BERLIN / Deutsche Oper – Tischlerei: AB IN DEN RING! von und mit tutti d*amore nach Oscar Straus’ und Rideamus’ DIE LUSTIGEN NIBELUNGEN; 1. Vorstellung nach der Premiere; 2.3.2025
Foto: Eike Walkenhorst
Ziemlich zerrupft gurren am Ende die Berliner Stadttauben als Schwestern und Brüder aus Siegfrieds Waldvogel die Al Bano und Romina Powers Schnulze „Felicidad“. Auch die Taubenhäuser unterliegen dem Spardiktat des Senats. Der Subventionsstrich ab 2025 bei den Berliner Künsten ist nämlich der Haupthandlungsträger in der sehr freien Bearbeitung von Oscar Straus‘ Operette „Die lustigen Nibelungen“ durch Felix Stachelhaus (Musik) und Anna Weber (Fassung und Inszenierung). Dahinter steckt das Berliner Kollektiv für zeitgenössische Operette tutti d*amore, deren Ziel es ist, Operette zerlegen, durchkneten, schütteln und pikant-kross servieren zu wollen.
Da wird der Stammsitz der Nibelungensippe im Königshof zu Worms schon mal zum künstlerischen Familienbetrieb an der Deutschen Oper Berlin umgemodelt und aus der Hochzeit der Stammeshalter Gunther und Brünhilde ein Unternehmensmerger.
Aber Stop. Zuerst ergehen sich Ute (Caroline Schnitzer), Hagen (Ferhat Baday), Kriemhild (Ludwig Obst), Giselher (Evelina Smolina) und Gunther (Artur Garbas) bei der Betriebsversammlung noch in bequemer Zuversicht und ulkiger Probenlaune. Uta, vom einstigen Star zur Chorleiterin abgestiegen, probt nämlich mit zuvor an das Publikum ausgeteilten Noten den Chor „Morgenandacht“, alias den „Einzug der Gäste in die Wartburg“ aus Wagners „Tannhäuser“, in der Gunther als Intendant der Deutschen Oper mit Hurra begrüßt wird. Die Idylle ist plötzlich aus, als ein roter Brief aus dem Senat ins Haus flattert, mit dem Innovation eingefordert wird und die Deutsche Oper Berlin mit der radikalen Performerinnengruppe „Die wilde Brünhilde“ zwangsfusioniert werden soll.
Dass das nicht gut gehen kann, wenn die blondgezopfte Wagnertradition der Nibelungensippe, von Straus wienerisch-operettig-walzerselig aufgepeppt, und die wilde Brünhilde als Berliner Rapperin mit Electrosounds und Dubstep in einem cultural clash ohnegleichen gegenüberstehen, ist klar.
Vielleicht kann ja Siegfried die Lösung bringen? Also wird der schmucke Jüngling (Ferdinand Keller) im Kulissenlager reanimiert. Dieser germanische Held könnte als Mäzen mit seinem bei der Rheinischen Sandbank gehorteten, in Aktien konvertierten Rheingold-Milliarden die Chose retten. Kriemhilde will er auch sogleich heiraten (Duett „Steiles Geschöpfchen, schneidiger Schneck“). Gesagt, getan. Nach der Hochzeit, die durch um die Hände des Brautpaars gewickeltes Klopapier besiegelt wird, nagen die frisch Verehelichten an einer rohen Schweinehälfte. Die illustre Hochzeitsgesellschaft delektiert sich an Rinderkopf und einem abgeschnittenen Fuß. Natürlich hat Siegfried zuvor die beiden hübschen Drachenladys geköpft.
Foto: Eike Walkenhorst
Aber der Wichtigtuer und Lüstling Siegfried gibt sich damit natürlich nicht zufrieden. Er will das Sagen haben und auch gleich die wüste Brünhilde (Caroline Schnitzer) vernaschen. Also soll er gelyncht werden. Den Waldvogel darüber befragt, ob er sterben werde, sagt das grünäugig-flatternde Ding: „Nee, wir sind doch in einer Operette.“ Also gesprochen, verliebt sich Hagen nach einem untauglichen Mordversuch mit einem zerbrochenen Schwert in den Schönen und die beiden besiegeln ihren Herzensbund mittels Kusses. Dann geht auch noch die Rheinische Sandbank bankrott und nichts ist es mit der ersehnten finanziellen Rettung durch den Big Spender, weder der von „Hochkultur“ noch der von „Subkultur“. Ja, so gefährlich kann es sein, auch nur an Sponsoren denken zu wollen…. Ein Streit aller gegen alle bricht aus, die Tauben haben das letzte Gurren.
Anna Weber lässt in dieser, ihrer Version der Geschichte, dieser Wiener auf Berlinerisch zwangsgetrimmten Operette, keinen eckigen Klamauk und keinen derben Kalauer aus. Da wird eine schwarze Farce gestrickt, dass die in Wien so berühmt-berüchtigten Pradler Ritterspiele im Vergleich beinahe als Hochkultur durchgingen. Politisch wird wenig zimperlich gegen den Kultursenator ausgepackt. „Brünhilde verkündet erbost: „Ich ruf den Senat an und beschwer‘ mich beim Hofnarren.“ (Anm.: Real erfolgte, wenig freundliche Bezeichnung des Senators durch den BK Scholz) oder aus der „Zeitung“ vorgelesen: “Der Kultursenator findet sich sexy.“
Ich finde, bei aller gelegentlichen Situationskomik und dem schauspielerisch und sanglich untadeligen Ensemble will die Regie zu viel auf einmal, was bisweilen zu szenischem Chaos führt. Wiener Operette mal Berliner Techno mal nur regional verständliche politische Aktualisierung mit dem Vorschlaghammer ergibt einen nicht aufzulösenden Mischmasch. Die Komik bleibt dabei grob und brüsk und liegt so im Dauerclinch mit dem Charme der Musik. Auch ist das Thema Einsparung generell nicht per se sexy und noch weniger witzig oder gar unterhaltsam. Leider ist „Ab in den Ring!“ aus meiner Sicht keine pikant krosse Sache geworden. Dem Publikum hat’s, dem Applaus nach zu schließen, trotzdem gefallen.
Foto: Eike Walkenhorst
Die musikalische Einrichtung durch Felix Stachelhaus geht behutsamer an die Sache. Neben viel großartig vom Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Elda Laro musiziertem Oscar Straus samt in der Operette so nicht vorkommenden Wagnerzitaten gibt es einige kurze Rap-Electro Nummern, die eher durch Lautstärke als durch Qualität für sich einnehmen. Der in großer Formation angetretene Apollo-Chor machte seine Sache vorzüglich.
Uraufführung am 28. Februar 2025 in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin
Fotos (c) Eike Walkenhorst
Dr. Ingobert Waltenberger