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BERLIN DOB: LOHENGRIN – Premiere

25.04.2012 | KRITIKEN, Oper

Berlin DOB: LOHENGRIN, Premiere am 15.4.2012


2. Akt, Szene vor dem Münster. Klaus Florian Vogt, Ricarda Merbeth. Foto: Marcus Lieberenz

Der Däne Kasper Holten, der im Wagner-Fach unter anderem durch eine weitgehend überzeugende und dramaturgisch durchdachte „Ring“-Produktion in Kopenhagen hervorgetreten ist, inszenierte an der DOB Wagners „Lohengrin“ als finster beginnendes und ebenso endendes Drama der sich in der Geschichte scheinbar endlos wiederholenden Lust am Krieg als Ritual mit den ebenso regelmäßig folgenden Leid und Tod. Das beginnt zunächst bildintensiv mit einem Schlachtfeld gefallender Soldaten während der Ouvertüre, die Holten als ein Requiem, wie eine Mitleidsmusik für die Gefallenen deutet. Frauen suchen verängstigt nach ihren Lieben, ein Aufschrei, wenn sie nur noch den Toten finden. Der Regisseur zieht das Stück quasi vom Schluss her auf. Er lässt die Soldaten in ihren noch blutverschmierten Uniformen aus verschiedenen Epochen munter wiederauferstehen und den erneuten Kampf-Aufruf von König Heinrich im ohnehin martialisch beginnenden 1. Akt freudig annehmen. Als die gefesselte Elsa bereits das Haupt zum tödlichen Schwertstreich senkt, bricht mitten in diese trist-graue Kriegsästhetik der schneeweiß gefiederte Lohengrin wie in einer „Licht ins Dunkel“-Aktion hinein: Im Hintergrund öffnet sich eine riesige Chalousie und lässt ihn in blendendem Lichtschein und verklärendem Nebel auf die Bühne kommen. Das wirkt alles recht eindrucksvoll, wenn auch nicht ganz neu. Anders ist, und das ist ein wichtiges Detail dieser Produktion, dass Lohengrin sich kurz vor seiner Erscheinung die weißen Schwanenflügel routineartig aufsetzt…

Schnell stellt sich nämlich heraus, dass der „Schwanenritter“ der neue Politiker ist, der sich mit den medialen Gesten und bildmächtigen Wirkungen heutiger Polit-Medien-„Künstler“ à la Berlusconi als politische Alternative für ein leidgeprüftes und ausgemergeltes, nach neuer Bestimmung und Führung lechzendes Volk präsentiert, aber schnell selbst manipulativ tätig wird. So werden die weißen Schwanenflügel nur bei Wirkungsbedarf aufgesetzt. Holten bezieht sich hierbei auf den italienischen Faschismusforscher Emilio Gentile, der die ideologische Entwicklung im 19. Jahrhundert als „Sakralisierung der Politik“ bezeichnete. Er spielt dabei insbesondere auf die „Sakralisierung der Politik hinsichtlich ihres rituellen und symbolischen Aspekts“ an, was mittels der „Errichtung von Zeremonien und Ritualen geschah, die sich einer künstlichen und unechten Vergangenheit rühmten…“ Gerade in Deutschland und zumal in Berlin kommen da natürlich Gedanken an eine gar nicht so weit zurückliegende dunkle Periode deutscher Geschichte auf. Bei Holten lassen sich die Massen zwangsläufig unter der Dominanz eines im 2. Akt religiöses Heil suggerierenden Kreuzes nach Belieben beeindrucken. Es hängt wie ein riesiges Damoklesschwert über der Bühne, senkt sich schließlich herab und wird wie schon in Peter Halls Bayreuther „Lohengrin“ zur Spielfläche.

Im Prinzip ein interessantes Regiekonzept, das jedoch in den Bühnenbildern und Kostümen von Steffen Aarfing in der Mitte des 2. Akts Stringenz und Schlüssigkeit verliert. Auf Dauer wirken hier die überzeitlichen blutigen Landser-Uniformen ebenso unpassend wie die an Pieter van Breughel erinnernden Kostüme des Damenchores, auch wenn sie den Kontrast zwischen der blendenden Lohengrin-Erscheinung und der Tristesse der Brabanter untermauern. Bei Elsas Brautzug und dem abschließenden Einzug ins Münster verhaspelt sich das Regieteam jedoch in eine allzu handwerklich bemühte Theater-im-Theater Ästhetik, in der Lohengrin allzu offensichtlich manipulativ die Strippen zieht – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn er betätigt den roten Vorhang zum kitschig-prunkvollen Münster im Bühnen-Goldportal je nach der momentan für ihn opportunen Stimmung der Menge. Trotz dieses Aktivismus’ kommt mit allzu stereotypem Theatergestus gar Langeweile auf. So winken die Damen wie weiland in Wolfgang Wagners „Meistersingern“ in Bayreuth („das ewige Winken auf der Festwiese“) dem jungen Paar zu, und auch die Brautjungfern lassen keine Stereotype beim Herausputzen Elsas aus. Man konnte bei diesen Szenen meinen, sie seien als Parodie gedacht, so unfokussiert zeigte sich hier das dramaturgische Konzept von Miriam Konert, welches bis dahin durchaus schlüssig und nachvollziehbar erschien. Das Aufmalen eines Toten mit Kreide auf dem Boden erinnerte ferner allzu sehr an Tankred Dorsts „Götterdämmerung“ in Bayreuth. Zufall oder Kupfer…?!

