Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Deutsches Historisches Museum: LEBEN NACH LUTHER

02.11.2013 | Ausstellungen, KRITIKEN

Berlin/Ausstellung: „LEBEN NACH LUTHER“, 02.11.2013

von Ursula Wiegand

„Leben nach Luther“ lautet der Titel einer Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin-Mitte. In Kooperation mit der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Internationalen Martin Luther Stiftung wird die Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses von Luther bis in die Gegenwart anhand von rd. 550 Exponaten aus 7 Ländern aufgeblättert.

9Pastor Otto Clemens van Bijleveld als guter Hirte, 1646, Ausschnitt
Pastor Otto Clemens van Bijleveld als guter Hirte, 1646, Ausschnitt. Foto: Ursula Wiegand

Zu sehen sind u.a. Porträts aus fünf Jahrhunderten, kostbare Bücher, Alltagsgegenstände, die Talare der ersten Pastorinnen und zahlreiche Dokumente. Eigene Geschichten erzählen vor allem die Bilder. Ein niederländisches Gemälde von 1646 – Pastor Otto Clemens van Bijleveld als guter Hirte seiner Herde – zeigt die Zielsetzung. Noch älter und ein bisschen zum Schmunzeln ist das um 1590 geschaffene Epitaph für Valentin Braun (1498-1598) und seine Ehefrau Barbara in Döbeln (Sachsen). Braun war der erste von Martin Luther berufene, Zölibat-freie Pfarrer und hinterließ 52 Enkel!

9Subrektor Jacob Kockert, Lübeck (1596-1654)
Subrektor Jacob Kockert, Lübeck (1596-1654). Foto: Ursula Wiegand

Manch kluge Köpfe fallen auf, so Jacob Kockert (1596-1654), Subrektor und Lehrer an der Lübecker Lateinschule Katharineum sowie Leiter der Staatsbibliothek. Sein 4-jähriger Sohn Johann hält bereits ein Buch in Händen, ein Hinweis auf den Bildungsauftrag der Pastoren. Sie waren die ersten Lehrer ihrer Kinder, d.h. der Söhne, die später, wenn nicht Pfarrer, so doch oft Künstler oder Wissenschaftler wurden, wie der in Döbeln geborene, später in Kiel und Hamburg tätige Theologie-Professor und Orientalist Abraham Hinckelmann (1652-1695), der 1694 als erster den Koran im Original auf Arabisch drucken ließ. 9Epitaph des schwedischen Pfarrer Fredrik Hjortberg mit Familie, um 1770, a Epitaph des schwedischen Pfarrer Fredrik Hjortberg mit Familie, um 1770. Foto: Ursula Wiegand

Die familiäre Rollenverteilung wird auf dem Epitaph (um 1770) des schwedischen Gelehrten und Pfarrers Gustaf Fredrik Hjortberg deutlich. Links, vor dem Bücherregal, der Hausherr mit den Söhnen samt einem aus der Ferne mitgebrachten Affen und sonstigen Souvenirs. Rechts seine Gattin mit den Töchtern, alle fein gekleidet, bestimmt als Frauen und Mütter. Dieser Werdegang war selbstverständlich, siehe „Die Pfarrerskinder“ von 1847, gemalt von 1847 von Johann Peter Hasenclever, die auch das Ausstellungsplakat zieren. Der Junge als Mini-Pastor schaut selbstbewusst, die Schwester als seine Frau senkt züchtig den Blick.

9Die Pfarrerskinder von Johann Peter Hasenclever, 1847, Ausschnitt
Die Pfarrerskinder von Johann Peter Hasenclever, 1847, Ausschnitt. Foto: Ursula Wiegand

Das Leben nach Luther verlief weit weniger idyllisch, als es Darstellungen aus dem 19. Jahrhundert suggerieren. Luthers Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ war ein Mutmacher übers Kirchliche hinaus. Gottvertrauen mussten sie haben – die Pastorenfamilien mit ihrer großen Kinderschar bei oft geringen Einkünften. Sie mussten außerdem Vorbilder sein für ein sittsames und bescheidenes Leben und quasi Tag und Nacht zur Verfügung stehen. Die Familien lebten von den seitens der Gemeinde zu leistenden Spanndiensten und den Gebühren für religiöse Amtshandlungen. So musste nach der damals noch üblichen Beichte ein ‚Geldstück in ein Kästchen geworfen werden. Zur Ernährung ihrer Familie betrieben die Pastoren nebenbei Landwirtschaft, während die Frauen im Pfarrgarten Obst und Gemüse anbauten. Johann Volkmar Sickler (1742-1820), der vor lauter Armut die Prüfungsgebühren nicht zahlen konnte, entwickelte sich zum Obstbauexperten im Landkreis Gotha und zu einer bekannten Kapazität. Doch andere Länder, andere Sitten. Die anglikanischen Pfarrer gehörten quasi zum Adel und zur gehobenen Gesellschaft und waren zumeist nicht knapp bei Kasse. Einige gingen sogar auf die Jagd, was ihren deutschen Amtskollegen verboten war.

9Taufvisite im englischen Pfarrhaus von Johann Baptist Pflug, 1828 Taufvisite im englischen Pfarrhaus von Johann Baptist Pflug, 1828. Foto: Ursula Wiegand

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die deutschen Pastoren Beamte mit sicherem Einkommen und ebenso sicherer Staatstreue. Dieser Haltung hatte Luther durch das Bild von den „Zwei Reichen“, dem Gottes- und dem weltlichen Reich – mit Gehorsamspflicht gegenüber der Obrigkeit – den Boden bereitet. „Nach dem 1. Weltkrieg wurde das Pfarrhaus zur nationalkonservativen Festung gegen Republik und Demokratie,“ ist in der Ausstellung zu lesen. Hitler wurde willkommen geheißen, „Reichskirche“ und „Reichsbischof“ waren die Folgen. Dem extremen Antisemitismus der evangelischen „Deutschen Christen“ (in gemäßigter Form auch ein Luther-Erbe) stellte sich zwar die „Bekennende Kirche“ entgegen. Insgesamt übten jedoch die beiden christlichen Konfessionen (Abschluss des „Reichskonkordats“ mit der Katholischen Kirche) zumeist Duldung und Wegsehen gegenüber der Judenverfolgung. Mutige Gegner solcher Untaten hatten keinen Rückhalt in ihrer Kirche und wurden vielfach in den KZs  ermordet. Auch in der DDR war Anpassung weithin die Regel, siehe „Kirche im Sozialismus“. Die Ausstellung beleuchtet aber auch die bedeutsame Rolle der Pfarrhäuser bei der „Friedlichen Revolution“ 1989/90. Die deutsche Wiedervereinigung begann hauptsächlich im evangelischen Pfarrhaus, doch das ist inzwischen vielerorts verwaist. Diesen Wandel illustrieren aktuelle Arbeiten der Berliner Fotoschulen „Ostkreuz“ und „BEST Sabel“.

Infos: Die Ausstellung im Deutschen Historisches Museum ist ein Projekt im Rahmen der bis 2017 reichenden Lutherdekade. Adresse: Unter den Linden 2, 10117 Berlin-Mitte). Sie läuft bis 2. März 2014 und ist täglich von 10-18 Uhr geöffnet. Eintritt bis 18 Jahre frei, Tagesticket 8 Euro, erm. 4 Euro. Katalog 25 Euro. Umfängliches Beiprogramm. www.dhm.de/ausstellungen/pfarrhaus.

 

Diese Seite drucken