Berlin/ Deutsches Theater; „GIFT“ von Lot Vekemans, 14.11.13
Ein schmaler, heller, eiskalt wirkender Raum vor dem Eisernen Theater-Vorhang. Ein Umfeld, das auch die Zuschauer frösteln lässt. Aufgereihte Stühle vor einer aseptisch weißen Wand: der trostlose Warteraum eines Friedhofs (Bühne: Anne Ehrlich).
Trauerarbeit und Verlustbewältigung lautet die Versuchsanordnung in diesem unterkühlten Quasi-Labor. Etwas Wärme spenden nur die Getränke aus dem großen Kaffeeautomaten, aber nur im Magen und nur für wenige Minuten.
Dabei bräuchten die Beiden, die sich hier treffen, viel an tröstender Wärme, um mit ihrem Schicksal fertig zu werden. Vor den Augen der Mutter ist der gemeinsame Sohn überfahren worden. Allerdings nicht kürzlich, sondern schon vor 9 Jahren.
Sie haben ihn letztendlich von den Apparaturen befreien und gehen lassen. „Geh ruhig. Es ist gut. Wir schaffen es schon. Wir schaffen es schon ohne dich. Das war ein Irrtum,“ wird der Mann später nach vielen Gesprächsfetzen, verletzenden Bemerkungen und Schuldzuweisungen einräumen. Sätze der niederländischen Autorin Lot Vekemans, übersetzt von Eva Pieper und Alexandra Schmiedebach.
Die Zwei konnten mit dem schlimmen Geschehen nicht fertig werden. Sie haben nicht nur ihren Sohn verloren, sondern sich selbst und schließlich auch einander. Er spricht das klar aus. Insbesondere die Mutter hat sich mit dem Schicksalsschlag nicht abgefunden und mit ihrem ständig zur Schau gestellten Kummer offenbar das Miteinander vergiftet. Eines Tages hat ihr Mann mit zwei Koffern das Weite gesucht.
Anlass des jetzigen Treffens nach vielen Jahren ist ein Giftfund nahe dem Friedhof. Einige Tote, auch ihr Sohn, müssten umgebettet werden, hat sie ihm geschrieben und ihn zum Kommen aufgefordert. Sie und Er – wie sie Lot Vekemans benannt hat – sind hier Dagmar Manzel und Ulrich Matthes.
Beim Wiedersehen herrscht eine gewisse Verlegenheit. Er, angereist aus der Normandie, macht ihr Komplimente über ihr gutes Aussehen, die sie erwidert. Im Gegensatz zu ihr wirkt er locker, hat den Neufang gewagt und ein Buch über das Geschehen geschrieben, was sie empört. Bald fliegen die verbalen Giftpfeile, geschliffene Dialogfetzen, insbesondere von ihr zu ihm.
Die Stimmung kippt noch mehr, als er seine neue Frau erwähnt und hinzufügt, dass die von ihm ein Kind erwartet. Nun ist sie fassungslos, greift ihre grüne Strickjacke (Kostüme: Pauline Hüners) und will weglaufen. Doch sie bleibt. Auch er kehrt nach einem erneuten „Fluchtversuch“ mit Wein und Käse zurück und schwärmt von dem Tag, als sie sich zuerst begegneten. Doch jedem Versuch, sie auch nur am Arm zu fassen, weicht sie aus.
Dieses „Szenen einer Ehe“ machen Ulrich Matthes und Dagmar Manzel – inzwischen auch ein Star an der Komischen Oper – mit wenigen Schritten, unaufdringlichem Mienenspiel und kleinen Gesten wunderbar deutlich. Manzels sich mitunter verkrampfenden Finger, die Hand, die nervös über den Rock streicht und schnell die Tränen wegwischt, sagen mehr als all’ die vielen Worte.
Ebenso großartig Ulrich Matthes. Wie er aus der Lockerheit über kluge Beziehungsanalysen in die Verzweiflung kippt, seinen Schmerz herausschreit und doch zum Lachen zurückfindet – das ist überzeugend, berührend und insgesamt Kammerspiel vom Feinsten. Musste Regisseur Christian Schwochow diesen beiden überhaupt Hinweise geben?
Zuletzt können beide wieder lachen. Er hat den Arm um ihre Schultern gelegt, gemeinsam verlassen sie diesen eisigen Friedhofsraum. Vermutlich lernen sie nun auch jeder für sich wieder das Lachen, schaffen wirklich den Neuanfang. – Die Besprechung über die Umbettung ist übrigens ausgefallen.
Lebhafter, lang anhaltender Beifall belohnt diese fabelhaften Schauspieler-Menschen.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 19. November sowie am 4., 22. und 28. Dezember.