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BERLIN/ Komische Oper: BALL IM SAVOY

13.06.2013 | KRITIKEN, Oper

Berlin/Komische Oper: „BALL im SAVOY“, ein weiterer Kosky-Knaller, 12.6.2013


Ball im Savoy, in rot Dagmar Manzel, dahinter Katharine Mehrling, Foto Iko Freese, drama-berlin.de

Amüsieren bis der Arzt kommt, Tanzen, dass die Bretter beben, mal im Edelflitter, mal fast nackert. Singen, schmettern, säuseln, jodeln. Charme und Chuzpe, glitzernde Laster – das wilde, exzentrische Berlin in den „Golden Twenties“ und schon ein Tanz auf dem Vulkan. So zu erleben als neuer Knaller in der Komischen Oper Berlin.

Gezeigt wird das unvermutet letzte fetzige Aufbäumen von freier Feier- und Lebenslust der High Society. Edel und vulgär, ein bisschen schwul, leicht lesbisch, sex- und heiratsbesessen, himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, trashig und hochnobel wie beim Paso Doble.

So ähnlich, nämlich „José Pasodoble“, nennt sich die hübsche Daisy Darlington. Hinter diesem männlichen Pseudonym verbirgt sich eine junge, blitzschnell erfolgreich gewordene Jazz-Komponistin. Als Frau hätte man sie damals in diesem Genre nicht für voll genommen.

So jedenfalls steht’s im Libretto von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda.

Der österreich-ungarische Komponist Paul Abraham hat diese heutzutage oft recht altbackenen Texte und Witzchen in eine fabelhaft schmissigen Musikmantel gehüllt, der vor allem wegen seiner Jazz-Affinität nichts an Schwung und Aktualität eingebüßt hat.

Der Jazz hatte es Abraham angetan, und so zog er von Wien nach Berlin, wo diese amerikanische Musik bereits heimisch war. Aus der munteren Mischung aus Wiener Mélange, Berliner Fluidum und Jazz entstand Abrahams „Ball im Savoy“, die erste Jazz-Operette überhaupt.

Ein exemplarischer Titel, typisch für den kosmopolitischen jüdischen Komponisten, war doch das „Savoy“ in New York das erste Parkett, auf dem Weiße und Schwarze miteinander tanzen durften. Die Uraufführung am 23.12.1932 in Berlins Großem Schauspielhaus, jedoch mit den Stars vom Operettentempel „Metropol“, wurde zur Sensation.

Schon vorher hatte Abraham mit seinen konservativeren Stücken „Blume von Hawaii“ und „Viktoria und ihr Husar“ große Erfolge. Doch „Ball im Savoy“ war der Knüller, musste aber schon zwei Monate später, nach der Machtübernahme der Nazis, vom Spielplan abgesetzt werden. Abraham floh über Budapest, Wien, Paris und letztendlich nach Amerika.

Solch ein Coup gelingt ihm dort nicht mehr, das Schicksal zerbricht ihn. Syphilis-krank und schließlich geistig verwirrt dirigiert er 1946 auf der Madison Avenue den Verkehr, als hätte er sein Berliner Orchester vor sich, erfahren wir aus dem Programmheft.

Das damalige „Metropol“ heißt inzwischen „Komische Oper“, und Intendant Barry Kosky erweckt nun mit seiner Inszenierung – 80 Jahre nach dem Aus für „Ball im Savoy“ – Abrahams Meisterwerk zu neuem Leben.

Er lässt sozusagen vom Blatt spielen und singen, verkneift sich nahe liegende Anspielungen auf damalige und jetzige Entwicklungen. Der Text bleibt also unverändert und wirkt, was den Türken Mustafa Bey betrifft, heutzutage politisch inkorrekt. Und wenn vom lustigen Leben am Bosporus und in Konstantinopel (jetzt Istanbul) die Rede ist, kommen mir durchaus zeitnahe Assoziationen.


