Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Deutsches Theater: OEDIPUS von Sophokles. Hardcore und High Class!

01.09.2021 | Allgemein, Theater

Berlin/ Deutsches Theater: „OEDIPUS“ von Sophokles, Hardcore und High Class!  31.08.2021

dt, oedipus, foto arno declair (2)
Elias Arens, Almut Zilcher, Manuel Harder, Toni Jessen, Linda Pöppel, Yannik Stöbener. Foto: Arno Declair

Das Sophokles-Drama Ödipus – im Deutschen Theater Berlin „Oedipus“ und an der Komischen Oper Berlin OEdipe geschrieben – hat zurzeit Konjunktur. Die Deutsche Oper Berlin bietet mit „Greek“ eine heutige, rotzfreche Variante in kunterbunten Kostümen, die Schaubühne Berlin zieht mit einer Premiere am 19. September nach. 

Ist das auffallende Interesse an diesem mehr als 2.000 Jahre alten Stoff der Corona-Pandemie zuzuschreiben, also damals die Pest, jetzt Covid19 ?  Das passt irgendwie. Auch taucht bis heute stets die Frage auf, wer oder was die Schuld trägt an Krankheiten, Hungersnöten, Dürre und Sturzfluten. Insofern ist Sophokles ganz aktuell.

Andererseits ist bei Sophokles nur einer der Schuldige, obwohl der eigentlich gar nichts dafür kann. Ein Fluch lastet auf dem Neugeborenen, und den hat er seinen Eltern und vor allem den Göttern zu verdanken.

Die hatten dem Ehepaar verboten, ein Kind in die Welt zu setzen. Doch diesem harten Befehl sind zwei Liebende – König Lajos und Königin Jokaste – nicht gefolgt. Der unschuldige Sohn muss es büßen und wird ein Opfer übermächtiger Götter.

Jedenfalls kamen solche Stücke, siehe auch „Medea“, beim damaligen Publikum gut an und sind heutzutage weiter gefragt. Bei Oedipus ist es ein Fluch des blinden Sehers Teiresias, dem er trotz aller Mühen letztendlich nicht entgehen kann. Die Weissagung, er werde seinen Vater töten und seine Mutter heiraten, bleibt an dem Neugeborenen kleben. Das Schicksal eines Menschen ist also vorbestimmt.  

Ist also das Ödipus-Drama nur eine Metapher für den schrecklichen und nach wie vor weit verbreiteten Glauben, dass ein neu geborenes Kind mit einer „Erbschuld“ zur Welt kommt? Christen und andere Gläubige versuchen, diesen Fleck mit der Taufe oder anderen Riten wegzuwaschen. Freier als die Menschen in weit entfernten Zeiten sind wir also noch immer nicht geworden.

Oedipus ist von seinen, durch den Fluch erschreckten Eltern sogleich ausgesetzt worden, aber durch die Hilfe mitleidiger Menschen am Leben geblieben. Er hat die böse Sphinx besiegt und wurde daraufhin von den Thebanern zum König gewählt. Ein mächtiger und guter König ist er geworden, nun soll er auch die Pest besiegen, und das gelingt ihm nicht. Der bisher Mächtige versagt, weil ein Befleckter in Theben lebt, und die Stimmung des Volkes kippt.

Im Deutschen Theater Berlin verzichtet Regisseur Ulrich Rasche auf Blutgesudel und hüllt die Oedipus-Tragödie in ein düsteres, jedoch sehr ästhetisches Gewand. Der Titelheld – Manuel Harder – und seine Mitspieler/innen agieren fast bis zuletzt im schicksalsträchtigen Halbdunkel auf eine Drehbühne. Ein Chor, unter Leitung von Toni Jessen, interpretiert und steuert das Geschehen.

Alle auf der Bühne sind schwarz gekleidet, die Männer in langen dunklen Hemden, die bis zu den Füßen reichen (Kostüme: Clemens Leander). Eine klösterlich strenge Atmosphäre entsteht, wenn die Mitwirkenden die Bühne betreten. Alle verzichten auf Gesten, setzen auf dem rotierenden Untergrund ständig einen Fuß über den anderen, um die (Lebens-) Balance zu bewahren.

Die Schauspieler/innen des DT erledigen diese fast dreistündige Herausforderung mit selbstverständlicher Eleganz. Das ganze Geschehen wird so zu einem sehr ansprechenden Schicksalsballett, vielleicht mit der Botschaft, dass es wichtig ist, auch auf schwankenden Untergrund das Gleichgewicht zu halten.

In Übereinstimmung mit den Drehungen und Fußsetzungen werden die von Friedrich Hölderlin übersetzten Sophokles-Verse langsam, manchmal absichtlich stockend und stets in fabelhafter Deutlichkeit gesprochen. Schon das ist ein Ausnahme-Erlebnis.

Das einzige Dekor sind Leuchtringe, die nach und nach in diversen Farben und Stellungen über den Köpfen der Sprechenden leuchten und auch ihr stets diffuses Umfeld leicht einfärben.

