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BERLIN/ Haus der Berliner Festspiele: „CLASSY CLASSICS“, mitreißendes Gastspiel von Gauthier Dance

Berlin/ Haus der Berliner Festspiele: „CLASSY CLASSICS“, mitreißendes Gastspiel von Gauthier Dance 2020, 15.01.2020

Die Gastspiele von Gauthier Dance, der Dance Company Theaterhaus Stuttgart, sind stets ein Highlight im Berliner Tanzgeschehen. Nun kommen sie zum dritten Mal und begeistern noch mehr als in den Vorjahren. Begonnen hatte Eric Gauthier mit 8 Tänzerinnen und Tänzern, jetzt sind es 18, die auf der großen Bühne im Haus der Berliner Festspiele für Nachdenkliches oder für Wirbel bis hin zur Artistik sorgen.
Der Titel „Classy Classics“ lässt gleich ahnen, um was es diesmal geht, um Arbeiten von William Forsythe, Eric Gauthier, Marco Goecke, Ohad Naharin und Cayetano Soto. Sie alle sind Kultstücke zeitgenössischer Choreographen. Sie werden ergänzt durch zwei sehr gelungene Produktionen aus dem eigenen Repertoire.

Das etwa 40minütige Stück „DECADANCE“ von Ohad Naharin macht den Anfang. Das ist nicht mehr die Urfassung  von 2000, sondern eine neue Version für Stuttgart, die nun in Berlin zu sehen ist. Denn Naharin stellt für jede Stadt eine spezielle Variante zusammen, bietet also eine sich ständig weiter entwickelnde und mitreißende moderne Klassik.

Alle sind nun auf der Bühne inklusive Eric Gauthier, den topfitten mehr als Vierzigjährigen. Zunächst sitzen vorne einige am Boden, die übrigen stehen dahinter. Doch schnell ist Schluss mit der Sitzerei. Rhythmisch und höchst beweglich fegen und springen sie in Jeans und T-Shirts (die Herren) oder in Trägerhemdchen (die Damen), über die Bühne und finden sich mit kraftvoller Eleganz zu immer neuen wogenden Figurationen zusammen.

Auffallend ist – nicht nur in diesem Werk – der mehr als sonst übliche Einsatz der Arme und Finger. Mitunter lachen und kreischen sie alle, ein eindrucksvoller Männer-Pas de deux ist ebenfalls zu sehen. Aufmerksamkeit ist gefordert, um keinen der vielen Einfälle zu verpassen.

Tänzer und Tänzerinnen: Eric Gauthier, Bruna Andrade, Louiza Avraam, Nora Brown, Anneleen Dedroog, Barbara Melo Freire, Réginald Lefebvre, Nicholas Losada, Alessio Marchini, Joana Martins, Luca Pannacci, Garazi Perez Oloriz, Mark Sampson, Jonathan dos Santos, Robert Stephen, Izabela Szylinska, Sidney Elizabeth Turtschi und Theophilus Veselý. Gasttänzer/in: Andrew Cummings und Izabela Szylinska.

Weiteres zu DECADANCE:
Choreografie Ohad Naharin, Originally commissioned for the Batsheva Dance Company,
Lichtdesign & Bühne Avi Yona Bueno
Musik Maxim Waratt usw., u.a. auch Stücke der Beach Boys, komponiert von Brian Wilson und Van Dyke Parks. Kostüme Rakefet Levy
Ballettmeisterinnen Louisa Rachedi & Federica Dadamo
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Orchestra of Wolves. Guerra, Réginald Lefebvre. Foto: Regina Brocke

Nach der Pause dann Eric Gauthiers Choreographie Orchestra of Wolves aus dem Jahr 2009. Wie damals wird dieser lustige Dauerbrenner mit nur 8  Tänzern dargeboten, 3 Frauen und 5 Männern, alle mit Wolfsmasken. Beim ersten Satz von Beethovens Fünfter, seiner „Schicksalssinfonie“, rücken die wölfischen Musiker dem Dirigenten immer aggressiver auf den Pelz, nein auf den Frack. (Bühne & Kostüme Gudrun Schretzmeier).

