Berliner Philharmoniker mit Philippe Jaroussky und Jean-Christophe Spinosi. Foto: Stephan Rabold
Berlin/ Berliner Philharmoniker mit Jean-Christophe Spinosi und Philippe Jaroussky, 17.06. 2021
Endlich wieder Philharmonie und dazu noch Barockmusik! Zumindest teilweise. Jedenfalls ist das ein großartiger Auftakt nach dem letzten Lockdown und eine – mit Bedacht und Hygienekonzept – Fortführung des Ende März getesteten Modellprojekts. Trotz abendlicher Temperaturen bei noch 30 Grad Celsius ist die Philharmonie, abgesehen von den aus Abstandsgründen gesperrten Plätzen, bestens besetzt und außerdem angenehm temperiert.
Die meisten Besucherinnen und Besucher sind vermutlich wegen des Countertenors Philippe Jaroussky gekommen, und er ist in brillanter Form. Mit seiner genau stimmigen Darbietung von Barock-Arien erreichte er nicht nur die Herzen der Berlinerinnen und Berliner. Er sang sich so auch an die Weltspitze.
Jean Christophe Spinosi dirigiert die Berliner Philharmoniker. Foto: Stephan Rabold
Das gilt ebenso und ganz selbstverständlich für die Berliner Philharmoniker, hier zunächst in Kammerkonzertbesetzung. Neu an ihrem Dirigentenpult ist Jean-Christophe Spinosi. Dessen künstlerische Heimat wäre die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts, wird im Programmheft mitgeteilt. Als Operndirigent sei er zudem mit gefeierten Interpretationen von Werken Mozarts und Rossinis in Erscheinung getreten, heißt es weiter. Das alles beweist er überzeugend im Verlauf dieses rd. zweistündigen Abends.
Anfangs gilt jedoch die meiste Aufmerksamkeit Philippe Jaroussky und seiner Interpretation der Vivaldi-Arie „Vedrò con mio diletto“ aus der Oper Giustino RV 717. „Ich seufze, ich leide jeden Moment“, ist in der Übersetzung zu lesen, um dann ins Positive zu schwingen mit den Versen: Mit Freude werde ich die Seele meiner Seele sehen, und das Herz meines Herzens ist voller Zufriedenheit.
Noch mehr her macht die zweite Vivaldi-Arie „Gemo in un punto e fremo“ aus der Oper „L’olimpiade“ RV 725. „Ich ächze und zittere, ich habe tausend Furien in meinem Busen.“ Diese Bedrängnis und Angst singt Jaroussky kraftvoll und dermaßen überzeugend, dass er anschließend sofort heftigen Beifall erhält und sein langjähriger Freund Spinosi für seine „Umrahmung“ ebenso.
Der Dirigent macht nun ohne den Solisten mit Haydns Symphonie Nr. 82 C-Dur „L’Ours“ (= Bär) weiter, und das Trapsen des offenbar gewichtigen Tieres ist deutlich zu vernehmen. Also nichts da mit dem Berliner Spruch: „Nachtigal, ich hör’ dir trapsen“.
Der engagiert und sportlich exakt dirigierende Spinosi neigt ohnehin dazu, die hineinkomponierten Kontraste zusätzlich zuzuschärfen. Beim Einsatz vom Schlagwerk und den Blechbläsern zucke ich manchmal zusammen. An die wunderbare Klangfülle in der Philharmonie müssen sich meine Ohren wohl erst wieder gewöhnen.
Aber nicht an Rossinis bekannte Cavatine „Di tanti palpiti“ aus der Oper „Tancredi“. Hier kommt ein Verbannter mutig in sein Heimatland zurück und schwärmt von der Schönheit seiner Heimat. Eigentlich geht es ihm um die Rettung seiner heimlich Geliebten, die einen Mann heiraten soll, den ihr der Vater bestimmt hat. Tankredi weiß, dass er deswegen hinterher sterben muss und nimmt das von vornherein in Kauf. Dieses bringt nun Jaroussky mit vor Heldenmut strotzendem Countertenor. Das ist atemberaubend gut, so dass er danach Ovationen erhält. Anerkennend klopfen auch die Streicher mit ihren Bögen.
Fast aufs Ganze geht nun auch Spinosi beim letzten Stück, Mozarts „Jupiter-Symphonie“. Wie sehr sie diesen Beinamen verdient, wird nun sonnenklar. Spinosi schärft zu, arbeitet erneut die Kontraste heraus, setzt auch auf Knall-Effekte.
Selbst das schwingend dirigierte Andante cantabile kommt bei diesem äußerst temperamentvollen, ganzkörperlichen Dirigat, das keineswegs übertrieben wirkt, nicht auf Samtpfoten daher. Genau wie Mozart dreht Spinosi in diesem Werk nochmals voll auf. Danach jubelt das Publikum, immer wieder und wieder muss er aufs Podium. Und diese Anerkennung und all’ der Dank gelten ebenso den perfekt aufspielenden Berliner Philharmonikern.
Ursula Wiegand
Zwei weitere Termine heute am 18.06 und morgen am 19.06. 2021