Zunächst sind sie freundlich hellblau, werden dann rot und grün. Eine Lichter-Show, die im Laufe der sich zuspitzenden Handlung bedrohlich wird. Noch stärker für eine Zuspitzung sorgen die hämmernden Klänge, die Nico van Wersch im Graben vor der Bühne mit vier Live-Musiker/innen und ihren Streichinstrumenten, Schlagwerk und Synthesizern erzeugt. Archaische Verse kombiniert mit moderner Musik bilden einen Sog, dem sich wohl niemand entziehen kann.

dt, oedipus, foto arno declair
Julia Windischbauer, Enno Trebs, Linda Pöppel, Toni Jessen, Yannik Stöbener, Elias Arens. Foto: Arno Declair

Sehr überzeugend verkörpert der schon erwähnte Manuel Harder trotz sparsamer Gesten den unschuldig-schuldigen Oedipus. Der blinde Seher ist hier weiblich und mit Kathleen Morgeneyer sehr passend besetzt. Mit einer gewissen Vorab-Trauer scheint sie den bösen Fluch auszusprechen. Die Rolle von Königin Jokaste, Oedipus’ Mutter und später seine unwissende Ehefrau, wird von Almut Zilcher großartig nahe gebracht.

Als sich die Situation zuspitzt, Oedipus nervös wird und selbst nach dem Schuldigen für den Königsmord sucht, scheint sie eine ungute Ahnung zu haben. Vergeblich versucht sie, ihrem Gatten die „Hirngespinste“ auszutreiben.

Doch der vorher mächtige Oedipus ist unsicher geworden, seitdem er weiß, dass sein Vater mit seinen Begleitern auf einer besonderen Wegekreuzung einen Fremden angegriffen hat, um ihn zu töten. Der ist ihm jedoch zuvor gekommen. Oedipus erinnert sich genau an diese Situation, obwohl sie lange Jahre zurückliegt. Erstmals hat er Angst, er könnte dem Fluch entsprechend der Mörder gewesen sein.

Oedipus lässt sich nun nicht mehr stoppen. Sein Schwager Kreon (Elias Arens) soll nach Delphi reisen, um das Orakel zu befragen. Doch plötzlich hat der König einen Verdacht und würgt Kreon. Es sei ein Verräter und wolle ihm den Thron rauben, wirft er dem Fassungslosen vor.

Zum spannenden Höhepunkt wird das Verhör, das Oedipus startet. Der Orakelspruch war vage, nun will er alles genau wissen. Schon seit seinen Zeiten am Königshof in Korinth weiß er, dass er ein Findelkind ist und das dortige Königspaar nicht seine Eltern waren. Wer ist er also, und wer hat ihn gerettet?

Seine Eltern hatten den fluchbeladenen Säugling sofort ausgesetzt. Die beiden, die seinen Tod verhindert hatten, werden herbeigerufen, doch zu den damaligen Ereignissen wollen sie sich nicht äußern. Die haben sie abgehakt und geben – nach harschen Drohungen von Oedipus – nur  widerwillig ihr Wissen preis.

Die Frau, die das Waisenkind großgezogen hat – überzeugend Julia Windischbauer – versucht sich mit Charme und nervösem Lachen der Intensivbefragung zu entziehen. Vermutlich fürchten beide den Zorn des Königs, wenn sie die Wahrheit sagen.

Das ist übrigens die einzige Szene in dieser Inszenierung, in der Oedipus, der vom eigenen Gewissen geplagte König, seine Macht gebraucht und keinesfalls missbraucht, um die für ihn entscheidende Wahrheit zu erfahren. Das er gegen das unzufriedene Volk vorgeht, ist hier kein Thema.

Wieder tritt die Seherin auf und ruft ihm zu, er sei der „Schandfleck“ und verantwortlich für die Pest. Königin Jokaste, seine Frau und Mutter von vier gemeinsamen Kindern, erhängt sich aus Verzweiflung. Er sticht sich die Augen aus und richtet sich selbst für zwei Vergehen, die er unwissentlich begangen hat. Es waren damals die Götter und nicht die ererbten Gene, die solch ein böses Schicksal verursacht hatten.

In der letzten Szene steht Manuel Harder als der gescheiterte Oedipus nackt und bloß auf der sich nun nicht mehr drehenden Bühne. Ecce homo. Nichts ist ihm geblieben von seiner Klugheit, seiner Stärke, seiner Macht und Jokastes Liebe.  

Ein Tapferer macht jetzt Schluss mit seinem fluchbeladenen Dasein und bietet am Lebensende den bösen Göttern, die ihre Macht missbraucht haben, vergeblich, aber mutig die Stirn.

Heftiger und anhaltender Beifall nach dieser superben Gesamtleistung. Soviel außergewöhnliche Sprech- und Schauspielkunst, gepaart mit antiker Verskunst und einem außergewöhnlichen Bewegungsritual ist eine Besonderheit, die sich Theaterfans nicht entgehen lassen sollten.

Nächste Termine am 11. und 12. sowie am 29. und 30. September  und letztmalig  am 17. Oktober.      Ursula Wiegand

Anmerkung: Die Personen unter den Lichtringen sind folgende:

Rote Ringe:

Elias Arens, Almut Zilcher, Manuel Harder, Toni Jessen, Linda Pöppel, Yannik Stöbener

 

Grüne Ringe:

Julia Windischbauer, Enno Trebs, Linda Pöppel, Toni Jessen, Yannik Stöbener, Elias Arens

Fotos von Arno Declair

 

 

Diese Seite drucken