Ball im Savoy, Massenszene mit Dagmar Manzel, Foto Iko Freese, drama-berlin.de

Also nehmen wir das Stück im Original und so kunterbunt und lebensprall, wie es gemeint war, also in der hitzig-witzigen Choreographie von Otto Pichler und den teils eleganten, teils fetzig-fantasievollen Kostümen von Esther Bialas.

Immerhin gönnen sich Kosky und sein Bühnenbildner Klaus Grünberg auf dem geschlossenen Vorhang während der Ouvertüre Anspielungen auf die hübsche virtuelle Bilderwelt der neuen „Zauberflöte“ (Video: Klaus Grünberg, Anne Kuhn).

Autos, Schiffe, Flugzeuge und allerlei landestypisches Getier illustrieren die einjährige Hochzeitsreise rund um die Welt, die der Marquis Aristide de Faublas und seine Frau Madeleine gerade absolviert haben. Und beide – Christoph Späth und Dagmar Manzel – sind noch immer so verliebt wie beim ersten Kuss. Fast.

Durfte sich die Manzel gerade noch strahlend als die „glücklichste Frau der Welt“ in die Herzen singen, so sinnt der Gatte schon darüber nach, wie er trickreich auf den „Ball im Savoy“ entwischen kann, um dort seine frühere Flamme Tangolita zum einst versprochenen Soupée zu treffen. Angeblich, so sagt er Madeleine, will er dort nur seinen alten Freund „José Pasodoble“ wiedersehen, die Idee seines Freundes Mustafa Bey. Dass sich dahinter, wie schon angemerkt, Daisy Darlington verbirgt und die Madeleines Freundin ist, ahnen beide nicht und machen sich alsbald herzlich lächerlich.

Doch schon vorher hat sich Botschaftsattaché Mustafa Bey (Helmut Baumann) nach sechs Heiraten und Scheidungen („ich bin ja Türke“) in die knackig-behoste Daisy (Katharine Mehrling) verliebt. Alle seine Ex-Frauen hat er großzügig abgefunden, die letzte – ein Lacher – ist übrigens ein junger dunkelhaariger Mann aus dem Bezirk Friedrichshain. Doch nun will er sich mit Daisy die nächste an Land ziehen. Der dicke Ehevertrag bleibt jedoch zunächst in der Tasche, nimmt sie ihn doch auf höchst verführerische und raffinierte Weise auf den Arm.

Katharine Mehrling macht das bravourös, gibt mit fabelhaft wandelbarer Stimme – auch mal als Big Band-Jodelqueen – sowie mit beinahe artistischen Einlagen eine mit allen Wassern gewaschene Berliner Supergöre mit Herz und Verstand. Dennoch ist sie ein Showgirl vom Feinsten, hat in London und New York ihren Schliff bekommen und bereits das Publikum im hiesigen Wintergarten begeistert. Nun wird sie auf der Opernbühne (auch bei dieser zweiten Aufführung) zum neuen, umjubelten Star.

Dagmar Manzel, schon lange ein Star, wirft gesanglich und darstellerisch ihre ureigenen Meriten wirkungsvoll in die Waagschale. Sie wechselt von der verliebten Ehefrau in die vom Gatten Hintergangene, die von Daisy angestachelt auf Rache sinnt. Als Kokotte verkleidet besucht sie ebenfalls den „Ball im Savoy“ und krallt sich dort einen Lover.

Sie bietet ein Wechselbad der Gefühle von todtraurig, wenn sie melancholisch singt „Was nutzt uns Frauen die Treue“ zum bewusst frivolen „Toujours l’amour“, d.h. in diesem Fall heiße Küsse, schnelle Liebe, doch das Herz bleibt eiskalt. Heutzutage bestenfalls ein one-night-stand.

