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BERLIN/ Komische Oper: DIE TOTE STADT von Erich Wolfgang Korngold. Premiere

01.10.2018 | Allgemein, Oper


Sara Jakubiak (Marietta) mit dem Ensemble, Foto Iko Freese / drama-berlin.de

Berlin/ Komische Oper: „DIE TOE STADT“ von Erich Wolfgang Korngold, Premiere, 30.09.2018

Die tote Stadt“ als Saisoneröffnung wirkt bei ihrer Premiere an der Komischen Oper Berlin recht lebendig, was zunächst dem Orchester des Hauses unter der Leitung des neuen GMD Ainārs Rubiķis zuzuschreiben ist. Der 40jährige Lette setzt bei der musikalischen Gestaltung dieses Psychothrillers eher auf laute Effekte als auf das Geheimnisvolle, das diesem Stück, vor allem im Libretto, innewohnt.

In der Musik ist das allerdings nicht immer enthalten. Korngold war 19 Jahre jung, als er mit dem Komponieren dieses Dreiakters begann und sich dabei deutlich an den Großen orientierte. Von Wagner bis Wiener Walzer ist alles drin, insbesondere Richard Strauss.

1920 wurde das Werk des dann Dreiundzwanzigjährigen sogleich an zwei Orten – in Hamburg und Köln – uraufgeführt und per saldo ein stattlicher Erfolg. Über 500 Mal ist es auf internationalen Bühnen gespielt worden, bis die Nazis das Stück verboten. Seit einer Zeit wird es wiederentdeckt, z.B. 2017 an der Dresdner Semperoper, nun also auch in Berlin-Mitte.

Hier spielt diese Oper in den „Roaring Twenties“. Eigentlich. Doch vom üblichen Pepp an diesem Haus ist in der Inszenierung von Starregisseur Robert Carsen relativ wenig zu entdecken. Ihn reizt wohl mehr der psychologische Aspekt und die Frage, warum hier zwei Frauen sterben (müssen).

Dabei geht er über das Libretto von Paul Schott hinaus, ein Pseudonym, hinter dem sich hauptsächlich Julius Korngold verbarg, der Vater von Erich Wolfgang Korngold.  Sein Vorbild war der 1892 veröffentlichte symbolistische Roman „Bruges-la-Mort“ (das tote Brügge oder Brügge – der Tod) von Georges Rodenbach, ein Sujet passend zur Stimmung des Fin-de-siècle. In den Text sind auch Sigmund Freuds Traumdeutungen eingewoben.

Im Original handelt es sich beim Tod beider Frauen nur um Pauls schlimme Albträume. Carsen sieht das anders. Hinter einem Gaze-Vorhang ermordet er – in einer Rückblende – seine vergötterte Maria. Ein Psychopath, der meuchelt, was er liebt. Doch die Tote lässt ihn nicht los. Ihr blasses Gesicht auf dem Video von Will Duke fordert von ihm nun Treue über den Tod hinaus.

Also hat Paul das Schlafzimmer in eine „Kirche des Gewesenen“ verwandelt. Zu sehen sind ein recht pompöses Doppelbett, vorne links eine Frisierkommode und rechts ein Tisch mit zwei Sesseln. Auf diesem Tisch steht Pauls „Heiligtum“, wie er es selber nennt: ein Glaskästchen mit Marias blondem Haar. Ansonsten zahlreiche Fotos der Toten und vorne aufgereiht ihre Schuhe (Bühnenbild: Michael Levine). Doch alles wirkt erstaunlich proper. Ein Modergeruch, der der Tänzerin Marietta, Marias Nachfolgerin, später auffällt, haftet diesem aufgeräumten Totentempel nicht an.


Sara Jakubiak als Marietta, Aleš Briscein als Paul, Copyright Iko Freese / drama-berlin.de

 

Zunächst steht Aleš Briscein als der Witwer Paul allein auf der Bühne und singt mit wohlgeführtem und kraftvollem Tenor seine fortwährende Liebe zu Maria heraus. Ohne Ermüdung trägt er stimmlich die Hauptlast in den drei Akten, wirkt aber als Darsteller zumindest anfangs recht steif. Das Totenzimmer ist vermutlich seit längerem sein Lebensraum, nur selten scheint er dieses morbide Umfeld zu verlassen. Er verharrt, von seiner treuen Haushälterin Brigitta (Maria Fiselier!) umsorgt, total in der Vergangenheit.

Auch sein Freund Frank (Günter Papendell mit seinem kräftigen Bariton) mahnt vergeblich, mit dem Trauern aufzuhören und ins Leben zurück zu kehren, und das geschieht fast wider Willen, als er zufällig der Tänzerin Marietta begegnet. Marias Beerdigung erscheint als warnender Rückblick auf der Bühne, die Totenglocken läuten mahnend.

Doch da sie Maria unglaublich ähnlich sieht, endet Pauls posthume Treue, zumal diese Frau eine Verführerin sondergleichen ist. Sara Jakubiak, die zuvor an der Deutschen Oper in der Titelpartie der Oper „Das Wunder der Heliane“ überzeugte, reüssiert auch als Marietta. Mit ihrem tragfähigen Sopran bietet sie eine stimmliche und darstellerische Glanzleistung.

Jetzt dreht sich dank der Drehbühne das Doppelbett, glitzert nun kräftig, als die Schauspieltruppe – mit der im Luxusoutfit auf dem Kronleuchter herabschwebenden männergeilen Marietta (Kostüme: Petra Reinhardt) – auf den Betten tanzend eine Szene aus „Robert, der Teufel“ probt (Choreographie: Rebecca Howell).

So knackig geht es nicht weiter, hat sich die allseits Begehrte doch in diesen Sonderling verliebt und will ihn unbedingt seinem Maria-Totenkult entreißen, der von Carsen (und musikalisch von Korngold) durch eine Kinderprozession mit zahlreichen umher getragenen Marien-Statuen karikiert wird. Lieblich singt der Kinderchor der Komischen Oper Berlin von der Sehnsucht nach Jesus, und Paul strahlt.

Doch trotz seiner zur Schau getragenen Frömmigkeit wird der psychisch Kranke erneut zum Mörder. Als Marietta, mit der er nun in seinem Haus zusammenlebt, ins Totenzimmer eindringt, Marias Bilder zu Boden wirft und sich schließlich sogar mit ihrem heiligen Haar schmückt, brennen bei Paul alle Sicherungen durch. Er erwürgt sie mit genau diesen Haaren. Zwei Menschen in weißen Arztkitteln – Brigitta und Frank – geleiten Paul hinaus und sicherlich in die Psychiatrie.

In den Nebenrollen gefallen als Juliette Georgina Melville, als Lucienne Marta Mika sowie Adrian Strooper als Victorin, der Regisseur und Ivan Turšić als Graf Albert.

Zuletzt vehementer und verdienter Beifall vor allem für Sara Jakubiak und Aleš Briscein. Viel Applaus erhalten auch Ainārs Rubiķis und der Chor, geleitet von  David Cavelius. Einige Buhs erntet dagegen das Regieteam.     

Ursula Wiegand

Weitere Termine am 6., 14. und 31. Oktober, 18. und 28. November, 14. und 25. Dezember sowie am 28. Juni 2019.

 

 

 

 

 

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