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BERLIN/ Philharmonie/ Musikfest: ERÖFFNUNG MIT PITTSBURGH SYMPHONY ORCHESTRA UND ANNE-SOPHIE MUTTER

Philharmonie/ Musikfest Berlin – großartige Eröffnung mit Anne-Sophie Mutter und dem Pittsburgh Symphony Orchestra, 31.08.2013

Das Musikfest Berlin vom 30.08. bis zum 18.09. ist im diesem Jahr augenscheinlich besonders hochkarätig besetzt. Nach dem „Warmlaufen“ mit dem Emerson String Quartet im Kammermusiksaal am 30.08. bietet das offizielle Eröffnungskonzert tagsdarauf sogleich absolute Highlights. Das vor allem dank Anne-Sophie Mutter, und sicherlich ist ihretwegen die Philharmonie komplett ausverkauft.

Musikfest Berlin vom 30.08. - 18.08.2013
Honeck mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra,  © Berliner Festspiele/ Kai Bienert
 
Doch diese großartige Geigerin bringt nichts Gängiges, sondern „Chain II. Dialog für Violine und Orchester“ von Witold Lutosławski, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr weithin gefeiert wird. Er hat es dem Baseler Dirigenten und Mäzen Paul Sacher gewidmet.

Nun widmet sich Frau Mutter mit all’ ihrem stupenden Können und all’ ihrer Hingabe Lutosławskis Werk. Und das nicht zum ersten Mal. 1986 hat sie es uraufgeführt, und wie sie es tat, hat den Komponisten unglaublich überrascht und gerührt: „Als ich sie zum ersten Mal „Chain II“ spielen hörte, war dies für mich eine einzigartige und unvergessliche Erfahrung. Von solch einem Klang und einer derartigen Interpretation meiner Kompositionen für Violine hätte ich nie zu träumen gewagt,“ so seine Äußerung.

Anne-Sophie Mutter betrat damals auch für sich selbst Neuland, und leicht ist ihr das nach eigenem Bekunden nicht gefallen. Sacher hat ihr 1985 die Geigenstimme für „Chain II“ einfach so in die Hand gedrückt. „Ich war geschmeichelt und geschockt gleichermaßen, und habe dann den ganzen Herbst verzweifelt an dem Stück gearbeitet. Nicht über den Notentext habe ich das Stück letztlich für mich erschlossen, sondern über die Sinnlichkeit der Musik. Lutoslawski hat ein unglaublich subtiles Verständnis der Geige mit ihren schier unerschöpflichen Klangmöglichkeiten,“ war kürzlich in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ zu lesen.

Und noch einen Schlüsselsatz hat diese Ausnahme-Interpretin hinzugefügt: „Partituren muss man mögen wie Menschen.“ Seither hat sie mit großem Engagement 20 Werke zeitgenössischer Komponisten/innen aus der Taufe gehoben.

Dass Anne-Sophie Lutosławskis Werk mochte und noch immer sehr mag, ist bei jedem Ton herauszuhören. Und dass dieses Stück ihr und dem ebenfalls engagiert aufspielenden Pittsburgh Symphony Orchestra unter Manfred Honeck weite Spielräume lässt, kommt ihr sicherlich sehr gelegen.

Lutosławski hat es zweigeteilt: drei der kurzen Sätze werden frei (Ad libitum) musiziert. Abwechseln dazu werden die drei übrigen in üblicher Weise (A battuta) dirigiert. Insgesamt erleben wir 18 Musikminuten mit höchster Konzentration, beginnend mit ganz zarten Violinlinien, die mich manchmal an Vogelgezwitscher erinnern.

