzentriert lauschende Publikum. Zuletzt tosender, lang anhaltender Beifall. Immer wieder muss sich der Dirigent dem Applaus stellen und teilt ihn mit den Musikern. Ursula Wiegand