Berlin, Deutsche Oper: Premiere „TANCREDI, Berliner Premiere, 22.01.2012
Patrizia Ciofi als Amenaide, Hadar Halévy als Tancredi, Foto Bettina Stoess.
Wenn Alberto Zedda ein Werk von Gioacchino Rossini dirigiert, eilen die Musikfreunde herbei. Denn keiner kann, so wie er, Herrn Rossini vom vermeintlichen Makel einer gewissen Belanglosigkeit befreien. Wenn er den Taktstock schwingt, lässt er die Melodien aufblühen und fördert bei Rossini auch das Tiefsinnige zu Tage.
Diesmal bringt uns Zedda die kaum gespielte Oper „Tancredi“, die erste abendfüllende opera seria des damals gerade 21jährigen Komponisten. Monsieur de Stendhal, der die erste Rossini-Biographie verfasste, war total begeistert von der „Jugendlichkeit“ dieser Musik. „Alles ist einfach und rein. Es gibt nichts Verschwenderisches; es ist das Genie in all seiner Naivität,“ schwärmte der Franzose.
Doch nach dem großen Erfolg, den „Tancredi“ nach der Uraufführung 1813 in Venedig jahrelang hatte, geriet die Oper später in Vergessenheit. Verdi und Wagner eroberten die Herzen und ließen Rossini alt aussehen. Wagner scheute sich allerdings nicht, die Eingangskavatine Di tanti palpiti aus „Tancredi“, zunächst ein Ohrwurm, in seinem Schneiderlied im dritten Akt der „Meistersinger“ zu parodieren.
Dass der „Tancredi“ ins Abseits geriet, lag sicherlich nicht am öfter anzutreffenden Sujet, nämlich einer Liebesgeschichte zweier junger Leute aus (hier früher) verfeindeten Familien. In diesem Fall war es ein gleichnamiges Drama Voltaires, das Gaetano Rossi und Luigi Lechi für ihr Libretto nutzten.
Wieder entdeckt wurde diese Oper beim Festival von Pesaro, dem Geburtsort Rossinis, wo man sich seit 1980 intensiv mit ihm beschäftigt und selten gespielte Werke aus der Versenkung holt. Spiritus rector dieses Festivals ist der inzwischen 84jährige Alberto Zedda, ein Rossini-Mann par excellence.
1999 erlebte „Tancredi“ dort eine Auferstehung, inszeniert von Pier Luigi Pizzi, der auch für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet. Nun verschafft Zedda mit diesem „melodramma eroico“ der Deutschen Oper Berlin einen Ansturm des Publikums. Zwar verleiten die öfter weg- und wieder hochgeklappten Papp-Säulen zum Schmunzeln, doch musikalisch kommen wir alle voll auf unsere Kosten.
Denn Zedda, dieser lebhafte kleine Tausendsassa, macht sogleich dem Orchester des Hauses, ohnehin ein verlässlicher Klangkörper, flinke Beine. So kommt „Tancredi“ leichtfüßig und doch mit der erforderlichen Melancholie daher, zumal die sog. Ferrara-Variante gespielt wird, die den tragischen Schluss Voltaires nicht zu einem Happy End verbiegt, was seinerzeit viele Italiener bevorzugten.
Zuerst tritt der Chor auf den Plan, und die von William Spaulding einstudierten Herren, die die Truppen beider Parteien oder das Volk von Syrakus im Jahr 1005 verkörpern, geben der gesamten Aufführung immer wieder eine knackige Grundierung.
Für „einfach und rein“, wie es Stendhal ausdrückte, steht dagegen die wunderbare Patrizia Ciofi in der Rolle der Amenaide, die den in Ungnade gefallenen Tankredi liebt, der inkognito in die Stadt zurückgekehrt ist. Um den Frieden der zuvor verfeindeten Familien zu besiegeln, soll sie nach dem Willen ihres Vaters Argirio jedoch den Führer der Gegenpartei, den brutalen Orbazzano, heiraten.
Durch einen Brief an Tancredi ohne Namensnennung gerät Amenaide jedoch in Verdacht. Man unterstellt ihr, diese Liebeserklärung gelte dem Erzfeind, dem Sarazenen Solamir. Sie schweigt und verliert dadurch nicht nur Tancredis Vertrauen, sondern erntet den Hass des für sie bestimmten Gatten Orbazzano, kernig dargeboten von Krzysztof Szumanski.
Zum leuchtenden Stern dieser Aufführung wird jedoch Patrizia Ciofi. Wie sie sämtliche Seelenzustände der jungen Frau stimmlich verdeutlicht, das ist sensationell. Stets klingt ihr Sopran rein und schön, selbst wenn sie die Spitzentöne punktgenau herausschleudert.
Mit perlenden Koloraturen oder bei schlichter Melodieführung lässt sie Liebe und Verzweiflung ebenso glaubhaft hören wie das vergebliche Aufbegehren gegen die Staatsräson. In zartesten Nuancen bekundet sie, zum Tode verurteilt auf einem Sarg sitzend, ihre unverbrüchliche Liebe zu Tankredi.
Der, gesungen von Hadar Halévy in der Hosenrolle, hat es schwer, Patrizia Ciofi Paroli zu bieten. Ihr warmer Mezzo reicht vom Volumen her nicht aus. Das Bemühen, seinen „Mann“ zu stehen, führt gelegentlich zu Intonationsschwankungen.
In den Duetten vereinen sich jedoch beider Stimmen zu purem Wohlklang. Auch der herzzerreißende Schluss, als der tödlich verwundete Tancredi endlich von der Unschuld seiner Geliebten überzeugt ist und sie beim letzten Atemzug zur Frau nimmt, gelingt Hadar Halévy überzeugend.
Die Rolle des Argirio, hin- und hergerissen zwischen Vaterliebe und Politik, ist bei dem jungen Alexey Dolgov (Tenor) in guter Kehle und an seinem Mienenspiel abzulesen. Mit spritzigen Leistungen können Clémentine Margaine (Mezzo) als Amenaides Freundin Isaura sowie Hila Fahima (Sopran) als Begleiter Tancredis punkten.
Nach reichlichem Zwischenbefall jubelt das Publikum. Die Bravos gelten insbesondere und höchst verdient dem verschmitzt lächelnden Alberto Zedda, der großartigen Patrizia Ciofi und dem Chor. Ursula Wiegand
Weitere Aufführung am 26.Januar sowie am 1. und 4. Februar.