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BERLIN/ Deutsche Oper: PARSIFAL – Premiere

22.10.2012 | KRITIKEN, Oper

BERLIN/ Deutsche Oper: PARSIFAL – Großer Abend
(Gastkommentar www.deropernfreund.de)

 Bis zuletzt hatte man noch gebangt, der Wind würde sich drehen; Kundry würde massenvergewaltigt werden, König Parsifal sämtliche Untertanen erschiessen oder zumindest Titurel aus dem Sarg gekippt werden. Irrtum: Bis zur letzten wunderbar vom Orchester der Deutschen Oper musizierten Ton blieb die Inszenierung mitreißend, eindrucksvoll, Verstand und Herz bewegend und wie aus einem Guß.

 Regisseur Philipp Stölzl hatte sich der Scharaden entsonnen, eines beliebten Gesellschaftspiels zu Wagners Zeiten, in denen lebende Bilder gestellt wurden, nach Gemälden oder historischen Szenen, und so bereits die Ouvertüre inszeniert mit einer zunächst statuarischen Vorgeschichte des „Parsifal“: Christus am Kreuz mit Maria, Maria Magdalena, Johannes und Kundry, die den leidenden Gottesmann verlacht. Am Ende des Vorspiels gerät das Bild in Bewegung, Speerstoß und das Auffangen des Blutes, Kreuzabnahme und Grablegung werden gezeigt, und der Vorhang schließt sich für einen kurzen Moment, ehe das Spiel, wieder mit einem Tableau, beginnt. Es wechseln bewegte

 Szenen und Bilder einander ab und es wird zusätzlich auch gezeigt, was Gurnemanz den Knappen berichtet, so der Sündenfall des Amfortas. Eine besondere Deutung hat die Regie für das berühmt-berüchtigte „Zum Raum wird hier die Zeit“ gefunden, indem Parsifal in Anzug und Krawatte unserer Zeit in den Kreis der mittelalterlich gewandeten Ritter und Knappen tritt (Kostüme Kathi Maurer). Den Hinfälligen verleiht der Gral Kraft und Mut nur zu sinnlosem Waffenschwenken, und hier wie an vielen anderen Stellen kann man die Kunst der Massenregie nur einschränkungslos bewundern. Da spielte es auch keine Rolle mehr, dass mit vier der Solisten kaum geprobt werden konnte, da es außer für Parsifal und Kundry Umbesetzungen gegeben hatte.

 Klingsors Reich liegt in Mexiko, die Blumenmädchen sind fleischfressende Pflanzen, denen er einen Jüngling schlachtet. Dem oft zu Peinlichkeiten führenden Speerwurf entgeht die Regie, indem Parsifal Klingsor niedersticht und ihm den Speer entwindet. Im dritten Akt gibt es eine Karfreitagswiese von frischem Grün, das sich sogar in den nebligen Lüften zeigt (Bühne Conrad Moritz Reinhardt, Philipp Stölzl), sind aus den Rittern Menschen der Jetztzeit geworden, die mal bedrohlich, mal mitleiderregend in ihrem Verhalten seltsam ziellos und unbestimmt sind, so daß der Schluss ein fast offener bleibt. Kundry wir von der Menge recht unsanft getauft, so dass man schon ein Ertränken befürchtete, Parsifal erhält zwar die Krone, die zwischendurch auch mal in ein über dem Orchester aufgespanntes Netz gekullert war- aber ansonsten bleibt alles recht dunkel, es sei denn, die Lösung läge auf der linken Seite der Bühne, die aus der linken Loge A nicht einzusehen war. Aber die Inszenierung ist so spannend, dass die Rezensentin sicherlich noch mindestens einmal eine Vorstellung besuchen wird.

 Wie der Lohengrin liegt der Parsifal Klaus Florian Vogt gut in der Stimme. Daß Sie auch hier durchgehend klingt, als seien die Stimmbänder mit der Milch der frommen Denkungsart gespült worden, tut nichts, hebt im ersten Teil die Besonderheit des reinen Toren auch vokal hervor und steht ebenso dem frommen Gralshüter gut an, so wie eine gewisse glatte Gefälligkeit im Spiel. Eine Wucht von einer Kundry ist Evelyn Herlitzius, denn was ihr an dramatischer Durchschlagskraft und Mezzofarben fehlt, gleicht sie durch eine ungeheure Flexibilität, durch Intensität und Eindringlichkeit mehr als aus. Für den Gurnemanz brachte Matti Salminen eine starke Bühnenpersönlichkeit und einen textverständlichen, machtvoll auftrumpfenden Baß mit. Glaubhafter kann man diese Figur nicht spielen und singen. Albert Pesendorfer sang einen makellosen, würdigen Titurel. Thomas Johannes Mayer hatte anrührende, zu Herzen gehende Schmerzenstöne für den Amfortas. Thomas Jesatko war mit schillerndem Bariton ein adäquater Klingsor. Blumenmädchen wie Gralsritter und Knappen waren aus dem Ensemble rollendeckend besetzt. Eine balsamische Stimme aus der Höhe sang mit der von Dana Beth Miller.

 Pure Wunder vollbrachte einmal mehr der Chor der Deutschen Oper, ein mühelos an- und abschwellender Klangkörper, den wieder William Spaulding betreut hatte. Donald Runnicles lässt die Bläser eher schneidend kalt als feierlich ertönen, hat trotz zupackenden Dirigierens viel Aufmerksamkeit für die Sänger und wird am Ende zu recht besonders gefeiert. Ein großer Abend, der des Beginns der 101ten Spielzeit der Deutschen Oper würdig ist.

 Ingrid Wanja

 

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