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Berlin / Philharmonie; „ELIAS“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, dirigiert von Kirill Petrenko. Ein grandioser Jahresauftakt

Berlin / Philharmonie; „ELIAS“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, dirigiert von Kirill Petrenko. Ein grandioser Jahresauftakt#

14.1.2023

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Berliner Philharmoniker, Rundfunkchor Berlin, Kirill Petrenko und die Solisten. Copyright: Lena Laine

Es macht wohl einen entscheidenden Unterschied, ob Mendelssohns Oratorium „Elias“ das Publikum im Saal von einer Empore aus in spätromantischen Wohllaut hüllt oder die Mitwirkenden tatsächlich zu sehen sind. Auch wenn sie alle nur ansatzweise ihre Rollen darstellen können, ist das ein großer Vorteil, der den alttestamentlichen Propheten und sein Umfeld aus der fernen Vergangenheit in die Gegenwart holt.

So der persönliche Eindruck nach mehrfachem Hören dieses Meisterwerks, mit dem sich Mendelssohn rund zehn Jahre lang beschäftigte, ehe der „Elias“ am 26. August 1846 in Birmingham – unter Beisein von Queen Victoria – uraufgeführt und sofort akzeptiert wurde. Im damaligen Deutschland stieß dieses Oratorium wegen des jüdischen Textes zunächst auf Reserviertheit. Dass Mendelssohns Musik im Dritten Reich quasi verboten war, dürfte bekannt sein. Doch im 21. Jahrhundert ist gerade dieses Oratorium zum Renner geworden.

Welch wunderbare Musik ist nun vielerorts zu hören und in der Berliner Philharmonie auch echt zu erleben. Kirill Petrenko dirigiert mit sichtlicher Leidenschaft und vollem Körpereinsatz. Um was es in diesem dramatischen Oratorium geht, und welch ein Typ dieser Prophet überhaupt ist, wird schnell klar, zumal sich auch die Berliner Philharmoniker in die Partitur werfen.

Mit dem Rundfunkchor Berlin und dessen eigenen Solisten, einstudiert von Gijs Leenaars, sind weitere Könner überzeugend am Werk. Erst die gesangliche Parteinahme für den Götzen Baal kombiniert mit der Ablehnung des Elias, später die Rückkehr der Israeliten zum wahren Gott mitsamt der Rehabilitierung des Elias – diese Spannweite deckt der Rundfunkchor in idealer Weise ab.

Selbstverständlich sind die jeweils zwei Solistinnen und Solisten ebenfalls große Klasse. Doch die vielfach in solchen Fällen gewählte Bezeichnung „Luxusbesetzung“ trifft hier nicht den Kern. Was nützen die schönsten Stimmen, wenn sie nicht genau hören lassen, was die geschilderten Menschen fühlen und was sie antreibt.

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Christian Gerhaher und die Berliner Philharmoniker. Foto: Lena Laine

Dieser Erwartung und Notwendigkeit wird Christian Gerhaher als Elias überzeugend gerecht. Mit seinem kräftigen Bariton zeichnet er nicht nur den zunächst harten Propheten, der den Israeliten zunächst drohend ihre Hinwendung zum Baal-Kult vorwirft und sie heftig zur Umkehr auffordert.

Elias’ mehrfaches, „Rufet lauter“, mit dem er die Baal-Anhänger verspottet, und in das der Chor einfällt, ist ein kraftvoller Höhepunkt. Er gilt der Bitte um Regen während einer schon jahrelang anhaltenden Dürre. Klimaschwankungen sind also keine Neuheit. Immerhin rauschen dann aus einer kleinen Wolke Wassermassen herab, und das Volk jubelt.

Dennoch ist der Baal-Kult noch nicht besiegt, Elias fühlt sich daher als Versager und flüchtet voller Todessehnsucht in die Wüste. Wie Gerhaher zunächst Zorn und Enttäuschung Ausdruck verleiht, dann aber im zweiten Teil zunächst nachdenklich und dann wieder mutig wird, ist eine besondere Leistung.

Er singt nicht nur seinen Part, nein, er färbt jedes Wort sorgsam ein, fällt manchmal fast in den Sprechgesang, und seine Mimik verrät ebenfalls vieles. Der zornige Prophet muss einsehen, dass er das Volk nicht umerziehen kann und wünscht sich den Tod.

Sein „Es ist genug“ erinnert an Johann Sebastians Bachs „Es ist vollbracht“. Denn es war bekanntlich Mendelssohn, der Bachs Matthäus-Passion, das diesen Satz enthält, aus der Versenkung geholt hatte. Am 11. März 1829 hat er sie zusammen mit der Berliner Singakademie wieder aufgeführt und zu neuem Leben erweckt.

Doch wundersam wird laut dem Alten Testament Elias von einem Vogel ernährt und bekommt wieder Mut. Vielleicht ist es Mendelssohn mit seinem „Elias“- Oratorium ähnlich ergangen, das rund ein Jahr vor seinem frühen Tod fertig wurde.

Soviel Variationsbreite wie dem Elias hat er den übrigen Solisten nicht abgefordert, doch einseitig sind ihre Rollen keineswegs. Auch sie sind äußerst passend ausgewählt, glänzen aber anfangs zumeist in Duetten und Quartetten.

Elsa Dreisig (von der Berliner Staatsoper) mit brillanten Sopran, und Wiebke Lehmkuhl, mit warm leuchtendem Mezzo, bringen das alles wunderschön zu Gehör. Mit strahlendem Tenor bedient Daniel Behle seine Doppelrolle als König Ahab und Obadjah, Palastvorsteher des Königs, aber dem Elias zugetan.

Auf den Befehlt Gottes, der ihm unsichtbar erschienen ist, kehrt Elias, wieder gekräftigt, nach Israel zurück, um die 7.000 dortigen Gottesgläubigen zu stärken. Er stürzt den König und wird in einem Feuerwagen in den Himmel transportiert. Mit einem Quartett und dem Schlusschor  „Alsdann wird Euer Licht hervorbrechen“ – ein Hinweis auf den folgenden Messias – endet jubelnd diese Ausnahme-Aufführung.

Und anders, als sonst zumeist in Berlin üblich, springt das Publikum sofort auf und feiert alle Mitwirkenden und insbesondere Christian Gerhaher mit „standing ovations“. Ursula Wiegand

 

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