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BERLIN/ Komische Oper: DIE SIEBEN TODSÜNDEN – Premiere

13.02.2012 | KRITIKEN, Oper

Berlin, Komische Oper: Premiere „DIE SIEBEN TODSÜNDEN“, 12.02.2012


Dagmar Manzel als Anna, Foto: Monika Rittershaus

Barrie Kosky, der künftige Intendant der Komischen Oper, hat bei seiner Inszenierung erneut ganz auf Dagmar Manzel  gesetzt, und diese Rechnung geht auch diesmal voll auf. Nach dem Publikumsansturm auf „Kiss me Kate“ lässt die gestandene Schauspielerin mit Gesangsausbildung „Die sieben Todsünden“ von Kurt Weill nach dem Text von Bertolt Brecht auf  ihre Art überzeugend lebendig werden.

Den Anfang machen jedoch acht Songs von Kurt Weill, zum Teil mit Brecht-Texten,  darunter das bekannte „Surabaya Johnny“. Hier kann Dagmar Manzel ihre Qualitäten als Diseuse, begleitet vom Pianisten Frank Schulte, sofort unter Beweis stellen. Eine passende Auffüllung dieses recht kurzen, aber kurzweiligen Abends.

Das Duo Weill/Brecht scheint momentan ohnehin wieder in Mode zu sein. Weills Kompositionen, die europäische Traditionen – selbst Fugen – mit jüdischer Musik und amerikanischem Blues verknüpfen, sind gekonnt gearbeitet und so gesehen zeitlos. Die Ausbeutung und Selbstausbeutung von Frauen, die Brecht thematisiert, ist ebenfalls nach wie vor aktuell. Brecht nennt dieses halb getriebene, halb freiwillige Opfer schlicht Anna. An ihr zeigt er auf süffisante Weise die Scheinheiligkeit der Gesellschaft und ihrer eigenen Familie. Denn diese Familie schickt das hübsche Mädchen aus, um als Tänzerin in den großen Städten Geld zu verdienen für ein neues Häuschen „in Lousiana, wo die Wasser des Mississippi unterm Monde fließen“. Hinter dieser hehren Romantik lauern die Abgründe, und die Familie weiß das vermutlich genau.

Zunächst warnen die (wohl eher trägen) Brüder Anna vor den sieben Todsünden der gestrengen katholischen Lehre, darunter Faulheit, Stolz, Unzucht, Neid und Zorn. Für die beiden anderen – Trägheit des Herzens und des Geistes sowie Geiz bzw. Habgier – steht diese Familie selbst.

Darüber hinaus sind all’ die Verfehlungen, vor denen Anna gewarnt wird, das Erfolgsgeheimnis von Karrieren in Zeiten des Kapitalismus, den Brecht auf diese Weise anprangert. Anna jedoch kann das Geld fürs Häuschen nur dann verdienen, wenn sie sich als gefügig erweist. Allerdings gibt es die Anna bekanntlich in zweifacher Ausprägung:  eine ist die Praktische, die die in sie gesetzten Erwartungen klaglos erfüllt. Ihr Alter Ego ist die Sinnliche „mit dem kleinen weißen Hintern, der mehr wert ist als eine ganze Fabrik“. Die sehnt sich nach der wahren Liebe. Doch stets wird sie von der Praktischen, dem rationalen Teil ihres Wesens, zur Räson gerufen und entsagt so der Lebensfreude. 

Normalerweise wird das Stück von zwei Frauen verkörpert. Die eine agiert als Sängerin und Darstellerin, die andere als Tänzerin. Dagmar Manzel macht beides. Das hat durchaus Logik, sagt Anna doch im Prolog: „Wir sind eigentlich nicht zwei Personen, sondern nur eine einzige. Wir heißen beide Anna. Wir haben eine Vergangenheit und eine Zukunft.“

Als schizophrenes Verhalten sieht das Barrie Kosky laut Programmheft nicht. Und, nebenbei gefragt, würden Eltern zwei Töchter auf den gleichen Namen taufen lassen? Überdies lässt Kosky offen, ob sich Anna nach der Rückkehr in die Heimat  ertränkt oder nicht.

Insgesamt blickt hier Anna, die in den sieben Städtejahren sieben Postkarten an sich selbst geschickt hat, alleine die Bühne füllend auf ihr Leben zurück. Glaubhaft lässt Dagmar Manzel den anfänglichen jungendlichen Optimismus durchscheinen. Sie drückt Zärtlichkeit, Trotzanwandlungen, Enttäuschung und Entsagung in Stimme, Mimik und Gestik aus, je nachdem, welche Anna sie gerade darstellt. Später ist sie lediglich eine, die ihren Körper verkauft und zum Tanzen verurteilt ist, die sich ununterbrochen im Kreise dreht (Choreographie Otto Pichler) und die Moralpredigten der Familie nur noch mit höhnischem Gelächter quittiert. Schließlich bleibt ihr Mund offen stehen. Sie kann ihre Not nicht mehr hinausschreien.

Das Ende der Geschichte – hier ist es der Abgesang über Annas im Fluss treibende Leiche –  bringt die Manzel mit unterkühlter Zärtlichkeit. Eine insgesamt großartige, mit starkem Beifall und einigen Bravos belohnte Leistung. Der Applaus gilt auch den Instrumentalisten der der Komischen Oper unter der jungen estnischen Dirigentin Kristiina Poska, die beherzt zur Sache geht und sich als verlässliche Partnerin erweist.

Die in den Prozeniumslogen postierten Familienmitglieder imponieren durch das ebenso beherzte Singen ihrer Forderungen. Es sind Adam  Cioffari und Manuel Günther als die beiden Brüder sowie Sebastian Lipp als Vater und Tim Klaski als Mutter.

Insgesamt ein gelungener und sehenswerter Abend. Weitere Aufführungen am 22. Februar, , 10. März, 9. und 13. Juni und am 2. Juli.  

Ursula Wiegand

 

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