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BERLIN / Philharmonie: DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG VON NUNO CÔRTE-REALS „SINFONIA 2022″ MIT DEN BERLINER SYMPHONIKERN –

BERLIN / Philharmonie: DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG VON NUNO CÔRTE-REALS „SINFONIA 2022″ MIT DEN BERLINER SYMPHONIKERN – 13.04.2025

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NUNO CÔRTE-REAL und Orchester. Foto: Stefan Pieper

„Eigentlich möchte ich, dass meine Musik als eine ganz freie verstanden wird. Frei von ästhetischen Strömungen, Institutionen und Zirkeln. Ich möchte ein freier Mensch sein – und das möchte ich für meine Musik in Anspruch nehmen“, so formuliert Nuno Côrte-Real, portugiesischer Dirigent und Komponist in Personalunion, sein Anliegen – und genau das entfaltete sich in authentischen Klangfarben, als Côrte-Real in der Berliner Philharmonie vor den Berliner Symphonikern am Pult stand bei der deutschen Erstaufführung seiner „Sinfonia 2022″.

Der aus Portugal stammende Künstler, hierzulande immer noch etwas unterschätzt, zeigte eindrucksvoll, warum er in seiner Heimat als einer der führenden Vertreter zeitgenössischer Musik gilt. Das Orchester spielte unter Côrte-Reals Leitung wie entfesselt, sodass auch der programmatische Hintergrund dieses zeitgenössischen Werkes unmittelbar und eindringlich spürbar wurde: Es geht – natürlich – wenn solch ein Werk nach dem „Zeitenwende“-Jahr 2022 benannt wurde, um die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine aus der Perspektive eines „Menschenfreundes und Pazifisten“, wie sich Nuno Côrte-Real selbst bezeichnet. Berlins prominentester Konzertsaal, von Hans Scharoun in konsequenter Verweigerung des rigiden „Schuhkarton“-Prinzips erbaut, erwies sich durch seine organische Architektur als idealer Resonanzraum für ein solches Konzerterlebnis, bei dem auch eine gesellschaftliche Intentionen mitschwingt.

Wir wissen nicht, was das Morgen bringt…

Der erste Satz heißt „In Search of Darkness“ und klingt so wie er heißt, wenn dessen geheimnisvolle, bedrohliche Atmosphäre von subtilen Dissonanzen und beunruhigenden Blechbläser-Kommentaren geprägt ist. Die Berliner Symphoniker tauchten auf Anhieb in diese Klangsprache ein, die zwischen lyrischer Verdichtung und expressiver Entladung pendelt. Der zweite Satz, „Song of Death“, setzt wie ein Kommentar von anderer Warte eine meditative, manchmal fast sakrale Schlichtheit entgegen, in der tiefe Blech-Fanfaren und ausbalancierte Streicherklänge eine Atmosphäre sakraler Intimität erzeugen, während das Glockenspiel feine Lichtpunkte setzt. Die „Nuclear Marching Band“ bildete das satirische Herzstück – mit durchbrochenen Marschrhythmen, schrillen, ins Leere laufenden Trompetenfanfaren und einer rebellischen Snare-Drum, was auf ähnlicher Wellenlänge funkte wie etwa Schostakowitschs sarkastische Kommentare zu totalitären Machtdemonstrationen. Die Berliner Symphoniker agierten phasenweise eher wie eine Band als ein klassisches Orchester – angetrieben vom rockigen Puls des Schlagzeugs. Der abschließende Satz „I know not what tomorrow will bring“ verweigerte dann in logischer Konsequenz eine leichtfertige Hoffnungsbotschaft. Spektakulär wirkte auch, mit welch glockenklarer Brillanz die Orgel in der Philharmonie erklang und dem Werk eine erweiterte Klangdimension verlieh, womit diese Berliner Aufführung sogar noch über die Uraufführung der Sinfonie 2022 in Lissabon hinausgewachsen sein dürfte. Auch das Schlagwerk sorgte für dramatische Höhepunkte des Abends: rauschende Beckenschläge, die wie Naturgewalten durch den Raum fegten, präzise Marimbamotive und immer wieder jene rebellische Snare-Drum, die dem Ganzen erst seine treibende Energie verlieh.

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NUNO CÔRTE-REAL. Foto: Stefan Pieper

Intuitive Einsicht

Auch dem Nicht-Spezialisten im Publikum wurde intuitiv klar, welches Anliegen hinter Côrte-Reals Verschmelzung unterschiedlichster musikalischer Idiome steht. Wenn die rhythmisch-motorischen Passagen eine Koexistenz zwischen Minimal Music, rockigen Elementen und atmosphärisch-romantischen Wendungen pflegen, dann reflektiert dies die Gleichzeitigkeit verschiedener musikalischer Welten unserer Gegenwart. Auf dem Programm dieses Nachmittagskonzertes stand aber nicht nur diese deutsche Erstaufführung. Eingebettet war sie in eine klug konzipierte Abfolge, die mit einer temperamentvollen Don Giovanni-Ouvertüre begann und nach der Pause mit Johannes Brahms‘ erster Symphonie in ein muskulös-auftrumpfendes Finale mündete. Die Reaktion des Publikums war enthusiastisch und hatte sich – vor allem in der Sinfonia 2022 – in so manchem spontanen Szenenapplaus geäußert. Erst Ende letzten Jahres hat Nuno Côrte-Real seine CD „Kind of Classic“ veröffentlicht und schon ist das nächste Album in Arbeit. Unmittelbar im Anschluss an das Konzert wird nun in den Teldex Studios mit den Aufnahmen der Sinfonie 2022 und weiteren Werken für eine neue CD-Einspielung mit den Berliner Symphonikern begonnen.

Stefan Pieper

 

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