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BERLIN/ Deutsches Theater: „HERBSTSONATE“ nach dem Film von Ingmar Bergman

24.01.2015 | Allgemein, Theater

Berlin/ Deutsches Theater: „HERBSTSONATE“ nach dem Film von Ingmar Bergman, Berliner Erstaufführung, 24.01.2015

Corinna Harfouch, Charlotte, Fritzi Haberlandt, Eva, Foto Bettina Stoess
Corinna Harfouch als Charlotte, Fritzi Haberlandt als Eva, Foto: Bettina Stoess

Diesen Film von Ingmar Bergmann habe ich nicht gesehen und halte mich daher an das, was sich hier in der B-Premiere im Deutschen Theater vor meinen Augen abspielt. Das ist große Klasse, schon aufgrund der beiden Hauptdarstellerinnen: Corinna Harfouch als Charlotte und Fritzi Haberlandt als ihre Tochter Eva. Ein von Egoismus einerseits und seelischen Verletzungen andererseits überschattetes Mutter-Kind-Verhältnis, das Regisseur Jan Bosse detailliert und schonungslos aufblättert.

Eva hat in einem Brief, beginnend mit „Liebste Mama“, ihre Mutter für beliebige Zeit zum Verwöhnen eingeladen. Sieben Jahre haben sich die beiden nicht mehr gesehen, eine der vielen Enttäuschungen in Evas Leben, die ihr verbittertes Gesicht widerspiegeln. Das Liebenkönnen hat sie verlernt oder nie gelernt. Mutter Charlotte, die als gefeierte Pianistin jahrelang in aller Welt konzertierte, einen Freund und weitere Beziehungen hatte, kam stets nur kurzzeitig nach Hause.

Die kleine Eva hat ihre schöne Mama angehimmelt. Immer wenn sie auf Tournee ging, hat sich ihr Herz zusammengekrampft, und wenn sie wiederkam, konnte sie vor Glück kaum sprechen. Als Eva 14 war, und Charlotte – nach künstlerischer Krise – ein normales Frauenleben daheim zu führen versuchte, gerierte sie sich als Super-Mutter. Damals hat sie das Mädchen total dominiert, zu Ärzten geschleppt und schließlich zu einer Abtreibung gezwungen, da der jugendliche Vater in ihren Augen ein Nichtsnutz war.

All’ das kommt bei einem Showdown unerbittlich zu Tage, in einem düsteren Pfarrhaus mit zahlreichen Zimmern und Treppen im ländlichen Norwegen (Bühne. Moritz Müller). „Hier gefällt es mir, hier will ich bleiben,“ hat Eva seinerzeit zu ihrem Mann Viktor beim ersten Besuch nur wenige Tage nach dem beiderseitigen Kennenlernen gesagt.

Viktor hatte ihr sofort einen Heiratsantrag gemacht, doch von Liebe zu ihm, dem deutlich älteren Pastor, war nie die Rede. Er aber liebt und beobachtet sie, will das Geheimnis ihrer Verschlossenheit entschlüsseln, findet jedoch, wie er selbst sagt, nicht die richtigen Worte.

Er, der seine Predigten in eine alte Schreibmaschine hämmert, äußert: „Ich habe Sehnsucht nach Dir.“ Verständnislos schaut ihn Eva an und meint kühl, sie sei doch da. In ruhiger Eindringlichkeit spielt Andreas Leupold diesen Ehemann, der seine tiefe Zuneigung nicht deutlich machen kann und vergeblich auf ein Echo wartet.

Eva hat nur einen geliebt und liebt ihn immer noch: ihren verstorbenen Sohn, der als Fünfjähriger im Brunnen ertrunken ist. Für sie ist er noch real vorhanden und wird in einer stummen Rolle von einem kleinen, zumeist am Boden liegenden Jungen verkörpert.

Charlotte erscheint postwendend nach Erhalt der Einladung in einem schicken weißen Hosenanzug (Kostüme: Kathrin Plath), will sogleich bewundert werden und plappert pausenlos aus dem eigenen Privat- und Künstlerinnenleben.

Der Schock für sie bleibt nicht aus: Eva hat ihre behinderte Schwester Helena – überzeugend dargestellt von Natalia Belitski – aus der geschlossenen Anstalt zu sich geholt, in die sie Charlotte als Kind hatte unterbringen lassen. Dass die nun im Pfarrhaus wohnt, hat Eva nicht geschrieben. Sonst wäre die Mutter garantiert nicht zu Besuch gekommen.

Wie ein Püppchen gekleidet drängt sich Helena auf die angstvoll zurückweichende Charlotte, geistert später als Klettergespenst über die Dächer und erschrickt die schlafende Mutter. Nur Eva kann die Kranke beruhigen. Nach dem Tod des Söhnchens brauchte sie jemanden, um den sie sich – nach eigenen Worten – kümmern konnte.

Zur Schlüsselszene wird die Interpretation eines Nocturne (Musik: Arno P. Jiri Arno P. Jiri Kraehahn). Auf Drängen der Mutter setzt sich Eva an den Flügel. Kaum fertig, spielt nun Charlotte, über sie gebückt, dieses Stück nochmals. Charlottes Gesicht und Oberkörper über dem versteinerten Gesicht von Eva, ist in groß auf einem Video (von Meika Dresenkamp) zu sehen und sagt mehr als tausend Worte.

Doch fast eben so viele fallen schließlich zwischen Mutter und Tochter. Schuldeingeständnisse von Charlotte, beiderseitige Schuldzuweisungen, Evas Sehnsucht nach Mutterliebe und ihre später erlittenen Drangsalierungen. Alles wird aus der Vergangenheit gezerrt, aber „alles geschah ja im Namen der Liebe,“ meint vor allem Charlotte.

Die Folge: erstickte Sehnsüchte zweier Frauen, die unfähig zu wahrer Liebe sind, zumindest war es die total egoistische Charlotte. „Ich wollte immer, dass du dich um mich kümmerst, ich wollte, dass du mich in die Arme nimmst und mich tröstest,“ sagt sie. Evas Antwort: „Ich war doch ein Kind.“

Mehrmals springen dann beide, als wollten sie sich das Leben nehmen, von einem Dach des Hauses krachend auf den Boden und liegen dort wie Zerstörte. Was sie ja auch sind. Nach durchheulter Nacht zieht Charlotte mit ihren Koffern wieder von dannen. Eva, bei aller Bitterkeit nicht kaltherzig, sieht sie gehen, verhärmt vor Tränen und plötzlich alt geworden. Mitleid regt sich in ihr. „Hört man denn nie auf, Mutter und Tochter zu sein,“ fragt sie sich. Nochmals schreibt sie „Liebste Mutter“, verspricht, sie nicht alleine zu lassen und redet sich ein, für einen Neufanfang sei es noch nicht zu spät.

Ob der möglich ist, darauf gibt das Stück keine Antwort. Ob der womöglich im eigenen Leben nötig und machbar wäre – darüber können die Zuschauerinnen und Zuschauer nun nachdenken. Zunächst spenden sie den überzeugenden Darstellern und dem Regieteam herzlichen und anhaltenden Beifall.

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 2. und 3. Februar, jedoch total ausverkauft.

 

 

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