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BERLIN/ Komische Oper: COSÌ FAN TUTTE – Premiere

Berlin/ Komische Oper: „COSI FAN TUTTE“, Premiere, 11.03.2023

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Foto: Monika Rittershaus

Liebe ist nichts für Anfänger:innen, heißt nun der Untertitel für Mozarts Dramma giocoso von 1790. Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov hatte diese Oper 2018 – während 20 Monate im Hausarrest in Moskau – von Ferne erfolgreich für Zürich zurechtgemacht. Seit rund einem Jahr lebt er nun in Berlin und nimmt die hiesige Aufführung selbst in die Hand.

Das gelingt ihm insgesamt überzeugend. Schwung- und lustvoll bringt er das alte Werk ins Heute und startet das Geschehen in einem Fitnessstudio. Die Bühne ist waagerecht geteilt, oben machen die Frauen Yoga, unten die Männer Krafttraining.

Nur Don Alfonso (Günter Papendell, der Bariton des Hauses) sitzt apathisch auf einer Bank. Er raucht und kippt den Alkohol gleich aus der Flasche hinunter. Der ist hier kein alter Herr, der seine Lebenserfahrungen unter die Leute bringt.

Vielleicht ist er sogar der Trainer, der jedoch nichts Besseres im Sinn hat, als den Argwohn von Guglielmo (Hubert Zapiór) und Ferrando (Caspar Singh) zu trainieren und sie zu lehren, dass Frauen nie treu sind.

Die beiden jungen Männer schwärmen jedoch für ihre hübschen Verlobten und schauen sich deren Bilder gerne auf ihren Smartphones an. Sie sind sich deren Treue sicher und wetten sogar noch darauf. Soweit, so bekannt.

Wie jedoch Serebrennikov den Don Alfonso einschätzt und Papendell ihn darstellt, ist dieser vermutlich von Frauen enttäuschte Mann nur darauf bedacht, das Glück der anderen zu zerstören. Die Mädels, die Schwestern Fiordiligi (Nadja Mchantaf) und  Dorabella (Susan Zarrabi), sind ebenso glücklich und lassen sich von Despina (Alma Sadé), die wie eine Dame an der Rezeption wirkt, gerne mit Cocktails verwöhnen.

Doch plötzlich müssen laut Don Alfonso die beiden Männer in den Krieg ziehen und sogleich Abschied nehmen. Schon sind sie in Uniform, und Ferrando schafft gerade noch einen „Quickie“ mit seiner Liebsten. Es wird, zumindest mit seiner Verlobten Fiordiligi, sein letzter sein, während Ausschnitte aus einem früheren Kriegsfilm eher das lustige und ereignisreiche Soldatenleben zeigen.

Doch Kirill Serebrennikov, der nicht am Libretto von Da Ponte aus dem Jahr 1790 kleben bleibt, weiß genau: Liebe ist kein Spiel, und der Krieg ist es schon gar nicht. Auch ist  dieser Verkleidungsplot kein Experiment. Bevor die Oper wie üblich beginnt, werden die Leichen der beiden Verlobten in mit Blumen geschmückte Särge gelegt, und die zwei Schwestern halten dann die Urnen in den Händen.

Diese Oper ist also mehr Dramma als giocoso. Doch Mozarts wunderbare Musik, von der jungen Katharina Müllner feinfühlig dirigiert und vom Orchester des Hauses bestens gespielt, übertönt sozusagen die Sonderbarkeiten des Librettos.

Nach der eingefügten Trauerfeier für die beiden Gefallenen macht Serebrennikov quasi eine Rolle rückwärts. Offensichtlich will dieser geübte Film- und Theaterregisseur das Publikum dennoch bestens unterhalten. Viel fällt ihm dazu ein, und so geht es nun temperamentvoll und oft auch witzig weiter.

Übrigens hält Serebrennikov die beiden jungen Frau für nicht so blöd, wie es Da Ponte uns weismachen will. Jede der beiden Schwestern kennt den Lover der anderen. Auch verkleidet wird sie ihn schnell erkennen. Die Männer, obwohl befreundet, werden laut Da Ponte jedoch bald beweisen, dass sie auch bei der jeweils anderen Schwester Erfolg haben.

Diese Ungereimtheiten, die die meisten Regisseure bisher so übernommen haben und das Publikum seit mehr als 200 Jahren „genossen“ hat, schafft Serebrennikov nun ab und stellt den beiden Männern ein Double an die Seite. Nun macht die Sache Sinn.

