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BERLIN/ Komische Oper: WEST SIDE STORY – von Jubel umtoste Premiere

25.11.2013 | KRITIKEN, Oper

Berlin/ Komische Oper: Jubel umtoste Premiere von Bernsteins „WEST SIDE STORY“, 24.11.13

 West Side Story, Street Dance, Foto Iko Freese, drama-berlin.de
West Side Story, Street Dance, Foto Iko Freese, drama-berlin.de

Jubel ist gar kein Ausdruck für all’ die Begeisterung, die schon im Verlauf der „West Side Story“-Premiere  immer wieder durch die Komische Oper Berlin brandet. Intendant Barrie Kosky hat einen neuen Knaller und sicherlich einen Dauerbrenner gezündet und dabei die hochgeschraubten Erwartungen noch übertroffen.

Gemeinsam mit Otto Pichler hat er dieses krasse Kunstwerk von Leonard Bernstein aus dem New York der 1950er Jahre gekonnt ins Heute überführt. Aus dem damaligen Amerika in die globalen Großstadt-Slums, wo mehr denn je die Gewalt grassiert. Vor allem bei den Tanzszenen (Choreographie Otto Pichler) wird das überaus deutlich.

Zunächst sehen wir nur einen einzigen Ballkünstler auf einem markierten Basketball-Feld, doch dann stürmen die alteingesessenen Jets unter Führung von Riff auf die weitgehend kahle Bühne, die ihnen viel Platz zum Austoben lässt.

Und den nutzen diese durchtrainierten Breakdance-Akrobaten aufs Allerbeste. Sie rasen, rollen über denn Boden, schlagen Salti, klettern geschwind die Leitern an beiden Seiten empor. Einige, insbesondere Daniel Therrien, Chef der Riffs, kann dazu noch gut singen. Wo haben Kosky und Pichler diese Allround-Talente aufgegabelt?

Ihre Konkurrenten, die aus Puerto Rico zugewanderten Sharks unter Führung von Bernardo (Gianni Meurer), eher tätowiert als gekleidet (Bühne und Kostüme Esther Bialas), stehen ihnen an Körperkönnen und Aggressivität keineswegs nach. Sie alle räumen sogleich beim Beifall ab, ebenso die rasant-charmante Girl-Truppe mit dem Temperamentsbündel Sigalit Feig (die spätere Anita) und dem Song „I like to be in America“. Für den vollen Sound sorgen zusätzlich einige Chorsolisten des Hauses.

Die treibende Kraft bei diesen Ausbrüchen ist jedoch das Orchester der Komischen Oper Berlin unter Koen Schoots. Der setzt auf straffe Tempi, der spitzt die Synkopen zu, lässt aber auch die lyrischen Partien warm aufleuchten.

Die Instrumentalisten musizieren diese knifflige Partitur, die europäische Operettentradition mit altjüdischen Klängen und US-Jazz genial kombiniert, mit solcher Verve, als täten sie das jeden Tag. So gut und so plausibel habe ich das weltbekannte Stück noch nie gehört und erlebt. Diese neue Berliner Variante stellt sogar das New Yorker Original und den berühmten Film in den Schatten.

Doch was wäre das Stück ohne das passende Liebespaar? Das besitzt die Komische Oper mit Julia Giebel als Maria und Tansel Akzeybek als Tony in den eigenen Reihen. Die trifft, das wird spürbar, die Liebe wirklich wie ein heller Blitz aus dem hier düsteren Himmel.

Bei Tonys „Maria, Maria, Maria“ muss jedes Frauenherz schmelzen, und beim gemeinsamen „Tonight, tonight“ haben beide nicht nur den (vorläufigen) Sieg über die Grenzlinien ihrer verfeindeten Gangs gewonnen, sondern auch die Herzen des Publikums. Diese Anteilnahme wächst noch im Verlauf, zumal Tansel Akzeybeks Tenor immer mehr an Wärme, Volumen und schließlicher Tragik gewinnt. Super!

Denn auch Bernstein Version von Shakespeares Romeo und Julia endet bekanntlich in der Katastrophe, scheitert an der Gewaltgier, die den Vermittler (Tony) im Affekt selbst zum Mörder werden lassen. Nach dem Tod seines Freundes Riff stößt er Bernardo, Marias Bruder, das Messer ins Herz.

Noch ahnt Maria nichts von dieser Eskalation und trällert spritzig „I feel pretty“, doch dann bleibt nur noch fassungsloses Erschrecken, das jedoch in die Dennoch-Hoffnung auf ein friedliches Leben weit weg von der Großstadt mündet. Dieser 2. Akt, in dem ungezügelte Gewalt auch zwei Liebende zerstört, kann leicht in den Kitsch abgleiten, tut es aber nicht.

Die Spannung bleibt erhalten, mucksmäuschenstill verfolgt das Publikum das schlimm-traurige Geschehen, auch die Vergewaltigung der Anita (Marias Freundin) von der anderen Gang.

Das Gegengewicht bilden die anhaltend innigen Liebesbekundungen von Maria und Tony. Beide wollen beim Tod von Bernardo nicht stehen bleiben. Doch das Idyll endet abrupt. Tony, sichtlich von einer Fehlmeldung Anitas erschüttert, lässt sich widerstandslos vom herbei gerufenen Konkurrenten Chico (Kevin Foster) abknallen. Maria hält den Sterbenden in den Armen. Und hier wird nun nicht opernmäßig gesungen, Tony röchelt sein Leben aus, sie setzt nur einige hohe Töne. Wunderbar und lebensecht.

Und es hat gar nichts genützt, dass der mutige Obsthändler Doc (Peter Renz in einer Sprechrolle) die Gewalttätigen zuvor auseinander gejagt hatte. Die beiden Polizisten (Christoph Späth und Philipp Meierhöfer) hatten ein Eingreifen eh nur vorgetäuscht, während sich die jugendlichen Intensivtäter über den Sozial-Ansatz heutiger Tage lustig machten. (Deutsche Fassung von Frank Thannhäuser und Nico Rabenald).

Dann aber lang anhaltender Jubel, Gejohle und Standing Ovations für diese glühende Darbietung, die die Mehrheit der Musicals zu lauwarmen Übungen degradiert. Hinrennen, anrufen, eine Mail schreiben – das wäre jetzt ein Muss. Doch schon vor der Premiere waren die folgenden Vorstellungen ausverkauft. Wer Glück hat, bekommt noch eine Restkarte an der Abendkasse. 

Ursula Wiegand

 

 

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