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BERLIN/ Deutsche Oper: ROMÉO UND JULIETTE – gestaltet von Sasha Waltz

Berlin/ Deutsche Oper: Sasha Waltz gestaltet „ROMÉO UND JULIETTE“, 28.08.2015

Roméo und Juliette beim Liebestanz, Foto Bernd Uhlig
Roméo und Juliette beim Liebestanz, Foto Bernd Uhlig

Es ist der längste Pas de deux, den ich je erlebt habe, auch der feinfühligste und intensivste. Zwei junge Leute zeigen den ganzen Aufruhr ihrer Gefühle, das verwirrte Nicht-für-Möglich-Halten, die anfängliche Scheu vor dem/r anderen und die Angst vor dem plötzlichen Begehren, das sie kaum begreifen.

Bekanntlich auch Zwei aus verfeindeten Familien. Wunderbar zu sehen, wie sie dennoch einander in jeder Hinsicht begreifen lernen und den Todesmut zum „Ja“ aufbringen. Mit jedem Blick und jeder Körperfaser wird das verdeutlicht, viel ausgiebiger, viel wagemutiger als in der klassischen, ebenfalls wunderbaren Cranko-Version, die vor gut drei Jahren in Berlin zu sehen war.

Und noch nie habe ich das Publikum in der großen Deutschen Oper so mucksmäuschenstill, so atemlos schauend erlebt, wie bei Sasha Waltz’ „Roméo und Juliette“, obwohl doch vermutlich alle wissen, wie diese Love Story endet. Die unglaubliche Konzentration von Lorena Justribó Manion als Juliette und Joel Suárez Gómez als Roméo überträgt sich nahtlos auf die Zuschauer.

Gebannt und erschreckt blicken alle, als der (angebliche) Leichnam Juliettes hoch über den Köpfen immer wieder über die Bühne getragen oder mit schlackernden Gliedermaßen hin- und hergereicht wird. Packende, fast etwas grausliche Szenen, auch tänzerisch eine enorme Herausforderung!

Ermöglicht wird die Länge der Gefühlsausbrüche durch die ausschweifende „Symphonie dramatique“ op. 17, H. 77 von Hector Berlioz (von 1839), die Moritz Gnann mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin und den Chören, einstudiert von William Spaulding, hochromantisch darbietet.

Als Gesangssolisten gefallen Ronnita Miller (Mezzo), Thomas Blondelle (Tenor) und vor allem Marko Mimica mit fabelhaftem Bass, fabelhaft durchtrainierter Figur und markigen Gesten. Als Frère Laurent, der die beiden Liebenden heimlich getraut hat – getanzt von Davide Camplani – liest er dem Volk nun die Leviten und schafft es, den gegenseitigen Hass der Familien Capulet und Montague in Freundschaft zu verwandeln.

Roméo und Juliette, Tragen der angeblich Toten, Foto Bernd Uhlig
 Roméo und Juliette, Tragen der angeblich Toten, Foto Bernd Uhlig

Zu verdanken sind diese außergewöhnlichen Bewegungsmuster Sasha Waltz, die im Ausland weit mehr an Wertschätzung erfährt als daheim. Wie zu lesen war, erntete sie nach der Uraufführung des Stückes am 5. Oktober 2007 an der Opéra Bastille Paris Jubelstürme, ähnlich bei der Erstaufführung am Teatro alla Scala in Mailand am 19. Dezember 2012. Erst am 18. April d. J. war die Berliner Premiere, außerdem erstmals an der Deutschen Oper, und wird in diesen letzten Augusttagen noch dreimal gezeigt. Ein Meisterwerk, das Joel Suárez Gómez und Lorena Justribó Manion ebenso meisterhaft und mit berührender Hingabe – zusammen mit der Truppe Sasha Waltz & Guests – realisieren.

Es ist eine puristische zeitlose Choreographie. Keine Ablenkung durch irgendwelches Mobiliar auf der von Pia Maier Schriever, Thomas Schenk und Sasha Waltz entworfenen Bühne, rein gar nichts deutet auf Verona.

Ein schräg auf die Zuschauer gerichtetes Dreieck lässt sich heben und senken. Je nach Höhe lässt es den Balkon von Juliettes Haus ahnen oder das Grab darunter. Die Kostüme in schwarz oder weiß kennzeichnen die verfeindeten Clans. Juliette trägt ein langes weißes Unschuldsgewand, Roméo ein weißes Hemd, als wild Trauernder eine schwarze, beim Verzweiflungstanz über der nackten Brust wehende Jacke.

Möglicherweise hätten die bigotten Familien Juliette gesteinigt, wenn sie den „Fehltritt“ der Tochter bemerkt hätte. Jetzt sind es die Friedhofsbediensteten, die ihren Körper mit Kieseln bedecken. Roméo befreit jedoch den Körper der scheinbar Toten von dieser Last. Sasha Waltz, die ihre Choreographien nach eigenen Worten zusammen mit den Tänzerinnen und Tänzern entwickelt, hat diese Idee von ihnen übernommen. Entstanden ist nach meinem Dafürhalten ihre beste und ausdrucksstärkste Arbeit.

Weitere Tänzer und Tänzerinnen von Sasha Waltz & Guests illustrieren die verfeindeten, aber auch mal heftig feiernden Familien, die sich in verschiedenen Formationen zusammenfinden und sich schließlich alle glücklich umarmen. So Ayaka Azechi, Maria Marta Colusi, Emmanouela Dolianiti, Maya Gomez, Peggy Grelat-Dupont, Annapaola Leso, Orlando Rodriguez, Jared Marks, Nicola Mascia, Michal Mualem, Gyung Moo Kim, Davide Di Pretoro, Virgis Puodziunas, Kristian Refslund, Aladino Rivera Blanca, Antonios Vais und Idan Yoav.

In den Schlussapplaus mischen sich jedoch von rechts oben einige lautstarke Buhs. Das übrige Publikum, noch ganz im Banne des Erlebten, zuckt regelrecht zusammen und übertönt schnell die (unverständlichen) Missfallensäußerungen mit kräftigem Beifall.

Ursula Wiegand

 

 

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