Im 3. Akt findet die Auseinandersetzung zwischen Lohengrin und Elsa, die schließlich als einzige dessen wahre Absichten erkennt, wie einst bei Barry Kosky in Wien einfallslos vor einem roten Vorhang statt. Eine weitere postmoderne Stereotype muss bei der Gralserzählung ertragen werden: Lohengrin blättert einige Spickzettel durch um zu sehen, was er nun am besten sagt, um seine politischen Ziele zu erreichen – auch das ist viel zu handwerklich und plakativ. Aber der nach Rettung und Erlösung lechzenden Menge fällt es nicht auf, der Schein  überstrahlt – oder besser noch – kaschiert die Botschaft, wie so oft auch in der heutigen Politik. Man will den Betrug nicht sehen und erst recht nicht wahrhaben. So wollen sie von Lohengrin nicht mehr lassen, hängen sich fast an seinen Rocksaum, um ihn zum Bleiben zu bewegen. Dabei hätte es dessen gar nicht bedurft. Nachdem das Ehebett schon wie ein weißer Sarkophag aussieht, trägt Elsa den kleinen Gottfried als verstümmelte Leiche herein und legt ihn darauf wie auf ein Totenbett. Lohengrin erhebt zum Schlussakkord bedrohlich die Hand zum Machtanspruch und wird tatsächlich bleiben…

Das alles hatte nur bedingt mit Wagners Werkaussage und insbesondere seiner Musik zu tun. Es war aber immerhin eine gewisse Parallele zu Hans Neuenfels’ Rattenlabor in Bayreuth, mit dem auch er – allerdings viel konsistenter und dramaturgisch zwingender – die Konsequenz mangelnder Kompetenz zur individuellen Schicksalsgestaltung zeigte. Die Inszenierung von Kaspar Holten zeigte einmal mehr, dass ein an sich interessantes und durchdachtes Regiekonzept in der dramaturgischen und optischen Umsetzung auf der Opernbühne nicht automatisch aufgeht – wie es auch des öfteren bei Peter Konwitschny der Fall ist. Ein zwiespältiger Abend an der DOB, für den das Regieteam neben einigem Applaus auch signifikante Buhrufe einstecken musste.

Klaus Florian Vogt sang mit seinem Tamino-timbrieten Tenor einen ätherisch schön klingenden Lohengrin und überzeugte mit darstellerischer Souveränität. Das ist die Wagner-Rolle, die ihm wirklich liegt, auch wenn er sein stimmliches Volumen bis an die Grenzen ausschöpfen muss. Petra Lang war eine finster manipulative Ortud, die mit kraftvoller Attacke ihres ausdrucksstarken Mezzo beeindruckte. Allein in ihren hochdramatischen Ausbrüchen wurden jedoch kaum ins Gewicht fallende Klangverluste hörbar. Ihre Mimik war in ihrer Boshaftigkeit und Dämonie wahrlich beängstigend. Petra Lang ist wie Waltraud Meier eine Ortrud, die, obwohl sie kaum etwas zu singen hat, allein aufgrund ihrer Ausdruckskraft den 1. Akt nahezu beherrschen kann. Ricarda Merbeth sang tadellos mit ihrem klaren Sopran, erreichte ihre besten Momente aber erst im Schlussakt. Sie blieb schauspielerisch etwas blass, was umso mehr ins Gewicht fiel, als sie bei Holten die einzige ist, die das politische Treiben Lohengrins durchschaut. Scheinbar konzentrierte sie sich zu sehr auf den Gesang. Gordon Hawkins war ein zu undifferenziert singender und brav, sowie etwas rustikal wirkender Telramund. Er fiel darstellerisch gegen alle anderen krass ab. Sein ungeschicktes Hinfallen nach Lohengrins Schwertstreich zog gar einige Lacher im Publikum nach sich, nicht unbedingt die passendste Reaktion in dieser Szene. Albert Dohmen gab einen edel auftretenden König Heinrich mit klassischer Krone. Sein Bassbariton hat jedoch erheblich ebenso an Flexibilität wie an Resonanz eingebüsst. Bastiaan Everink sang einen jungen und stimmstarken, aber noch nicht wirklich klangvollen Heerrufer.

Der von William Spaulding einstudierte Chor war neben Klaus Florian Vogt der Star des Abends. Seine kraftvollen Stimmen und glänzende Transparenz ließen die schwache und oft zu statische Choreografie etwas vergessen. Das hatte stimmlich Bayreuth-Niveau.

Donald Runnicles fand mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin zu einem zeitweise betörenden Wagner-Klang, konnte aber nicht den ganzen Abend über eine intensive musikalische Spannung halten. Dafür klang einiges zu undifferenziert. Auch ließ er es im Mittelakt zeitweise zu laut angehen. Dennoch dokumentierte das Orchester seine große Wagner-Tradition und Kompetenz immer wieder. Insgesamt ein guter, aber kein überragender Premieren-Abend und Vorgriff auf das Wagner-Jahr 2013 an der DOB, der die Frage offen ließ, was passiert wäre, wenn nicht Klaus Florian Vogt für den offenbar überforderten M. Jentzsch die Titelrolle übernommen hätte…

(Fotos in der Bildergalerie)

Klaus Billand

 

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