
Vera-Lotte Böcker, Gerd Wameling und Daniel Proshaska, copyright Iko Freese / drama-berlin.de
Berlin / Komische Oper:
„VIKTORIA UND IHR HUSAR“,
30.12,.2018
Konzertante Operette (1930) von Paul Abraham
„Mausi, süß warst du heute Nacht“ – mit diesem Hit aus Paul Abrahams fast vergessener Operette „Viktoria und ihr Husar“ kommt endlich Stimmung in die Bude, pardon, in die Komische Oper Berlin.
Ein ungarisches Gulasch wird hier als Silvestermenü geboten, doch anfangs scheint es dem Publikum nicht feurig genug gewürzt zu sein und nicht so zu munden, wie es seit Jahren im Haus von Barrie Kosky, verantwortlich für die szenische Einrichtung, üblich ist.
Der Einzige, der sogleich und bis zum Ende unermüdlich das angeblich typisch ungarische Temperament versprüht, ist der österreichische, in Ungarn geborene Dirigent Stefan Soltész. Ganzkörperlich wirft er sich in die Partitur und entlockt dem fitten Orchester des Hauses viel von Abrahams gekonnt zusammen gemixtem, ins Eigene gewendetem Melodien-Cocktail, bestehend aus Puszta-Klängen sowie japanischen, russischen und US-Jazz-Ingredienzien.
Die anfängliche Publikumszurückhaltung wundert beim Blick ins Programmheft nicht. Die Uraufführung im Februar 1930 in Budapest geriet zum Flop. War Abrahams Musikmischung zu ungewohnt? Oder wollten sich die Budapester nicht so tief in die angeblich typisch ungarische Klischee-Kiste stecken lassen?
Auch einige Monate später nach der Aufführung im Berliner Metropol-Theater, dem Vorgänger der Komischen Oper, gab es harsche Kritik. Erst als die Librettisten Fritz Löhner-Beda und Alfred Grünwald mit einem deutschen, mitunter leicht anzüglichen Text nachwürzten, wurde „Viktoria und ihr Husar“ nach der Aufführung im Leipzig ein europaweit umjubelter Renner.
Schlüpfrig ist hier nun zunächst gar nichts und insgesamt bleibt alles jugendfrei. Drei Paare stehen bei dieser konzertanten Aufführung mal allein, mal gemeinsam vor den Instrumentalisten/innen auf der Bühne.
Links die tatsächlich schöne Gräfin Viktoria im blassblauen langen Kleid und ihr Verlobter aus der gemeinsamen Heimat, dem für seine Weinfeste bekannten Dorf Doroszma. Ihm hat sie die Treue versprochen, danach aber angenommen, er sei im Krieg gefallen.
Nun steht er plötzlich als Rittmeister mit Orden auf der Brust neben ihr (Kostüme Katrin Kath). Aber nicht in Ungarn, sondern in Tokyo, wohin sie – nun die Gattin des deutlich älteren US-Botschafters John Cunlight – zusammen mit ihrem Mann gezogen ist.
Den spielt mit feiner Distanz zur ganzen Story der bekannte, nun siebzigjährige Theater- und Filmschauspieler Gerd Wameling. Außerdem führt er als Erzähler durch das Stück. Wie er sich jedoch zuvor bei einem Tänzchen in die reizende junge Gräfin verliebte und ihr mit dem Song „Pardon, Madame“ einen Heiratsantrag machte, das hatte Niveau und eine andere Qualität.
Liebesarien voller Enttäuschung und Sehnsucht sind nun von Vera-Lotte Böcker als Gräfin und Daniel Prohaska als Rittmeister Stefan Koltay zu hören. Liegt es an den Mikroports, den alle gemeinschaftlich tragen, dass Herrn Prohaskas Tenor anfangs etwas heiser klingt und der Sopran von Frau Böcker in den hohen Lagen öfter in die Ohren schrillt? Der Beifall nach diesen Arien hält sich in dieser zweiten Aufführung nach der Premiere in Grenzen.
Wie meistens haben es die Buffo-Paare auch hier leichter, das Publikum mit Gesang und Schauspielkunst zu gewinnen. Unübertrefflich sind Peter Renz, der Haus-Tenor für alle Fälle, als Graf Ferry Hegedüs, und Alma Sadé (Sopran) als seine charmante, quicklebendige, japanische Braut O Lia San, die schon anfangs erwähnte „Mausi“.
Die war im Séparée nicht nur süß, beide haben beim Tête-à-Tête, wie sie berichten, auch ständig gelacht. Genau so bringen sie das, brechen beim Singen immer wieder in Gekichere aus, flirten und steigern sich in weitere Lachsalven. Ansteckend wirkt das, jetzt wird das Publikum munter und jubelt.
Das zweite Buffo-Paar bilden zwei viel versprechende Talente aus dem Opernstudio: Marta Mika (Sopran) als Viktorias Kammerzofe Riquette und Dániel Foki (Bariton) als Rittmeister Koltays Bursche. Beide überzeugen mit gut geschulten Stimmen, sie sehr apart, er – ein in Wien ausgebildeter Ungar – außerdem als echt flotter Tänzer. Scheint doch was dran zu sein an dem Ungarn-Nimbus.
Ganz so viel machen andere Songs nicht her oder sind weitgehend vergessen, so wie Viktorias „Rote Orchideen“ oder das schmissig-gefühlige „Ungarland, Heimatland“. An das traurige „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“, erinnere ich mich noch, weil meine Eltern dieses Lied noch daheim gesungen haben, als die Nazis den Juden Paul Abraham schon aus Deutschland vertrieben und die Aufführung seiner Operetten verboten hatten. Ein zu Herzen gehender Song. Heutzutage wird so manche Verbindung per SMS, auch schon veraltet, oder per Twitter gelöst.
Nach der Zwischenstation St. Petersburg, der Selbst-Denunzierung des Rittmeisters beim russischen Geheimdienst, was er aus unerfindlichen Gründen überlebte, treffen sich die drei Paare Monate später beim Weinfest im Dorf Doroszma. Der Deus ex machina, in dieser Operette im Großeinsatz, und die Mithilfe des seine Frau freigebenden Botschafters machen’s möglich: die drei Pärchen heiraten, teils nochmals, nach ungarischem Brauch. Der Rittmeister schmettert nicht zum ersten Mal, nun aber siegesgewiss: „Nur ein Mädel gibt es auf der Welt“. Na hoffentlich.
Zuletzt kräftiger, doch relativ kurzer Beifall für alle Beteiligten, auch für die junge, namentlich nicht genannte Konzertmeisterin und den Chor, einstudiert von David Cavelius. Silvester-Champagner oder ungarischer Tokaier? Das ist nun die Frage. Nein, lieber zur Verdauung ein Sliwowitz, auf ungarisch sligovica.
Ursula Wiegand