BERLIN / Komische Oper im Hangar 4 des Flughafens Tempelhof: JESUS CHRIST SUPERSTAR; PREMIERE 19.9.2025
Foto: copyright Jan Windszus
Sie funkt und funktioniert noch immer, vielleicht stärker denn je. Andrew Lloyd Webbers beste und einfallsreichste Musik auf die hervorragenden Texte von Tim Rice zur auf Rockoper stilisierten Leidensgeschichte Jesu Christie. Rice erzählt die letzten sieben Tage aus dem Leben eines Bewunderten und Verehrten, alsbald Verratenen, von engsten Freunden Verleugneten und von der wankelmütigen Meute fallen gelassenen Helden in frei aneinander gereihten Szenen.
Er tut das unter Zuhilfenahme von Textzitaten aus allen Evangelien. Das Neue und so Aufwühlende daran ist, dass Rice von jeglicher manichäischer Schwarz-Weiß Malerei der Figuren im Sinne der unversöhnlichen Pole Gut und Böse absieht und pralle Figuren aus dem echten Leben erstehen lässt. Da sehen wir einen emotional vielschichtigen Judas, der schon im ersten Monolog den Ton setzt in der Trauer und dem gefürchteten Verlust der abgeschirmten Freundeszirkel der Apostel. Er sieht die Ideale der Gruppe verraten und will Jesus durch seine Anzeige quasi vor sich selbst schützen. Als der so vor den Karren der Politik Gespannte die Folgen seines Tuns erkennt („My God! I saw him – he looked three-quarters dead!“), verfällt er dem Wahnsinn und dem Tod. Seine Stimme ist noch als Fragender aus dem Jenseits vor der Kreuzigung zu hören. Auch Pontius Pilatus tickt hier anders: Er hat in „Jesus Christ Superstar“ so gar keine Lust, Jesus zum Tod zu verurteilen („I see no reason – I find no evil this man is harmless so why does he upset you?“), gibt aber schließlich entnervt der johlenden Menge nach.
Zu dem Textbuch, in dem Maria Magdalena eine höchst liebenswerte Rolle spielt, hat Lloyd Webber eine großartige Musik geschrieben. Er bedient sich aus und der Genres Rock, Songs, Pop, Gospel, Folk, Funk, Soul und Revuepomp, alles fein instrumentiert und dramaturgisch gut gefügt.
Folgt man der Atmosphäre der 1970 aufgenommenen LPs (das Werk war ursprünglich nur als Konzeptalbum gedacht) mit einem unvergleichlichen Ian Gillan von der englischen Rockband Deep Purple als Jesus, so hören wir kammermusikalisch durchwirkte Nummern, psychologisierend artikuliert, die Stimmen überwiegend lyrisch, oft nur von Gitarre oder Klavier begleitet.
Völlig anderes war gestern in der Aufführung der Komischen Oper im akustisch schwierigen Hangar 4 des Flughafen Tempelhof zu vernehmen. Da setzte Dirigent Koen Schoots auf Hard Rock, krawallige Heavy Metal Rhythmen und arrangierte offenbar die Instrumentierung nach diesen Prinzipien neu. Und das zu dem Zweck, mit purer Lautstärke den langen Nachhallzeiten ein Schnippchen zu schlagen. Das Ergebnis war zumindest in der ersten dreiviertel Stunde ein übersteuerter, oftmals grenzwertig unangenehmer Sound, akustisch verwaschen und vor allem in den Chorszenen klirrend. Da müsste nochmals nachjustiert werden.
Foto: copyright Jan Windszus
Denn Fakt ist: Jesus Christ Superstar funktioniert genau so gut wie am ersten Tag. Ich hatte als Sprachschüler in London 1973 das Glück, nicht nur die Originalproduktion von „Hair“ erleben zu dürfen, sondern auch im Palace Theatre den von Jim Sharman inszenierten „Jesus Christ Superstar“. Schon damals mit einem riesigen leuchtenden Kreuz als Sinnbild des Geschehens.
Freilich sind die Ursprünge der Adaption des Stoffes mit Hippietum und Flower Power der 68-er Jahre Vergangenheit, aber die Vermenschlichung und Fassbarkeit der Leidensgeschichte Jesu, die messerscharfe Ironisierung der politischen Repräsentanten, die saure Satire auf eine fast mathematisch nachvollziehbare Funktion von „Masse und Macht“ (Elias Canetti schau herunter) sprechen uns heute genauso an wie vor 50 Jahren.
Zumal Regisseur Andreas Homoki und Bühnenbildner Philipp Stölzl für ihre gigantische, durch die Menge an Statisterie und Stoff bisweilen völlig überfrachtet wirkende Rockshow vier höchst charismatische und sangesfreudige Protagonisten zur Verfügung stehen:
Als da wären der US-Amerikaner John Arthur Greene als Rockstar Jesus. Eine blondmähnige, bärtige muskelbepackte Erscheinung, bei dessen Auftritten das Phänomen der Verführbarkeit und Begeisterung der Massen glaubhaft nachvollziehbar wird. Der aber auch die Schattenseiten seines Ruhms und seinen unausweichlichen Tod alsbald erkennend zu verkörpern weiß. Sowohl stimmlich bis in höchste tenorale Stratosphären, von der darstellerischen Intensität des Zweiflers, zunehmend schwachen, überforderten Wesens als auch vom Engagement her blieben keine Wünsche offen. Eine Wucht.
