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BERLIN/ Deutsches Theater: „LEBEN“ nach einem Roman von Yu Hua

09.02.2014 | KRITIKEN, Theater

Berlin/ Deutsches Theater: „LEBEN!“ nach einem Roman von YU Hua, 8.2.2014

Wie fern und doch wie nah ist uns diese Geschichte aus China: Ein Mann und seine Familie erleiden schwere Schicksalsschläge und geraten überdies in die Mühlsteine der brutalen politischen Regime.

YU Hua, zunächst zur literarischen Avantgarde gehörig und inzwischen einer der bekanntesten Autoren nicht nur im Reich der Mitte, zeichnet in seinem Buch „Leben“ (1994) die Stationen eines Daseins nach – mit Anteilnahme, Ironie und unterschwelliger Kritik an den politischen Exzessen der Vergangenheit. Fugui, übersetzt „Der Glückliche“, heißt sein Allerweltsheld, der all’ diese Schicksalsschläge übersteht nach dem Motto: wer unbedingt leben will, wird nicht sterben.

YU Huas Roman ist auch verfilmt worden. Nun sehen wir „Leben“ im Deutschen Theater Berlin bei einem Gastspiel des Nationaltheaters China. Und so beinahe unspektakulär, wie Fuguis Jahre verrinnen, so zurückhaltend stellt sie Regisseur MENG Jinghui auf die dunkle, hinten von einigen Laufgängen unterteilte Bühne (von ZWANG Wu).

Einziges Möbelstück ist ein großer Sessel, bedeckt mit einem grell beleuchteten weißen Laken (Lichtdesign WANG Qi). Dort nimmt zuerst der Erzähler Platz. Ihm ist der alte Fugui aufgefallen, der mit einem ähnlich alten Ochsen gemächlich ein Stück Land umpflügt. Und der hat ihm seine Geschichte erzählt.

Jetzt schlüpft dieser Zuhörer selbst in Fuguis Rolle und lässt dessen Leben Revue passieren. Dass diese pausenlosen drei Stunden nicht langweilig werden, wir mitlachen und mitfühlen, ist dem großartigen HUANG Bo als Fugui zu verdanken. Im weißen T-Shirt und ohne Umschminkung spielt er dessen Dasein so realistisch und facettenreich nach, dass uns vieles alsbald vertraut erscheint.

Zuerst gibt er den übermütigen jungen Mann aus reichem Haus, der sich – obwohl schon verheiratet – in jenen kapitalistischen Zeiten mit Spielen, Huren, Tanzen und Trinken vergnügt. Solange, bis er Haus und Hof verjubelt hat und mit seiner hochschwangeren Frau Jiazhen in eine armselige Hütte ziehen muss.

Fugui ändert sein Leben, schuftet nun als armer Bauer, um die zarte Jiazhen (ruhig und überzeugend gespielt von YUAN Quan) und sein Töchterchen zu ernähren. Doch das Schicksal verfolgt ihn unaufhörlich. Auf dem Weg in die Stadt, um Medizin für seine Mutter zu besorgen, wird er von den Leuten der Kuomintang (Gründer der Republik China) aufgegriffen und als Soldat in den Krieg gegen die Kommunisten geschickt. Viele seiner Freunde fallen, doch er überlebt halb verhungert und darf schließlich nach Hause. Glücklich rennt er die letzten Kilometer.

Derweil ist seine Tochter infolge einer Erkrankung taubstumm geworden. Politisch folgt der „Große Sprung nach vorn“ mit Stahlkochen in kleinen Dörfern und einer letztlich noch größeren Misere.

Um das Überleben der darbenden Familie und den Schulbesuch des inzwischen geborenen Sohnes zu sichern, wird die Tochter schweren Herzens weggeben an Leute in der Stadt. Doch das Kind reißt aus, auf seinen Schultern trägt es Fugui wieder zurück. Ihre stummen Tränen rinnen in seinen Kragen.

Da hält er es nicht mehr aus, schleppt sie wieder nach Hause mit den Worten „lieber verhungern wir alle Vier“. Eine Szene, die ebenso unter die Haut geht wie später die Verzweiflung Fuguis beim Tod des Sohnes.

Dem hatten die Ärzte im Krankenhaus ungerührt zuviel Blut abgezapft, um damit die Frau des Kreisvorstands zu retten. In hilfloser Wut zertrümmert Fugui das Inventar der Klinik und die mit Blut (hier mit Wasser) gefüllten Flaschen. In demselben Krankenhaus stirbt einige Jahre später seine Tochter bei der Geburt eines Jungen. (Der Autor, Sohn eines Krankenhausarztes und zunächst Zahnmediziner, wusste wohl, wovon er spricht).

Derweil rollt die Kulturrevolution (1966-76) über China hinweg. Mit dem roten Mao-Büchlein in der Hand werden die Bessergestellten gejagt, gefoltert und hingerichtet. Sogar von den eigenen Kindern, wie der Kreisvorsteher, der sich dann selbst das Leben nimmt. Eine Entwicklung, die auch hierzulande böse Erinnerungen wach ruft.

Fugui als armer Bauer entgeht dieser Hatz, verliert aber seine durch die Entbehrungen unheilbar kranke Frau. Nun bleibt ihm nur noch sein Enkel, der Sohn seiner Tochter. Als aber Fugui die Ernte einholt, überfrisst sich der Kleine an den bereitgestellten Bohnen.

Vielleicht übertreibt der Autor mit der Aneinanderreihung von Unglücken. Dennoch verstehen wir Fuguis erneute tiefe Verzweiflung. Der kauft sich vom Ernteertrag einen alten Ochsen als Hilfskraft für die letzten 2-3 Jahre. Doch die beiden Alten sind zäh und ziehen weiterhin ihre Furchen auf dem Feld. Das Leben und Überleben als ein Wert an sich, so die Botschaft.

Begeisterter Applaus und stehende Ovationen belohnen die Schauspieler – insbesondere HUANG Bo – und ebenso das Regieteam. Das ferne China ist uns, dank dieses Gastspiels, berührend näher gerückt. – Die heutige letzte Vorstellung ist ausverkauft, Restkarten an der Abendkasse.     
 Ursula Wiegand

 

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