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BERLIN/ Kraftwerk Mitte: AL GRAN SOLE CARICO D’AMORE von Luigi Nono

02.03.2012 | KRITIKEN, Oper

Berlin, Staatsoper,  Premiere im Kraftwerk Mitte: „AL GRAN SOLE CARICO D’AMORE“, 1.3.2012


Luigi Nono im Kraftwerk Mitte. Foto: Monika Rittershaus

 Für dieses Stück mit seinem Großaufgebot von Instrumentalisten, Chorsängern und Solisten ist die Deutsche Staatsoper Berlin ins Kraftwerk Mitte gezogen. Der Andrang ist enorm, am Premierenabend trifft sich hier die Prominenz. Die Berliner wittern ein Event.

Die hohe Fabrikhalle ist ein rauer Ort für ein raues Werk, wesentlich rauer als die Felsenreitschule in Salzburg, wo das Stück in jetziger Form am 3. August 2009 aufgeführt wurde. Damals wie jetzt unter der musikalische Leitung von Ingo Metzmacher und inszeniert von Katie Mitchell.

Statt der Wiener Philharmoniker ist hier die Staatskapelle Berlin tätig und bewältigt diese Herausforderungen ebenso überzeugend wie der seitlich postierte Chor (Leitung: Eberhard Friedrich), der diese Szenen-Collage zusammenhält und inhaltlich vorantreibt.

Luigi Nono, seit 1952 selbst Mitglied der kommunistischen Partei, ging es um den Kampf der Unterdrückten gegen das Establishment, d.h. um den damaligen Siegeszug des Kommunismus, angefangen beim Aufstand der Pariser Kommune 1871, über die Entwicklung in Kuba, den Freiheitskampf unter Che Guevara in Südamerika, die russische Revolution und die Streikaktionen gegen FIAT in Turin.

Ein geschichtliches Aperçu: das Kraftwerk Mitte steht im früheren Ost-Berlin, wo 1953 russische Panzer die protestierenden Arbeiter niederwalzten. In Nonos Stück, das 1975 uraufgeführt wurde, ist solches ebenso wenig ein Thema wie die Niederschlagung des Ungarn-Aufstands seitens der Kommunisten oder der stalinistische Terror.

Nein, Nono idealisiert den Kommunismus, sieht ausschließlich seinen Beitrag bei der  Beseitigung von Unterdrückung und Ausbeutung. Doch nicht die um ihre Rechte kämpfenden Arbeiter stellt er in den Mittelpunkt, sondern vier Frauen, für ihn die indirekten Heldinnen. Sie sind die Liebenden und Leidenden unter der großen Sonne, die Kraftspender, die durch ihr Mittun die gute Sache vorantreiben.   

Nonos Auswahl reicht von Louise Michel, die 1871 als erste Frau in Paris auf die Barrikaden stieg, bis zu Tania Burke, der Deutsch-Argentinierin, angeblich die Geliebte von Che Guevara, die als Guerilla in Bolivien ihr Leben verlor.

Hinzu kommen fiktive Frauengestalten, eine Turiner Mutter, die Vater und Sohn beim Arbeitskampf verliert, und die russische Mutter, entlehnt aus einem Roman von Gorki.   

Diese vier Frauen singen zumeist in ganz hellen, schrillen Tönen oft jenseits des hohen C. Die italienischen Texte bleiben unverständlich. Zum Glück, ist doch das Libretto ein Sammelsurium aus echten und fiktiven Tagebuchnotizen sowie aus Zitaten von Lenin, Marx, Fidel Castro, Bertolt Brecht und anderen. Insgesamt wirkt es unglaublich altbacken.

Hat Nono das geahnt und deshalb die Sonne und die Liebe bemüht? Denn die haben kein Verfallsdatum! Die Relikte jener Zeit sehr wohl. Auf einer Großleinwand sehen wir von Zeit zu Zeit eine junge Frau bei ihrem Gang durch ein aufgelassenes Museum. Zärtlich streicheln ihre Finger diese Überbleibsel, die niemand mehr beachtet.

Die Videos spielen in dieser Inszenierung ohnehin eine wesentliche Rolle, was aber auch heißt, dass man weder den Texten noch der Musik genügend Kraft zutraut, die Brücke zum damaligen revolutionären Geschehen zu schlagen und die Menschen von heute damit zu packen.

In fünf offenen Kammern oder Küchen hinter der Bühne agieren Schauspielerinnen. Sie zeigen das Leben dieser Frauen in jenen Zeiten und die Anfänge der Revolution (Bühnenbild/ Kostüme: Vicki Mortimer).

Da werden Stofflappen rot gefärbt, um daraus Fahnen zu nähen. Da werden Seiten beschrieben und an Kerzen wieder verbrannt. Die Frauen bangen, schauen wartend aus dem Fenster, und Kamerateams lichten sie dabei ab.

Die Gesichter junger und alter Frauen, ihre Hände und ihr Tun erscheinen ebenfalls auf der Großleinwand. Deola, eine Prostituierte, eine fiktive Gestalt aus einem Lied von Cesare Pavese, wäscht sich morgens den Intimbereich.  

Diese stillen Bilder stehen im Kontrast zur oft rabiaten Musik. Ingo Metzmacher schreibt dazu im Programmheft: „Ein riesiges Orchester steht zur Verfügung, dessen schiere Klanggewalt alles hinwegfegt, was wir kennen. Vierfache Bläser, elf  Pauken, auf zwei Seiten verteilt, kleine und große Trommeln aller Art, jeweils verdoppelt, Becken und Tam-Tams, ein Meer an Streichern, Marimba, Glockenspiel  und Harfe, schließlich eine ganze Wand von Metallplatten, lastre genannt“. 

Gegen diese Klangmassen müssen sich die menschlichen Stimmen behaupten, kaum die von Männern, fast ausschließlich die von Frauen. Manchmal klingt ihr Gesang, als sei er nicht von dieser Welt und erzeugt trotz des Lärms eine traumähnliche  Stimmung. Vor allem der zweite Teil mit den beiden Revolutionsmüttern besitzt eine gewisse Poesie.   

Die Mitwirkenden engagieren sich voll und verdienen hohes Lob. Es sind die „Extrem-Sopranistinnen“ Elin Rombo, Silke Evers, Tanja Andrijic, Hendrickje Van Kerckhove und Virpi Räisänen, die Altistin Susan Bickley, der Tenor Peter Hoare, der Bariton Christopher Purves sowie die Bassisten Michael Rapke und Hee-Saup Yoon.

Zuletzt ist der Beifall stark, denn beeindruckend ist der Abend allemal. Solches nach Berlin zu holen und dafür diesen „genius loci“ zu nutzen, ist der Staatsoper als Verdienst anzurechnen.

Wie groß die Neugierde schon im Vorfeld war, zeigt sich daran, dass auch die weiteren Vorstellungen am 3., 5. 9. 11. März schon länger ausverkauft sind. Die Frage, ob Nonos Musik die Zeiten überdauert, ist damit jedoch nicht beantwortet.

Ursula Wiegand

 

 

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