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BERLIN/ Deutsches Theater: DIE JUNGFRAU VON ORLEANS

17.10.2013 | KRITIKEN, Theater

Berlin/ Deutsches Theater: „DIE JUNGFRAU von ORLEANS“, 16.10.2013

Da steht es, das Bauernmädchen Johanna, im weißen Hemdchen über den Jeans. Bequeme Sportschuhe trägt sie, und die kann sie gut gebrauchen. (Kostüme: Nehle Balkhausen). Fast die gesamten 130 pausenlosen Minuten bleibt sie wie angewurzelt an dieser Stelle. Auf sie richtet sich, als wollte er sie zusätzlich bannen, ständig ein gleißender Lichtstrahl. Kaum erhellt er Olaf Altmans kohlschwarze, total karge Bühne im Deutschen Theater Berlin.

Regisseur Michael Thalheimer geht bei dieser Koproduktion mit den Salzburger Festspielen noch radikaler als sonst an einen Klassiker heran, hier also an Friedrich Schiller. Der Text besteht nur noch aus Haut und Knochen. Dennoch verlässt sich Thalheimer voll auf die Dichtung, so als ginge es um eine Lesung.

Kathleen Morgeneyer als Jungfrau von Orleans, Foto Arno Declair
Kathleen Morgeneyer als Jungfrau von Orleans, Foto Arno Declair

Johannas Partner – der Vater, der König, dessen Entourage und seine Widersacher – sie alle bewegen sich zumeist nur auf Johanna zu. Sie – die bewundernswerte Kathleen Morgeneyer – ist der Fixstern, den sie umkreisen. Keine ausgespielte Handlung lenkt ab von Schillers grandiosem Text, und alle sprechen seine Verse eindrucksvoll und ohne übertriebenes Sentiment. Wer sich auf solch eine Reduktion einlässt, wird diesen ungewöhnlichen Abend genießen und die Augen auf diese Johanna richten.

Eigentlich ist diese 16-jährige, durch Träume gesteuerte Hirtin, ein Opfer. Die Jungfrau Maria, die sie zitiert, fordert die Kleine im Befehlston auf, die von den Engländern belagerte Stadt Orleans zu befreien. Da muss sie gehorchen, wird bald ebenso hart in Sprache und Gestus. Ihr Ziel: den Dauphin als König Karl VII in Reims zu krönen.

Nun aber distanziert sich Thalheimer vom verklärenden Blick Schillers, der diese historische Gestalt auf seine Weise zurechtgebogen hat. Bei Thalheimer ist sie keine Heilige, hier wird sie, obwohl völlig bewegungslos, zur herzlosen Tötungsmaschine.

Schon der verkrampfte Gesichtsausdruck, den Kathleen Morgeneyer ohne Eitelkeit zu Schau trägt, lässt vermuten, dass ihr das Töten und Hassen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Andere Szenen deuten daraufhin, dass Johanna an Wahnvorstellungen leidet. Ihr eigener Vater (Michael Gerber) meint, sie sei vom Teufel besessen und äußert das zum Schaden von Johanna später in aller Öffentlichkeit.

Genau so knallhart wie Johanna ist Königin Isabeau, Karls Mutter. Sie hasst ihren Sohn und kämpft auf Seiten der Engländer gegen ihn. Der Hass trieft der überdies sex-besessenen Frau (fabelhaft: Almut Zilcher) quasi aus allen Poren. Bei Thalheimer wird Schillers Drama zum Stück bösartigen Frauen.

Wie sympathisch wirkt dagegen Dauphin Karl, hier ein schwabbeliger Mann, dem die Hände trotz seiner Jugend zittern, als hätte er bereits Parkinson (Christoph Franken). Der will eigentlich nur mit seiner schicken Geliebten Agnes Sorel (Meike Droste) schmusen und sogar auf den Thron verzichten, um seinem Volk weitere Leiden zu ersparen. Doch Friedfertigkeit ist einem König nicht erlaubt.

Bekanntlich muss Johanna Jungfrau bleiben, um ihre Mission zu erfüllen. Als gefeierte Heldin werben nach Karls Krönung die besten Ritter um sie, so in offenbar echter Liebe Graf Dunois, glaubhaft gespielt von Andreas Döhler. Doch nicht nur deshalb weist sie ihn ab, hat sie sich doch auf den ersten Blick in Lionel, den Anführer der Engländer, verliebt (Alexander Khuon). Nun fühlt sie sich schuldig, weint und zittert. Auch das spielt Frau Morgeneyer höchst überzeugend. – In den übrigen Rollen stehen Henning Vogt (Du Chatel), Jürgen Huth (La Hire), Peter Moltzen (Philipp der Gute, Herzog von Burgund) und Markus Graf (Talbot, Feldherr der Engländer) ihren Mann.

Zuletzt gilt die Retterin Frankreichs als Hexe und wird in den Kerker geworfen. Anders als bei Schiller sprengt sie nicht, mit göttlicher Kraft gesegnet, ihre Ketten, um den Franzosen erneut voran zu reiten. Auch endet sie nicht geschichtlich korrekt auf dem Scheiterhaufen, was man dem Historiker Schiller einst sehr verübelt hat.

Hier betet sie den Sieg ihrer Landsleute herbei und stirbt mit Schillers Worten: „Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude.“ Danach herzlicher Beifall, insbesondere für Kathleen Morgeneyer.

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 17., 26. und 29. November sowie am 25. Dezember

 

 

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