BERLIN / Hochschule für Musik/Studiosaal Hanns Eisler: DIE FLEDERMAUS; 21.10.2025
Grandioser Erfolg: Beschwingt walzerselige Aufführung im DDR-Ambiente

Fotos: c Janine Escher
Professor Claus Unzen, Leiter des Studiengangs Regie an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, hat im Stadium abeundi seiner Karriere Johann Strauss‘ Operette „Die Fledermaus“ mit seiner Klasse erarbeitet. Klar, dass 2025 in Berlin keine Otto Schenk urwienerisch-bürgerliche Interpretation zu erwarten ist. Also hat er das einzig richtige gemacht. Nämlich dem Genius loci zuliebe das geniale Stück um Phäakentum, erotisches Allerlei und spießige Verlogenheit in die Geschichte der renommierten Musikuniversität eingebettet, die Dialoge entsprechend adaptiert und die Musik sowie die Personenkonstellationen so belassen wie sie sind.
Das geht dann so: Die DDR befindet sich in den letzten Zügen. Das Ehepaar Eisenstein macht auf einem Campingplatz (sensationell nostalgisches Bühnenbild von Ivan Ivanov) Urlaub. Adele ist am Campingplatz als Mädchen für alles (im Programm steht Haushaltshilfe) angestellt. Die Racheintrige schmiedet der einstens im Fledermauskostüm in aller Öffentlichkeit brüskierte Dr. Falke nicht mit einem Prinzen Orlofsky, sondern mit Hilfe eines russischen Soldaten dieses Namens, der die ganze Partie in Akt zwei in ein Restaurant in 80-er Jahre Resopal-Ästhetik mit Fischtrophäe an der Wand einlädt.
Einstweilen protestiert eine kleine Schar junger Menschen (=Chor) gegen das korrupte kommunistische Establishment. Die festliche Stimmung im zweiten Akt kulminiert im TV-Bericht über den Mauerfall. Alle verbrüdern sich und einige im Publikum dürfen sich mit dem Bühnenpersonal im Wiener Walzer versuchen.
Im dritten Akt lamentiert ein als Hanns Eisler verkleideter Frosch über die angedrohten Einsparungen im Berliner Kultursektor und schwärmt von den Ausbildungsqualitäten der Hanns Eisler Uni. Gleichzeitig räsoniert dieser Gefängniswärter über die Donaumetropole der Kultur und träumt davon, einmal beim Neujahrskonzert dabei sein zu dürfen. Als die Kunde vom Mauerfall eintrifft, versucht man noch rasch, einzelne Stasi-Akten verschwinden zu lassen. Freilich ist auch die gegen Eisenstein verhängte Gefängnisstrafe nun obsolet. Mit „O Fledermaus, o Fledermaus“ findet das Ganze sein jubelndes Ende.
Natürlich bestellt Eisenstein im ersten Akt nicht Tafelspitz, sondern einen Broiler (in Wien sagt man dazu knuspriges Brathendl), ein Jägerschnitzel mit Erbsen und Kraut. Madame Rosalinde wünscht sich zum Dessert in Hippokras (ein stark gesüßter roter Gewürzwein) eingelegte Früchte.
Das Wunder an der ganzen Sache: Das Konzept ist für Berlin maßgeschneidert, geht aber auch für einen wie mich in Wien kulturell Sozialisierten und Geschulten großartig auf. Das lag u.a. daran, dass Regisseur Claus Unzen die Grundgeschichte – wie sie ist – mit viel Freude am Detail, feinem Humor und dem hundertprozentigen Einsatz des jungen Ensembles erzählt.
Aber noch viel wichtiger bei dieser Leistungsschau einer Musikuniversität zum 200. Geburtstag von Johann Strauss II am 25.10. (da ist eine Galavorstellung dieser Produktion geplant): Die musikalische Seite erwies sich insgesamt als derart erfreulich, dass auch sehr anspruchsvolle vokale und instrumentale Leckermäuler voll auf ihre Kosten kamen.
Der formidable Peter Meiser leitete vom Flügel aus die dem Raum angepasste Bearbeitung der Partitur für kleines Orchester (neun Musiker) von Franz Wittenbrink mit wienerischer Nonchalance und den dreivierteltaktigen Rubati am goldrichtigen Fleck. Da hätten sowohl Döbling als auch die Wiener Vorstadt animiert mitgeschunkelt.
Das klangfarblich überaus reizvolle Arrangement für Flöte, Klarinette, Harmonium, zwei Violinen, Cello, Kontrabass, Schlagwerk und Klavier erinnerte in seiner Dichte an die genialen Bearbeitungen großer Orchesterpartituren von Schönbergs Verein für musikalische Privataufführungen. Da klingt die Operette vielleicht weniger geschmeidig als mit zahlreich besetzten Streichern, aber dafür markanter, rhythmisch dringlicher und lautmalerisch witziger.