Der springt, hetzt weg, wird eingeholt. Alle trudeln übereinander, und weiter geht die Musik (vom Band) mit gut nachgestelltem Geigenspiel. Ein urkomisches Stück, nicht ohne realistischen Hintergrund.


Gauthier Dance/Forsythe: Herman Schmerman.Duett Andrade Losada. Foto: Regina-Brocke

Im Anschluss  das „Herman Schmerman Duet“ konzipiert 1992 von William Forsythe, aber keineswegs altbacken. Die grazile Bruna Andrade und der kraftvolle, zunächst schwarz gekleidete Beau Nicolas Losada tanzen anfangs einen wundervollen, klassisch-kunstvollen Pas de deux, um ihr Duett dann humorig, beide in gelben Flatterröckchen, fortzusetzen.

Konzipiert hat es Forsythe für die Startänzerin Sylvie Guillem. Nach ihr traute sich fast niemand mehr an dieses Werk. Die Truppe von Eric Gauthier erhielt jedoch die Erlaubnis des Altmeisters, es erneut aufzuführen, was Eric einen Ritterschlag nennt. Dennoch – der gelbe Flatterrock für Nicolas Losada wirkt auf mich recht komisch. Das soll wohl  so sein, haben doch Gianni Versace und William Forsythe die Kostüme designed. Vielleicht mit einem Augenzwinkern.

Zum Höhepunkt an Tanzleistung, Kraft, Konzentration und Emotionen wird jedoch Marco GoeckesÄffi“ von 2005 zu den Songs von Johnny Cash, die eine äußerst passende Grundlage für all’ die Szenen bieten. Tanz und Musik rd. 15 anspruchsvolle Minuten lang im virilen Miteinander, mal nachdenklich, mal lebhaft und oft mit ausgeprägtem Fingerspiel. Grandios!


Gauthier Dance. P.Soto: Malasangre: Dedroog, Lefebvre. Marchinic Foto: Regina Brocke

Zuletzt und als Gegensatz zu der gerade erlebten fabelhaften „One-Man-Show“ nun Cayetano SotosMalasangre“ vom Januar 2013. 5 Männer und 2 Frauen tanzen hier Attacke mit Krallen an den Händen, die Herren dennoch in kniekurzen Röcken. Stoffschmetterlinge bedecken den Bühnenboden.

Sotos temporeiche Choreographie soll eine Hommage an die kubanische Sängerin La Lupe sein. Die, eine Unglückliche, habe ihren Kummer in geballte Energie verwandelt. Dabei haben ihr sicherlich die heißen südamerikanischen Rhythmen sehr geholfen. Ein Scherz ist auch nicht weit, wenn Mann und Frau abwechselnd das Taillengummi ihrer langen roten Röcke strecken, so dass die Partnerin bzw. der Partner mal neugierig hineinschauen und hineingreifen kann. Wird so der Metoo-Hype ein bisschen verspottet?


Gauthier Dance. P. Goecke: Äffi. Theophilus Veselý. Foto: Regina Brocke

Was war das Eindrucksvollste?  Das lange, großartige „Äffi“-Solo, das Wolf-Orchester mit Beethoven, Forsythes Duett oder die vielschichtige, ausdruckstarke Decadance“ gleich zu Beginn? Schwer zu sagen, jedes Stück hat seinen ganz eigenen Charakter und wird bewundernswert getanzt. Zuletzt bejubelt das Publikum das gesamte Ensemble und feiert Gauthier Dance verdientermaßen mit „standing ovations“.  

Ursula Wiegand

Weitere Aufführungen mit teils wechselnden Tänzerinnen und Tänzern bis zum 19. Januar. Unbedingt hingehen!!

 

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