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BERLIN/ Komische Oper: LA CAGE AUX FOLLES. Musical in zwei Akten von Jerry Herman

06.02.2023 | Allgemein, Operette/Musical

BERLIN / Komische Oper „LA CAGE AUX FOLLES“, Musical in zwei Akten von Jerry Herman; Nachmittagsvorstellung 5.2.2023

Berliner Musical-Triumph – Glitzernde Show und Nachdenkliches übers Älterwerden, Feigheit, Treue und gesellschaftliche Verlogenheit

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Stefan Kurt und Ensemble. Foto: Monika Rittershaus

Dass das individualistische Freiheitsstück „La Cage aux Folles“ nach dem Buch von Harvey Fierstein und der opulenten Musik von Jerry Herman in der Regie von Barrie Kosky ein Erfolg wird, das war zu erwarten. Die so ernste, schlüpfrige, kesse Tragikomödie mit dem Happy End über das Wagen eigener Lebensentwürfe nach dem Stück „Ein Käfig voller Narren“ von Jean Poiret (1973) war Ende der 70-er Jahre ein Kinohit. Die beste Version bietet jedoch das 1983 am Broadway uraufgeführte Musical, das so witzig wie mutig Homosexualität thematisiert, aber auch mit Augenzwinkern und zwei Prisen Erotik ironisiert.

Das vielschichtige Musical um die Liebe zweier Männer zueinander, aber auch der Liebe von jungen Menschen aus extrem unterschiedlichem familiären Hintergrund (hier Georges Sohn Jean-Michel, da Anne Dindon, Tochter eines ultra-reaktionären Politikers) ist glamouröse Revue, freches Kabarett, aber auch ein hintersinniges Theaterstück über verlogene Moral und schließlich den Mut, zu sich selbst und seinen Bedingtheiten zu stehen, mögen sie – die Freiheit der Mitmenschen respektvoll achtend – aussehen, wie sie wollen. „Ich bin, was ich bin und was ich bin, ist kein Geheimnis“, ist der Slogan dieser schönen Geschichte. Was in den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts erstaunlicherweise noch schwierig schien, nämlich die schon vom Philosophen Johann Gottlieb Fichte Ende des 18. Jahrhunderts in Jena gelehrte Freiheit des Ichs (Das Absolute liegt für Fichte im Bewusstsein des Menschen selbst als entscheidende Instanz seines Erkennens und Handelns), wurde im Lauf der Jahre immer mehr zur Normalität. Heute jedoch, wo viele gesellschaftsliberale Errungenschaften durch religiöse oder politische Radikalisierung zu erodieren scheinen, ist das Musical aktueller denn je….

Berlin ist neben New York die historisch wohl mit am engsten mit der Aufführungsgeschichte von „La Cage aux Folles“ verbundene Stadt. Nach dem New Yorker Start war es Helmut Baumann, der im Berliner Theater des Westens in Charlottenburg 1985 in der deutschen Erstaufführung als Zaza glänzte. In der Premiere an der Komischen Oper am 28. Jänner hat der nun 84-Jährige die Rolle der Restaurantbesitzerin Jacqueline übernommen und wurde für seine köstliche Charakterstudie stürmisch gefeiert.

Das Grandiose bei dieser Aufführung an der Komischen Oper ist unter anderem, dass für die Realisierung der rasant spätromantischen Musik von Jerry Herman, die an beste Operetten von Lehar bis Paul Abraham, aber auch an Hollywood Kinoschinken und große amerikanische Revuen erinnert, ein wie am Schnürchen funktionierender Riesenapparat an Orchester, Chor und Ballett zur Verfügung steht, wie er weder am Broadway noch am Londoner West End existiert. Schon die fetzige Ouvertüre in voller Orchesterbesetzung in der schmissigen musikalischen Leitung von Koen Schoots setzte die Kadenz für das Kommende. Das Orchester der Komischen Oper mit knallig anspringenden amerikanischen Trompeten feiert hier wahre Sternstunden.

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Stefan Kurt, Peter Renz- Foto: Monika Rittershaus

Das zweite große Glück der Aufführung ist, dass mit dem Tenor Peter Renz (seit hinreissende 1998 gehört er dem Ensemble der Komischen Oper an) als Georges und dem Schweizer Schauspieler Stefan Kurt als Albin / Zaza im Lilo Wanders Look zwei charismatische Kaliber die Bühne beherrschen. Ihre zarte wie anrührende Liebesgeschichte, die nicht zuletzt vom Kampf gegen das Älterwerden, von gegenseitiger Rücksichtnahme und unverbrüchlicher Treue erzählt, steht im Zentrum der melancholisch angehauchten Komödie. Die Last der Vergänglichkeit, aber auch der Triumph einer langjährigen Paarbeziehung quasi als Aufhebung der menschlichen Schwerkraft von Kurzlebigkeit und Gleichgültigkeit sind stets aktuelle Themen, die „La Cage aux Folles“ über bloßes Unterhaltungstheater herausheben.

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Copyright: Monika Rittershaus

Dass die große Show mit allem Drum und Dran an flitternden Kostümen, bunten Federn, Can-Can, langbeinigen Drag-Queens und atemberaubender Akrobatik nicht ausbleibt, dafür haben Barrie Kosky und sein langjähriger Choreograph Otto Pichler (bei den Steppeinlagen assistierte Mariana Souza) gesorgt. In den ästhetisch so ansprechenden wie poetischen und rasch wandelbaren Bühnenbildern von Rufus Didwiszus, die vor allem von großen mit allerlei Papageien und Kolibri bemalten Stoffprospekten beherrscht werden, lässt es sich grandios tanzen. Kostproben gefällig?

https://www.youtube.com/watch?v=5EazMHqd3m4

https://www.youtube.com/watch?v=KTzHwLArpKc

In den vom gebürtigen Berliner Martin G. Berger – mit Sprachwitz und dem genius loci huldigend – geschickt aktualisierten Dialogen fehlt es weder an zarter Verführung oder deftigen Zoten, noch an drastischer Situationskomik beim Aufeinanderprallen der erzkonservativ-bigotten Dindons (dindon ist auch das frz. Wort für Pute) mit den begüterten Nachtklubbesitzern aus St. Tropez.

Die Qualität der Songs (zB der hinreißende Song am Strand), Chansons, Duette und Ensembles ist ebenso erzählerisch beredt wie melodienselig. Neben Peter Renz und Stefan Kurt gibt es da noch den schrillen venezolanischen Startänzer Daniel Daniela Ojeda Yrureta als Jacob, die quirlige waschechte Berlinerin, die tanzen, singen und schauspielern kann, Maria-Danaé Bansen als Anna, den Musicaldarsteller Nicky Wuchinger als feigen, erst spät zu seiner Familie stehenden Jean-Michel, Tom Erik Lie als grandiosen Widerling Edouard Dindon und Andreja Schneider als sehnsuchtsvoll auf das „andere Leben“ schielende MMe. Dindon.

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Schlussapplaus. Foto: Dr. Ingobert Waltenberger

Die Komische Oper hat mit „La Cage aux Folles“ eine Produktion im Spielplan, der lange ein Riesenerfolg beschieden sein wird. Ich habe in den 10 Jahren, seit ich in Berlin lebe, noch nie so viele Schilder „Suche Karte“ gesehen wie heute vor den Toren des restlos ausverkauften Hauses. Der Jubel am Ende der Vorstellung mit Konfettiregen war unbeschreiblich. Die Hoffnung auf eine bessere Welt ohne Fanatiker, sie lebt zumindest für drei kurzweilige Stunden im Theater!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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