Foto: copyright Jan Windszus
Auf demselben hohen Niveau begeisterte nicht nur mich die in Berlin lebende vielseitige Performerin Ilay Bal Arslan als wunderschöne, in glitzerndes Rot gehüllte, berührende Maria Magdalena. Stimmlich in allen Abstufungen von Trost und unbedingter Liebe gefällt sie noch besser als Yvonne Elliman auf der 1970-er Platte.
Die Rockröhre Sasha Di Capri als enttäuschter und im Endeffekt seinen Jesus eifersüchtig liebender Judas und vor allem der mit einem riesenlila Umhang showfegende Jörn-Felix Alt in seiner markanten Szene als von Jesus die Wandlung von Wasser in Wein verlangender Herodes („Jesus I am overjoyed to meet you face to face“) boten pralles, intensives Theater.
Das Konzept des Rockkonzerts in der Rockoper ging insoweit auf, als der Auftritt von Kaiphas, Hannas & Co als leder-lackschwarze, dekadente Truppe sowie des Gefolges von Herodes als quietschbunter Partyhaufen à la Joker und Harley Quinn genug optische Reize boten, die für den Überwältigungsfaktor einer opulenten Revue gebraucht wird.
Der Einsatz von 350 tanzenden, in Wüstenbeigebraun gewandeten Statisten zur Verstärkung der Balletttruppe der Komischen Oper hat mich hingegen überhaupt nicht überzeugt. Im Gegenteil: Dieser Wall an Menschen wirkte vor allem anfangs wie ein massiver Dämpfer/Puffer zwischen Bühnenakteuren und Publikum. Eine befremdliche Distanzierung ergab sich daraus, die durch die gleichgeschalteten chorischen Bewegungen „Hände rauf, Hände runter, Hände schwenken“ noch verstärkt wurde. Jegliche Zwischentöne und Zartheit im Verhältnis der handelnden Personen gingen so verloren.
Dass das Produktionsteam aber genau daran nicht lag, war nicht zuletzt daran erkennbar, dass leider auf die Kreuzigung als wohl intimsten Moment verzichtet wurde. Stattdessen blies der Regisseur in einer unglaublichen Kitschorgie zum finalen Chorhalali „Jesus Christ, Jesus Christ, Who are you? What have you sacrificed?“ Christus wurde da als Prozessions-Statue in rosa Perücke und rosa Outfit mit Riesenherz auf der Brust durch den Raum getragen und das Ganze als freudiges Tanzhappening mit Schunkelfaktor abgefeiert. Klar, dass man aus der überspitzt-überhitzten Wohlfühlnummer nicht mehr für die Ernsthaftigkeit der Hinrichtung am Kreuz herauskommt.
Die Leistungen von Chor und Orchester der Komischen Oper waren durch den massiven Einsatz von Verstärker und Lautsprecher bestimmt und daher nur peripher beurteilbar. Dass das Ergebnis klanglich nicht berauschend ausbalanciert ausfiel, wurde bereits erwähnt. Vielmehr bestimmten die Schlagzeuger, Gitarristen und Keyboarder auf der Galerie über der Bühne, optisch ein Remake der Band Sigue Sigue Sputnik, die Phonstärke der Aufführung.
Insgesamt ist von einem Abend zu berichten, der vor allem von der singulären Kraft der Musik sowie den unglaublich gut gecasteten und stimmfitten Darstellerinnen und Darstellern in allen Haupt- und Nebenrollen lebt. Ansonsten werden sich bei dieser Produktion alle, die auf textiles Glitzertransparentgefunkel, queer-ironische Settings und herbe Lautstärke des Sounddesigns abfahren, gut aufgehoben fühlen.
Weitere Vorstellungen am 20., 21., 27., 28., 30. September, 1., 2., 3., 4., 5., 7. Oktober, letzte Vorstellung am 8. Oktober. Weil die Nachfrage so groß ist, wurden zwei zusätzliche Vorstellungen am 7. und 8. Oktober angesetzt. Tickets für diese Termine sind telefonisch unter +49 (0) 30 47 99 74 00, an der Opernkasse Unter den Linden und online erhältlich.
Musikalische Leitung Koen Schoots
nszenierung Andreas Homoki
Bühnenbild Philipp Stölzl
Kostüme Frank Wilde
Künstlerische Mitarbeit Bühnenbild Franziska Harm
Choreografie Sommer Ulrickson
Chöre David Cavelius
Licht Olaf Freese/Florian Schmitt
Sounddesign Holger Schwark
Besetzung
Jesus von Nazareth John Arthur Greene
Judas Ischariot Sasha Di Capri
Maria Magdalena Ilay Bal Arslan
Pontius Pilatus Kevin(a) Taylor
Kajaphas Daniel Dodd-Ellis,
Hannas Michael Nigro
Petrus Oedo Kuipers
Simon Zelotes Dante Sáenz
Herodes Jörn-Felix Alt
Priester / Apostel Manuel Lopez/Thomas Tucker/Gerd Achilles
Soul Girls / Ensemble Masengu Kanyinda/Coreena Brown/Amelia Francis
Apostel / Ensemble Rachel Bahler/Youngky Eurlings/Eike Onyambu/Vivienne Dejon/Thea Seibert von Fock/Kristine Emde/Erika Del Re/Vicky van Zijl/Johannes Kiesler/Martin Mulders/Joshua Beck/Robert Lankester
Dr. Ingobert Waltenberger