Aus der durchweg engagierten und mit Herzblut sich verausgabenden Besetzung ragten die beiden Sopranistinnen Alla Khaiut als Rosalinde und Duagamorn Fu als Adele heraus. Die ukrainische dramatische Sopranistin Alla Khaiut mit beweglicher Koloratur und unglaublicher, metallisch auftrumpfender Höhe – Habe ich überhaupt schon das gefürchtete hohe Des des Csardas so fetzig und lange ausgehalten gehört wie gestern? – legte als Rosalinde mit durchgängig klangvollem und bestens sitzendem Sopran eine Leistung hin, die jedem großen Opernhaus dieser Welt Ehre gemacht hätte. Passend auch, dass Regisseur Unzen in seiner modernen Lesart der Operette auf keinen Fall Eisenstein die Schlusspointe lässt und das Stück ein wenig auch als Emanzipationsgeschichte der Rosalinde zeigt.
Ebenso sang und spielte die Thailänderin Duagamorn Fu, Siegerin des International Vocal Competition Alpe-Adria Young Voices in Graz, mit ihrem quellwasserfrisch timbrierten, technisch ausgefeilten lyrischen Koloratursopran eine lustvoll freche, schlaukecke Adele.
Der Eisenstein war mit dem Tenor Mert Üstay besetzt. Er ist der große Ungustl des Stücks. Nicht nur ein unbeherrschter „Weiberer“, sondern auch ein korrupter Opportunist, der mit seiner Schweizer Uhr am Handgelenk prahlt und sich zu Orlofsky schon deswegen bringen lässt, weil eine Russenconnection doch zu etwas gebrauchen sei. Darstellerisch gelingt Üstay ein Kabinettstück zwischen angeberisch geschwellter Brust, alkoholschwangerer Rührseligkeit und rasender Eifersucht. Außerdem ist er der Einzige des Ensembles, der mit Bravour einen Walzer auf das Parkett legen konnte. In den Tanzkünsten der übrigen jungen Studierenden des Abends besteht also noch durchaus Luft nach oben.
Als Sowjetorden-behangener Orlofsky reüssiert Janka Watermann mit dunkel kernigem Mezzosopran. Als einzige Abwandlung einer Figur darf sie sich – befreit – den aufgeklebten Bart runterreißen und als Frau weitermachen. Botschaft: Nach dem Mauerfall waren auch Identitätsfallen kein Problem mehr.
Darius Herrmann als Frank und Yutong Wei als Dr. Falke machten mit schönen, dunkelsamtig timbrierten Baritonstimmen und komödiantischer Ader auf sich aufmerksam. In weiteren Rollen waren Mario Icario da Silva als naturgemäß patscherter Dr. Blind und Sara Wijlaars als Adeles Schwester Ida zu erleben. Als Alfred durfte diesmal der leichte lyrische Tenor Dzimitry Smalonsky den Frosch mit seinem ununterbrochenen Gesang auf die Palme bringen. Das als Sprechrolle konzipierte Gefängnisfaktotum wiederum war bei der Mozart- und Liedikone Christine Schäfer, seit 2015/16 Professorin im Fach Gesang an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin, in besten Händen. Und wenn der Frosch schon so maskiert auftritt wie einst Hanns Eisler, darf Christine Schäfer auch das köstliche „Wiener Lied“ des österreichischen Komponisten Eisler und Lehrers an der Deutschen Akademie der Künste vortragen.
Dieser Frosch ist in der Hochschulproduktion kein versoffen-fauler Allerweltsphilosoph, sondern hält Stempel und Ordnung fest in der Hand. Natürlich mag er, wie Hanns Eisler, keine Opern und schon gar keine Tenöre. „Wissen Sie, was er – gemeint ist Alfred oder der Insasse in Zelle 12 – macht, wenn draußen der Regen an die Scheiben prasselt? Er verbeugt sich!“, weiß denn dieser Frosch ironisch zu berichten. Natürlich ärgert sich Frosch, diesbezüglich in der Berliner Jetztzeit angekommen, über maue Finanzen für Kunst und Musik.
Fazit: Eine grandios witzige wie – auf Ortsverhältnisse zugeschnitten – klug aktualisierte Inszenierung von „Die Fledermaus“. Mit hat es auf jeden Fall szenisch und von einigen Gesangsleistungen (Rosalinde!) her wesentlich besser gefallen als die Villazon-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin aus dem Jahr 2018.
Dr. Ingobert Waltenberger