Und jetzt macht sie auch Spaß. Laut Mozart bzw. Da Ponte sollten die beiden Verlobten ihre Liebsten als Exoten (Afghanen) verkleidet, verführen. Hier erscheinen sie als Araber in langen weißen Gewändern. Das Publikum lacht über diesen famosen Einfall. Beide sind Schauspieler, die in Berlin leben: Goran Jurenec heißt der schlankere, Amer El-Erwadi der andere, ein wahrer Muskelprotz.

Beide Männer stürzen sich vom Fernseher auf den Kühlschrank, schlingen die Vorräte hinunter, haben sich dabei angeblich vergiftet und bitten die beiden Frauen um Mitleid und Hilfe, was diese aber verweigern. Die beiden Fremden machen das Anbaggern mit sichtlichem Humor und bitten zunächst nur um einen freundlichen Blick der beiden Frauen.

Doch steter Tropfen höhlt den Stein. Wie herzerweichend haben sich die beiden Schwestern gerade noch nach ihren Verlobten gesehnt und wollten vor Kummer gleich sterben. Angeregt von Despina, suchen sich die beiden bald farbenfrohe Kleider aus. Dorabella, die als erste Sexlust verpürt, wählt ein sonnengelbes, die noch zögerliche Fiordiligi ein blaues. Es sind die Farben der ukrainischen Flagge.

Und nun ist echt Sex im Saal, aber peinlich wird das nie, eher lustig. Dorabella knipst als Erste die Röhre aus, die das große Kreuz über ihrem Bett erhellt, und ist dann weg. Ein Lustschrei ist zu hören.

Fiordiligi tut sich schwerer mit der Untreue, knipst die Leuchtröhre ihres Kreuzes mal aus und dann wieder an. Nadja Mchantaf singt mit gelenkigem Sopran ihre Seelenqualen berührend heraus. Susan Zarrabi als Dorabella, ebenfalls Sopran, hat aber schon ja zu der neuen Liebe gesagt. Und das alles geschieht laut Da Ponte in nur in 24 Stunden.

Und die Doubles? Die singen nicht. Das machen die beiden Kriegstoten, die mal neben den Lebendigen oder im oberen Teil der Bühne stehen, so als hätten die fremden Herren gerade ihre Stimmen verloren. 

Hubert Zapiór als Guglielmo singt sich als erster mit klangvollem Bariton die Enttäuschung über seine ungetreue Dorabella vom Leibe. Er schämt sich, diese Wette gemacht zu haben und liebt sie noch immer. Caspar Singhs klarer Tenor, erst siegesgewiss, vereint schließlich Trauer und Wut über die Untreue seiner Geliebten. Beide und vor allem auch Nadja Mchantaf erhalten sofort Zwischenbeifall für Ihre Arien.

Per saldo bewährt sich nun die Wahl von Doubles. Viel schlimmer wäre es doch, hätten sich die „Fehltritte“ der Frauen innerhalb der Familie ereignet, wie es Don Alfonso eigentlich wollte. Das hätte immer wieder Anlass zu Untreue-Verdacht gegeben.

Stattdessen heiraten die jungen Frauen nun die neuen Liebhaber in Hochzeitskostümen, wie sie womöglich in Albanien oder bei den Arabern üblich waren oder sind. Die Kontrakte werden unterzeichnet. Doch dann kommt Bestürzung auf, und hastig reißen sich die Frauen die bunten Kostüme samt Kopfputz vom Leibe. Ihre Verlobten stehen plötzlich im Raum. Sind sie Gespenster oder war ihr Tod im Krieg eine Täuschung?

Jedenfalls kommt es nun zur bekannten Doppelhochzeit. Der Chor des Hauses jubelt. Also Liebe, Friede, Eierkuchen? Daran sind wohl Zweifel angebracht.

Unzweifelhaft sind nur die Leistungen aller Beteiligten und Mozarts Musik. Das Publikum, offenkundig mit Kirill Serebrennikov Lesart zufrieden, applaudiert anhaltend. Einige Buhs erhält Serebrennikov dennoch – von Männerstimmen.

Aber müsste diese Oper ehrlicherweise nicht „Così fan tutte“, sondern „Così fan tutti“ heißen?  Ursula Wiegand

Weitere Termine am 17. und 24. März sowie am 10., 20. und 30. April.

 

 

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