Den Dialog mit dem Orchester nimmt Anne-Sophie ebenfalls ernst, antwortet genau der Gesamtheit und einzelnen Instrumenten. Unendlich zart und liebevoll geht sie zu Werke, greift dann aber auch, wenn erforderlich, nachdrücklich in die Saiten. Eine Darbietung wie jenseits dieser Welt, so mein Eindruck, belohnt mit tosendem Applaus. Immer wieder muss sie sich zeigen und strahlt glücklich. In ihrem türkisfarbenen schulterfreien Abendkleid ist die schöne Anne-Sophie auch optisch ein Genuss. Doch bei ihrer Arbeit steht sie ganz im Dienste des Komponisten.

Ebenso wie Lutowski hat es auch bei Léoš Janáček lange gedauert, ehe er die Musik schrieb, die er eigentlich schreiben wollte. 1877, mit 23 Jahren, war er noch nicht soweit, hat nach seiner „Suite für Streichorchester“ noch einmal in Leipzig die Schulbank gedrückt, um Kompositionstechnik zu studieren. Eine eigene Entscheidung, obwohl ihm feste Regeln eigentlich zuwider waren.

Ein solches Korsett wird hier also noch nicht hörbar. Diese Suite mit ihren 5 kurzen, mehrheitlich langsamen Sätzen gibt sich als leichtfüßiges, sehr melodiöses Werk eines jungen begabten Mannes, als eine Musik, gemalt ohne Dissonanzen, die nicht selten Beethoven und die Romantiker anklingen lässt. Insgesamt ein müheloser Einstieg in dieses Eröffnungskonzert, von Honeck und den Seinen (in kleinerer Besetzung) tänzerisch swingend dargeboten.

Solch anfängliche Selbstzweifel hat Richard Strauss wohl kaum gehegt. 34 Jahre jung war er, als seine Tondichtung „Ein Heldenleben“ für großes Orchester op. 40 (hier mit dem ursprünglichem Schluss) fertig war. 12 Jahre hat er daran gearbeitet. Nach Meinung von Experten trägt das Werk autobiographische Züge, was den Schluss nahe legt, dass er sich schon als 26Jähriger (nicht zu Unrecht) als künftiger Held fühlte.

Daher hat er es auch gewagt, mit dem vollen Klangapparat aufzutrumpfen, mit Dissonanzen und Angriffsgeknatter das damalige Publikum zu schocken und außerdem das sonst so allmächtige Orchester mit „dazwischenquatschenden“ Flöten und der sich immer wieder hineindrängenden Geige zu brüskieren.

Die Geige nennt der durch das Orchester verkörperte Held seine Gefährtin, doch es ist ein durchaus ambivalentes Verhältnis. Die Partnerin hat Eigensinn, verlangt selbstbewusst ihr Recht und setzt sich durch. Erst im letzten Satz wird daraus doch noch eine heraus hörbare Liebesbeziehung. Der Held (der Mann) hat obsiegt. Na klar.

Anne-Sophie Mutter und Manfred Honeck strahlen, Foto Kai Bienert
Anne-Sophie Mutter und Manfred Honeck strahlen, © Berliner Festspiele/ Kai Bienert

Das Pittsburgh Symphony Orchestra, nun in großer Besetzung, lässt sich jedenfalls nicht unterbuttern und entfaltet seine ganze Pracht, Power und Präzision. Und Honeck, lange Jahre Bratscher und Geiger bei den Wiener Philharmonikern, weiß genau, wie er was aus den einzelnen Instrumentengruppen herausholen kann, Gewaltexzesse und Zart-Sinnliches gleichermaßen. Der inzwischen weltweit gefragte Dirigent und seine Musiker laufen zur Hochform auf und versetzen die Zuhörer in Begeisterung.

Der starke Applaus und die Bravos animieren auch die Pittsburgher und ihren Dirigenten. Die machen nicht Dienst nach Vorschrift, sondern bieten – bei Orchestern selten genug – noch zwei Zugaben, u.a. eine Schubert-Litanei bearbeitet von Max Reger. In herrlichem Legato schwebt sie durch den großen Saal. – Insgesamt also ein Musikfest-Auftakt nach Maß? Nein, mehr als das!

Ursula Wiegand

 

 

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