Doch, welch ein Affront zu damaliger Zeit! Sie macht ihren (vorgetäuschten) Ehebruch öffentlich nach dem Motto: Gleiches Recht für alle. Frauendemonstrationen zu Gunsten von Madeleine und für mehr weibliche Freiheit schließen sich an.-

Allerdings tut Madeleine diesen Schritt nur, um den sogleich vor Eifersucht schäumenden Gatten zurück zu gewinnen. Der aber will – na klar – die sofortige Scheidung. Dass der als Rechtsbeistand herbei gerufene Célestin Formant (Dennis Dobrowolski ausgerechnet Madeleines Partner (Opfer) im Savoy gewesen ist, kann als typisch operettenhafte Wendung durchgehen.

Ja, es sind die Frauen, die bei Paul Abraham und seinen Librettisten das Heft in die Hand nehmen. Und dass Barry Kosky die Rolle der argentinischen Tänzerin Tangolita mit der eher fülligen Agnes Zwierko besetzt, ist eine grandiose Idee. Eine lustvolle „Wuchtbrumme“ mit Opernorgan, ein krasser Kontrast zum schlanken Christoph Späth, dem Marquis auf Abwegen.

Zwei weitere finden sich: Daisy Darlington und Mustafa Bey. Da ist Staunen angesagt. Ja, wo die Liebe hinfällt. Selbst diese kesse, aufgeweckte Frau fällt ihr anheim und verlobt sich mit dem unzuverlässigen Galan. Als erfolgreiche Jazzkomponistin hat sie ohnehin eine Wette mit ihrem Vater gewonnen. Sie ist nun frei, nimmt den Türken und nicht den ihr zugedachten Schokoladenkönig.

Auch das Dienstpersonal der hohen Herrschaften – der Kammerdiener Archibald und die Zofe Bébé – wissen, was Liebe ist. Beide erinnern sich an ihr erstes Zusammentreffen im „scheijnen Wien“. Peter Renz und Christiane Oertel singen das „Pardon, Madame“ auf jiddisch. Das geht ans Herz.

Für „Pfeffer unterm Hintern“ sorgt ansonsten das bestens disponierte Orchester des Hauses unter der Leitung von Adam Benzwi. Doch noch einprägsamer wird es, wenn er sich an den Flügel setzt und die Manzel bei ihrem Wehmutssong begleitet.

Ein dickes Lob verdienen auch die Chöre, einstudiert von David Cavelius. Als singende Statisten sind sie ebenfalls Klasse. Anfangs und am Ende sorgt das Lindenquintett Berlin für den Sound der goldenen Zwanziger. Dass diese Zeit irgendwie wieder „in“ ist, immer noch zu Berlin gehört, zeigt auch der große Erfolg des Entertainers Max Raabe mit seinem Palast Orchester.

Und immer wieder gibt es begeisterten Zwischenbeifall. Dennoch hat die zweite Halbzeit der insgesamt fast 3 ½ Stunden dauernden Aufführung (noch angereichert durch Songs aus „Die Blume von Hawaii“ und „Victoria und ihr Husar“) nach meinem Empfinden nicht mehr ganz den Pfiff wie die erste. Das Geplänkel und all’ die Raffinessen vor der Einfahrt (oder Wiedereinfahrt) in den Ehehafen sind zumeist spannender als das Ergebnis. So auch hier.

Zuletzt noch ein sehr besinnliches Moment, wenn Dagmar Manzel – unterstützt von allen Beteiligten – das so traurig schöne „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“ leise anstimmt. Es ist ein nachträglicher Abschied und eine Wiedergutmachung an Paul Abraham. Schade nur, dass sich bei der Wiederholung des Gassenhauers „Es ist so schön, am Abend bummeln zu gehen“ nicht alle Besucher dem rhythmischen Klatschen des gesamten Ensembles anschließen. Danach aber kräftiger und herzlicher Applaus für dieses neue Highlight am Berliner Opernhimmel. Weitere Aufführungen 15., 18., 21., 23., 26. Juni, dann wieder am 2., 5., 11. und 25. Oktober sowie am 10. November. karten@komische-oper-berlin.de  

Ursula Wiegand

 

 

 

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