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BERLIN/ Deutsches Theater: DER HEILER von Oliver Bukovski – Uraufführung

05.01.2013 | KRITIKEN, Theater

Berlin/ Deutsches Theater: „DER HEILER“, 05.01.2013

Diese Uraufführung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters ist ein Monolog, und dabei ist eigentlich Vorsicht geboten. Der kann, wenn die entsprechende Geschichte zu dünn ausfällt, schnell ein Gähnen hervorrufen.

Das räumt selbst der in diesem Metier bewanderte Autor Oliver Bukowski ein. Dennoch, so sagt er in dem im Programmheft abgedruckten Interview, „halte ich den Monolog noch immer für die Königsklasse der Theatertexte.“

Dem ist im Erfolgsfall durchaus zuzustimmen. Sogleich denke ich an Thomas Bernhards gelungenes „Einfach kompliziert“, gesehen mit Bernhard Minetti und Gert Voss, die dieses Stück zu einem Erlebnis gemacht haben.

Das gelingt hier auch Jörg Gudzuhn als Prof. Dr. Matthes Grebenhoeve. Der, ein sehr renommierte Psychotherapeut, ist der Geheimtipp für ganz schwierige Fälle und besitzt die Aura eines Wunderheilers. Nun aber muss er sich vor der von ihm selbst installierten Ethik-Kommission verantworten, hat man ihn doch nackt und tief schlafend neben seiner toten Patientin Sophie Brettschneider gefunden. Ein Skandal. Oder?

Wie es dazu kam, schildert der Text in Rückblenden, ohne das Publikum mit „Fachchinesisch“ zu überfordern.
Das Ganze, gespielt auf kaum möblierter Bühne (Ausstattung: Hans-Jürgen Nikulka) wird gerade wegen der zurückhaltenden Regie von Piet Drescher eine spannende und durchaus lebensecht wirkende Geschichte.

Mit hellwach blitzenden Augen bringt sie uns Gudzuhn (geb. 1945) nahe, der sich mit dieser Glanzleistung verabschiedet und in Pension geht. Schade. Schon wenn er sich nur die Nase putzt oder den Schweiß von der Stirn wischt, wenn er grübelnd den Raum durchmisst oder die Brille aufsetzt, um nach einem Wutanfall den Puls zu messen, wird das beiläufige Geschehen hinsehenswert.

Zwei seiner Patienten, so resümiert er, haben gleich nach dem Verlassen seiner Praxis enttäuscht Suizid verübt. Das schadet nicht nur dem Image. Es plagt den Heiler nach wie vor, und im nachhinein weiß er, was er seinerzeit versehentlich falsch gemacht oder nicht bedacht hat.

Bei der hochintelligenten Sophie Brettschneider ahnt er diese Gefahr sofort, ist aber auch nicht immun gegen ihre Reize. „Mein Hintern gefällt Ihnen, nicht wahr?“ sagt sie sofort lachend, nachdem sie eine Kiste mit all’ ihren Krankheitsunterlagen auf den Tisch gewuchtet hat. Wie
lange sie den, bei der Behandlung vor ihm sitzend, darbietet, misst er insgeheim mit der Stoppuhr.

Ein Kollege – früher sein Freund, jetzt sein Intimfeind – hat diese Frau zu ihm geschickt, und seine Sekretärin meinte maliziös, die würde ihm gut tun. Wie man’s nimmt. Denn sie, ungewöhnlich klug und belesen, mit steiler Karriere in jungen Jahren, die sie angewidert abgebrochen hat, ist ihm intellektuell überlegen und dreht den Spieß um. Eher therapiert sie ihn als er sie. Ihr Werdegang macht ihm im Verlauf der Sitzungen klar, dass sein Bücherwissen der komplizierten Gegenwart, die viele Menschen krank macht, nicht mehr gewachsen ist.

Ihre Geschichte führt ihn ins wahre Leben zurück mit der Folge, dass er ebenfalls sein Tun, seine bisherigen Erfolge und den Sinn seiner Arbeit in Frage stellt. Auch die gesellschaftliche Entwicklung und die vergeblichen Versuche vieler Menschen, die alltäglichen Schwierigkeiten irgendwie zu meistern, machen ihn nachdenklich.

Unnötig zu sagen, dass er bald mehr und mehr Anteil an Sophie nimmt und dass sich das Verhältnis Arzt – Patientin in eine (offenbar platonische) Liebesbeziehung verwandelt. Er geht sogar in ihre Stammkneipe, „Durstlöscher“ genannt.

Dort arbeitet sie, der modernen „Team-Hölle“ entronnen, weit unter ihrem Niveau. Solch eine Arbeit sei, wie sie sagt, gut gegen Depressionen. Und er, der Professor, betrinkt sich inmitten vieler gescheiterter Existenzen, die im Suff ihre Probleme vergessen wollen. Bei seinem Monolog sehen wir dieses Umfeld förmlich vor uns.

Einmal fragt sie ihn, ob er für sie Respekt habe. Das ist ihr wichtig. Er bejaht es überzeugend, und sie glaubt ihm. Auch sieht er Behandlungserfolge bei Sophie, die ihre komplizierte Krankheit als so genannter „Borderliner“ mit stets guter Laune überspielt. Er schickt sie allein in eine Hütte aufs Land, die Abgemagerte erholt sich, nimmt dort einige Kilo zu und kehrt anscheinend fröhlich zurück.

Doch nach solch einer Euphorie ist der Absturz nahe, wie er als Facharzt eigentlich wissen müsste, aber im Falle Sophie zu spät erkennt. Sie lädt ihn ein, will angeblich im Backofen etwas braten. Plötzlich ist sie verschwunden. An den Füßen zieht er die Selbstmörderin aus dem Ofen heraus.

Sie kommt noch einmal zu sich, verlangt von ihm, sich nackend – „Haut auf Haut“ – neben sie zu legen. So hat man die beiden gefunden. Ihre letzten Worte waren: „Danke, Sie haben mir das Leben gerettet.“ Ihr ganz persönliches Leben, dem sie bewusst ein Ende setzt.

In 90 pausenlosen und pausenlos spannenden Minuten haben wir alles miterlebt, fast mit eigenen Augen gesehen. Das Publikum bedankt sich mit kräftigem Beifall und begeistertem Getrampel bei Jörg Gudzuhn für seine großartige Leistung.  

Ursula Wiegand

 

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