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BERLIN/ Deutsches Theater: PERSONA von Ingmar Bergman. Premiere

03.12.2018 | Allgemein, Theater


Corinna Harfouch und Karin Lithman, Foto: Arno Declair

Berlin / Deutsches Theater: PERSONA von Ingmar Bergman, B-Premiere, 01.12.2018

Eine Frau im Krankenhaus. Im weißen Nachtgewand liegt sie lang auf dem Boden, den Hinterkopf dem Publikum zugewandt. Ihr schönes Gesicht ist nur gegenüber zu erblicken, im Video von Sebastian Pircher. Es zeigt die Züge der gefeierten Schauspielerin Elisabeth Vogler, dargestellt von der Schwedin Karin Lithman.

Ihre Augen wandern hin und her, doch sie spricht seit ihrer letzten Vorstellung von „Elektra“ kein Wort mehr. Schon während des Stückes hatte sie eine plötzliche Pause eingelegt, dann aber weiter gesprochen. Sogar die Zeitungen berichteten darüber.

Nun schweigt sie schon eine ganze Weile, sei aber, wie die behandelnde Ärztin (Franziska Machens) betont, geistig und körperlich völlig gesund. Die vermutet wohl eine Depression. Als Therapie soll ihre Pflegerin Schwester Anna,  gespielt von Corinna Harfouch, mit der Verstummten einen Sommerurlaub am Meer verbringen. Die zögert.

Irgend etwas warnt sie. Wieder allein mit der stummen Schauspielerin beugt sie sich über sie und erschrickt über die Eiseskälte in ihren blauen Augen. Genau so kalt blicken sie auf einem Plakat, betitelt Agamemnon. Zwei Theaterstücke, in denen es um Morde in der Familie geht.

Im Stück „Persona“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters wird dieser Aspekt nur bildlich thematisiert. Doch erinnern wir uns: Der aus dem Krieg heimgekehrte Agamemnon wurde von seiner Frau Klytämnestra und ihrem Lover in der Badewanne ermordet. Elektra, die Tochter der beiden, will diesen Mord durch die Tötung der Mutter rächen. Der wieder gekehrte Bruder übernimmt es.

War das zuviel des Mordens für die womöglich sensible Elisabeth, oder gibt es auch gewisse Anknüpfungspunkte im eigenen Leben? Ihren Sohn hat sie schon vor der Geburt gehasst, hat dem nach einer Zangengeburt am Kopf entstellten Jungen ein baldiges Sterben gewünscht. Doch das Baby hat diese Mutter trotz ihrer Widerstände fühlbar geliebt. Ein Junge mit großen traurigen Augen schaut von der Videowand auf sie. Ein Foto von ihm hat sie im Bett.

In „Persona“, das auf Ingmar Bergmans Film basiert, geht es nun statt „Szenen einer Ehe“ bald um Aspekte einer Zweisamkeit von zwei unterschiedlichen, aber gleichermaßen unglücklichen Frauen. Anstatt nahe am Meer verbringen sie ihre Tage im silbrigen Spa eines Nobelhotels mit Seeblick. Bald plantschen beide durchs seichte Nass, und Anna redet wie ein Wasserfall (Bühne Jo Schramm).

Elisabeth schweigt, sie ist deutlich der Boss und macht Anna ihr ähnlich. Die gleiche Schminke, das gleiche lange hellgraue Kleid (Kostüme: Lane Schäfer). Die zunächst widerstrebende Anna verleitet sie zum Saufen. Das löst ihr noch mehr die Zunge.

Detailliert schildert nun Anna ihre und ihrer Freundin Sex-Erlebnisse mit zwei unbekannten Jungs am Strand, gefolgt von einer heißen Liebesnacht daheim mit ihrem Mann. Als weitere Folge eine ungewollte Schwangerschaft und die zu späte Abtreibung.

Annas Bekenntnisse münden in eine Liebeserklärung an Elisabeth. Im seichten Wasser küssen, umarmen und berühren sie sich. Doch Elisabeth bleibt so kalt wie ihre Augen und amüsiert sich in einem Brief über die vertrauensselige Anna. Als die das Schreiben entdeckt, verwandelt sich ihre gerade gefundene Liebe in Hass.

Unter Elisabeths Müsli mischt sie eine Glasscherbe, bald rinnt der Verletzten das Blut aus dem Mund. Anna würgt sie, beide schlagen sich. Anna brüllt sie an, will endlich von Elisabeth eine Antwort. 

Mit weiteren Glasscherben versucht die nun, ihre Pulsadern zu öffnen, was nicht gelingt und wohl auch nicht ernstlich beabsichtigt ist. Was sind das beide für Personen? Und wer ist nun welche, fragt sich, als Anna eine Liebesnacht mit dem muskulösen Herrn Vogler (Andreas Grötzinger) verbringt und der sie für seine geliebte Elisabeth hält? Oder träumt sie das alles nur?


Corinna Harfouch und Karin Lithman, Foto: Arno Declair

Was hat diese beiden Personen seelisch beschädigt? Ist es bei Anna die Reue über die Abtreibung und bei Elisabeth der ihr bewusste Mangel an Liebe zu ihren Sohn? Für Ingmar Bergmann wäre das wohl eine zu nahe liegende Erklärung und für die nicht mit ihm verwandte Regisseurin Anna Bergmann, geboren in Stendal  ist es wohl ebenso.

Die Vierzigjährige, seit 2018 Schauspieldirektorin des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, wo künftig nur Frauen Regie führen sollen, sieht andere Ursachen. Anders als im Film „beginnt es bei uns in Elisabeth Voglers Kopf, entsteht aus ihrem Innern heraus: gleißende Bilder des Schmerzes, eine Art Depression, die während ihrer Karriere entstand. Das zwingt sie in eine Situation, in der alles um sie herum nicht wahrhaftig erscheint, jede Person, jeder Ort ist falsch. Sie will nicht mehr zu dieser Welt gehören.“

Dennoch kehrt Elisabeth ins „normale Dasein“ zurück. Mit den Worten „So ’ne Scheiße“ schlüpft sie in ihre High Heels und verlässt mit triefendem Kleid vorbei am Publikum die Bühne. Anna bleibt allein und muss sich wohl als eigene Person wiederfinden.

Um aber die Zweifel an der Identität von Personen noch zu erhöhen, gibt es sogar einen Rollentausch der beiden Frauen. Bei der Koproduktion mit dem Malmö Stadsteater spielt dort Corinna Harfouch die stumme Elisabeth und die Schwedin Karin Lithman die redselige Krankenpflegerin Anna. Praktisch ist das, aber irgendwie auch beunruhigend.

Letztendlich sind es diese beiden großartigen, mit viel Beifall bedachten Schauspielerinnen, die bei der 90minütigen Personensuche zwischen Jux und Tragik, Liebe und Hass den Besuch lohnen.  

Ursula Wiegand

Weitere Termine am 19. und 20. Dezember sowie am 5., 6., 26. und 27. Januar, teils mit englischen Übertiteln. 

 

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