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BERLIN/ Deutsches Theater: „ELEKTRA“ mit Gitarrenspiel . B-Premiere

24.11.2013 | KRITIKEN, Theater

Berlin/ Deutsches Theater: „ELEKTRA“ mit Gitarrenspiel, B-Premiere, 23.11.2013

Die Schauerdramen der alten Griechen aus lang vergangenen Zeiten reizen die Regisseure nach wie vor. Mord und Totschlag, Ruhmsucht und Rache, Lieben und Leiden – das alles ist nicht totzukriegen und durchaus gegenwartskompatibel.

Stefan Pucher inszeniert – und nicht zum ersten Mal – solch eine Uralt-Saga. Am Deutschen Theater ist es nun die „Elektra“ von Sophokles, allerdings im Schnelldurchgang. Von allzu gegenwärtigen Bezügen hält er sich fern und begnügt sich Songs und weiteren zeitgemäßen Zutaten. Auf riesigen Video-Flächen (von Chris Kondek) sehen wir anfangs Elektra und Orest als Kinder, später starren uns blutverschmierte Gesichter im Großformat an.

Die Kleinen werden alsbald ins üble Leben katapultiert. Während Vater Agamemnon mit seinem Griechenheer vor Troja um die schöne Helena kämpft, nimmt sich Mutter Klytaimestra einen Lover namens Aigisthos und herrscht mit ihm über Mykene. Als Agamemnon nach 10 Jahren heimkehrt, ist er dem neuen Paar im Wege und wird von den beiden im Bade ermordet. So weit, so bekannt, so schrecklich.

Den Schrecken über diese Untat kann Elektra auch nach vielen Jahren nicht aus Herz und Hirn verbannen, will es auch gar nicht. Lange Zeit steht sie, die knabenhaft schlanke Katharina Marie Schubert, fast wie angewurzelt und breitet ihre ganze Qual wortreich aus. Wunderbar artikuliert sie die von Peter Krumme übersetzten Sophokles-Verse, wälzt sich aber auch mal wie in einem epileptischen Anfall am Boden.

Rache-Gelüste und Leiden sind ihre Antriebsfedern. Ihr Outfit, ein gut sitzender schwarzer Nadelstreifenanzug (Kostüme: Annabelle Witt), weist auf die ihr innewohnende Tatkraft. Wenn ihr niemand zur Seite steht, wird sie später den gefährlichen Plan fassen, ganz allein den Mord am geliebten Vater zu rächen.

Zwischendurch greift sie auch mal zur Gitarre und beteiligt sich am Liedgut, das das Stück durchzieht und es womöglich interpretieren soll. Darunter das fatale „So burn all your bridges, leave your whole life behind“, ein Song des kalifornischen Sektenführers Charles Manson, der seine „family“ bekanntlich zu zahlreichen Morden anstiftete. Auf ansteigenden Stufen stehend (Bühne: Barbara Ehnes) wird gesungen und musiziert. (Musikarrangement: Christopher Uhe).

Zu den weniger Sensiblen – wie die Mutter in wippendem buntem Rock mit Federbesatz – zählt Elektras Schwester Chrysothemis. Die junge Tabea Bettin mit hübschem Flunsch verkörpert diesen Teenager ruhig und überzeugend. Die hat sich den neuen Verhältnissen angepasst, die will ihr Leben genießen, sorgt sich aber auch um die ständig auf Konfrontationskurs befindliche Elektra. Immerhin ersehnen sie gemeinsam die Heimkehr des Bruders Orest, denn der soll den Vatermord rächen.

Diesen Mord verteidigt Klytaimestra – Susanne Wolff – mit einem wohlkalkulierten Gefühlsausbruch. Agamemnon hätte ihr die Tochter Iphigenie entrissen, um das Kind der Göttin Artemis als Gegengabe für gute Winde zu opfern. Böse Götter, böse Menschen.

 Dass das eher ein Vorwand ist, macht Frau Wolff in kleinen Gesten und Blicken deutlich. Bei der Nachricht von Orests Unfalltod beim Wagenrennen wechselt ihre Mimik schnell von mütterlichem Erschrecken in triumphierende Erleichterung. Sie hat ihren Todfeind verloren, die am Boden hockende, still weinende Elektra den geliebten Bruder und damit alle Rache-Hoffnungen.

Den Boten, der diese Nachricht (im Faltenröckchen) überbringt, spricht und spielt Michael Schweighöfer. Die Verse rollen nur so von seinen Lippen, wenn er zunächst schwärmerisch die Heldentaten Orests aufzählt, dann aber in dramatischem Duktus vom Verhängnis beim Wagenrennen berichtet. Insgesamt eine verbale Show ohne Wahrheitsgehalt.

Denn in der Urne, die er Elektra überreicht, ist keineswegs Orests Asche. Der lebt, kommt nach 20jähriger Abwesenheit heimlich zurück, reicht (Felix Goeser, ebenfalls im Rock) Elektra helfend die Hand.

Seine Tötung der Mutter wird nicht gezeigt, auch nicht die Rache an dem verspätet eintreffenden Aigisthos (Andreas Döhler), einem Regierungschef im Anzug, der keine Gegenwehr ergreift und sich Schulter zuckend in sein Schicksal fügt.

Elektra und Orest tanzen miteinander, und zuletzt stehen sie alle – auch die den Chor verkörpernde Anita Vulesica – an der Rampe und geben sich wie eine glückliche Bänkelsängertruppe, die bald und erfolgreich mit dieser grauslichen Story weiterziehen wird. Hier endet das Stück, doch um eine Fortsetzung braucht die Truppe wohl nicht zu bangen, denn ein Mord gebiert den nächsten. So wollten es die altgriechischen Götter, so machen es ihre Handlanger.

Das Publikum, etwas befremdet, bestraft das Regieteam mit einigen Buhs, doch der Beifall überwiegt. Und der gilt und völlig zu Recht den großartigen Schauspielern und Sophokles-Interpreten.

Ursula Wiegand

 

 

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