Berlin, Komische Oper: Humperdinck HÄNSEL UND GRETEL , Premiere am 24.3.2013
REINHARD VON DER THANNEN, bekannt als Hans Neuenfels´ Ausstatter, führt diesmal an der Komischen Oper Regie. Er will den Märchenstoff, der in Adelheid Wettes Libretto auch nicht frei von blumigem Schwulst ist, entschlacken und setzt auf einen aseptisch weißen Einheitsraum, der als Spielfläche sowohl für die ärmliche Besenbinderwelt wie den dunklen Hexenwald taugen soll.
Das gelingt leider ganz und gar nicht. Bei Familie Besenbinder sind alle chic angezogen, sie kokettieren eher mit dem „Hunger“ als darunter zu leiden. In modernen Unisex-Klamotten tummeln sich die beiden Kinder fröhlich, die Mutter, frisch auftoupiert im aufwendigen Kostüm kann sich nicht ernsthaft über den zerteilten Plastikeimer aufregen. Der Familienvater Peter ist eine reine Witzfigur in Unterhose mit Sockenhaltern, ein Aufzieh-Hampelmann, der sich tollend amüsiert und weder materielle noch existenzielle Not des Kindsverlustes erfährt.
Den Wald bildet Riesensilberbesteck, das vom Himmel fällt, leider nicht unheimlich oder bedrohlich, sondern eher modisch gestylt. Und zur Hexenwelt ist der Regie lediglich eine kalt monotone Bonbon- und Süßigkeitenwelt eingefallen, die eine adrette Madame mit wechselndem Kopfschmuck verwaltet, die die Hexe vorgibt zu sein. Hier verschenkt die Szenerie jegliche Spannungsmöglichkeiten, die selbst ein konservativ konventionelles Arrangement herzustellen vermag. Die Gefahr, in der die Kinder stecken, wird nicht einmal angedeutet – und so unspektakulär wie die Hexe auftritt verschwindet sie, fürs Parkett unsichtbar in einer Klappe, die zum Glück noch etwas nachraucht.
Sicher darf dem Team um von der Thannen ein hohes ästhetisches Stilgefühl bescheinigen, eine spannende Operninszenierung allerdings sieht anders aus. Unvermeidlich scheinen wieder einmal Videoeinspielungen bei allen orchestralen Zwischenmusiken und der Ouvertüre zu sein, die ablenken, nicht exakt zum musikalischen Geschehen passen und zunehmend ideenärmer werden. (Video: BJÖRN VERLOH).
Und dabei spielt das Orchester der Komischen Oper diese Ouvertüre so farbenreich und best- intoniert. Saubere Hörnersätze, lupenreiche Holzbläserakkorde und differenziert ornamentierende Streicher zeigen das Kollektiv von seiner allerbesten, selten so gehörten Seite.
KRISTINA POSKA am Pult lässt frei und unforciert musizieren. Die gelegentliche Überinstrumentierung, die diese Oper so schwer durchsichtig macht, stellt sich nur ganz selten hinderlich ein. Meist haben die Sänger Raum, sich zu entfalten.
Das gelingt vor allem dem Titelpaar. MAUREEN MCKAY hat die ideale Gretelstimme. In der Höhe strahlend mit voller Mittellage singt sie mühelos und spielt dabei mit leichtfüßigem Verve. Die Tanzeinlagen mit ihrem Hänsel zu Beginn des Stückes sind cool und witzig zugleich. Noch natürlicher im Spiel, mit warm-timbriertem Mezzo nimmt THERESA KRONTHALER als Hänsel für sich ein. Beide Sängerinnen harmonieren stark miteinander und tragen mit Noblesse und Qualität die Aufführung. Der ganz im Piano beginnende Abendsegen gehört musikalisch so auch zu den Höhepunkten. Allerdings wird dieser durch ein äußerst unbegabt agierendes Tuntenballett der örtlichen männlichen Komparserie gleichzeitig zum szenischen Tiefpunkt der Vorstellung.
URSULA HESSE VON DEN STEINEN tut sich mit der Hexe schwer. Unvorteilhaft in Szene gesetzt, kann man zwar immer wieder ihr Bühnentalent erahnen, aber eine wirklich interessante Figur ist diese Hexe nicht geworden. Stimmlich bleibt sie zu wenig artikuliert und pointiert. Die undankbare Rolle der Mutter ist bei CHRISTIANE OERTEL in souveränen Händen.
TOM ERIK LIE als Vater bringt viel Spielwitz mit, seinem hellen Bariton mangelt es andererseits an Sonorität und Weite im Klang. Die beiden Männchen werden von auch szenisch talentierten Mitgliedern des Studios dargeboten: Sand… ADELA ZAHARIA und Tau… ARIANA STRAHL.
Der Kinderchor ist zahlreich, choreographisch leicht mit Passrampengängen überfordert, akustisch tadellos.
Als Fazit bleibt ein vor allem musikalisch hörenswerter Abend. Szenisch ist viel versucht, dem Stoff und der Stückdramaturgie dabei aber wenig geholfen worden.
Damian Kern