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BERLIN / Komische Oper: XERXES – unterhaltsamer Theaterabend garniert mit musikalischer Hausmannskost

12.04.2014 | KRITIKEN, Oper

BERLIN / Komische Oper: XERXES Unterhaltsamer Theaterabend garniert mit musikalischer Hausmannskost am 11. April 2014

 „Wenn Musik die Nahrung der Liebe ist, so spielt fort; stopft mich voll damit, ob vielleicht meine Liebe von Überfüllung krank werde und so sterben mag.“ W. Shakespeare, Was Ihr wollt

 Der skurill erotisch-burleske Historienschwank Xerxes von Händel wurde am 17. Februar 1738 in London uraufgeführt. Als balladenhaft und inkonsistent zwischen Tragödie und Komödie schwankend verschwand er bald wieder für beachtliche 200 Jahre lang von den Spielplänen. Kein Wunder möchte man meinen, aber trotz schwachsinnigem Libretto gelingt dem Theaterzampano Stefan Herheim ein kurzweiliger Abend an Travestie, schwankenden Leidenschaften, lächerlichen Kriegshelden, eine Art barocker Muppet Show. Und so darf Oper sich über Oper mokieren. Gerade diese Brechung erlaubt es dem Zuschauer, eine dramaturgisch unspielbare Oper als hervorragende Distraktion einfach zu genießen, ohne zu tief in intellektuelle Grübelei verfallen zu müssen.  Das war auch schon bei Händels Agrippina und Partenope der Fall, in denen sich Händel ebenfalls über die heroischen Klischees der opera seria lustig machte. 

 Regisseur Herheim spielt gekonnt mit den verschiedenen Ebenen des barocken Theaterkosmos: „Das Theater, in dem unser Xerxes spielt, ist zwar anscheinend ein realistischer Raum, letztlich aber auch nur eine Kulisse, die wie auf die Bühne der Komischen Oper stellen für ein Spiel von Spielern, die sich im Laufe des Abends leidenschaftlich erschöpfen. Wir lieben sie dafür, dass sie unsere eigne Leere füllen.“ Und so steht eine Probensituation auf dem Theater auf der Drehbühne einem barocken Prospektenschauplatz gegenüber, das eine gleitet ohne Unterlass ins andere. Das fantastische Bühnenbild von Heike Schelle und die Kostüme der Gesine Völlm zeigen das gesamte Zauberepertoire an optischen Impressionen aus der Entstehungszeit, eine überbordende Theatermaschinerie, die kein clowneskes Klischee auslässt und das werte Publikum trefflich drei gute Stunden in bester Laune hält. 

 Zwei anekdotische Legenden um den persischen Großkönig dienen als Basis für die Handlung: seine Platanenliebe und der Brückenbau (über die Dardanellen). Und so wird in der berühmtesten Arie des Abends „Ombra mai fu, di vegetabile cara ed amabile soave piu“, die heute als gefühliger Barockhit ein Dauerbrenner auf Hochzeiten und Begräbnissen ist, nicht mehr und nicht weniger als die abstruse Fetischliebe des Xerxes zu einem Baum besungen: Auf dem Weg nach Abydos begegnete Xerxes einer Platane von solcher Schönheit, deren Anblick ihn bewog, den Baum mit goldenen Ornamenten zu schmücken und ihn von einem Wächter bis in alle Ewigkeit bewachen zu lassen. Stella Doufexis als Xerxes singt die eigentlich von Bononcini stammende Arie etwas kleinvolumig, insgesamt jedoch sehr schön mir ruhigem rundem Ton. Als Komödiantin überzeugt sie voll und ganz.  

 Kurz gefasst geht es in der Oper um die Liebe zweier Brüder zur selben Frau. Xerxes und sein Bruder Arsamene begehren beide Romilda. Natürlich ist Romildas Schester Atalanta auch in Arsamene verliebt. Und der Haudegen Xerxes hat auch schon einer anderen, nämlich Amastre, die Ehe versprochen. Dann gibt es noch den trotteligen General Ariodate, Vater Romildas und Atalantas. Und als buffo Rolle den Diener des Arsamene, Elviro. Etliche Stunden und wildeste Verwirrspiele später darf Mann/Frau sich am fälligen Happy End mit Versöhnung freuen. Und weil es nicht anders sein darf: Jede/Jeder  bekommt den/die er will.

 Die musikalische Seite der Aufführung kommt über solides Mittelmaß nicht hinaus. Gerade was die Originalklang-Umsetzung von Barockmusik betrifft, sind die geschulten Ohren ganz schön verwöhnt geworden. Aber letztlich tut es dem Gelingen des Theaterabends kaum Abbruch, wenn das spielfreudige Orchester, der Chor und das Ensemble der Komischen Oper nicht Weltklasse liefern, sondern das Publikum zu deftiger Opernkost an den reich gedeckten Holztisch bitten. Hausmannkost ist ja oft sehr wohlschmeckend. Da klingt zwar einiges recht grob aus dem Graben. Der Dirigent Konrad Junghänel ist eher bemüht, Rhythmus und Tempo zu halten, als den Klang der Instrumente fein aufeinander abzustimmen. Musikalischen Drive und markante eloquente instrumentale Pointen vermag Junghändel indes allemal zu setzen.

 Neben dem formidablen in selbstgefälliger Pose durch die Szene stapfenden Xerxes der Stella Doufexis haben mir noch besonders der agile koloraturgewandte lyrische Sopran der Julia Giebel als intrigierende und kokette Atalante und die Dienerfigur des Elviro gefallen. Was Hagen Matzeit alles anstellen und als Blumenfrau travestiert zwischen Bariton und Counter singen darf, um die Lachmuskeln zu reizen, lohnt schon alleine den Abend. Ein veritabler Vorlaufer von Mozarts Leporello. Das Ensemble ergänzen trefflich charakterisiert Karoline Gumos als Arsamenes und Katarina Bradic als Amastris. Der bassliche Generalpapa Alexey Antonov poltert mit rauhen Tönen und löst durch Blödheit am Ende das verworrene Liebesknäuel. Aber es wäre keine barocke Seria, wenn nicht auch die emotionalen Qualen von Xerxes, Romilda, Arsamene und Amastre händelmäßig das Herz berührend besungen würden. Insgesamt ist die Mehrdimensionalität der Figuren von skrupellos bis lächerlich eine Grenzüberschreitung, in der die Zeitlosigkeit von Händels heute wieder oft gespielter Oper zutage tritt. Das Leben ist laut den klugen Worten von Alexander Meier-Dörzenbach ein „Theater, in dem man sich zwar manche Rollen aussucht – ob man diese nun in einer Komödie oder in einer Tragödie spielt, liegt allerdings außerhalb unserer Bestimmbarkeit.“

 Besonderes Lob für die Spielleitung gebührt Anna Borchers, die diese komplexe Inszenierung auch im Repertoire so frisch und lebendig hält. 

 Dr. Ingobert Waltenberger

 

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