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BERLIN/ Deutsche Oper: OCEANE von Detlev Glanert. Uraufführung

Ein großteils gelungenes musikalisches Geschenk zu Theodor Fontanes 200. Geburtstag

29.04.2019 | Allgemein, Oper


Nikolai Schukoff, Maria Bengtsson. Copyright: Bernd Uhlig/Deutsche Oper Berlin

BERLIN / Deutsche Oper: OCEANE, Uraufführung, 28.4.2019

Ein großteils gelungenes musikalisches Geschenk zu Theodor Fontanes 200. Geburtstag

 

Dem Publikum hat diese kulinarische Neo-Jugendstiloper in optisch ästhetischer Aufmachung protestlos gefallen

 

“Es kommt darauf an, sich zu erkennen. Ich glaube, ich tat es. Und nun seh ich die trennende Kluft. Eine Sehnsucht ist da, die Kluft zu überbrücken, ich kann es nicht; ich habe keine Thräne, kein Gebet, keine Liebe. Ich habe nur die Sehnsucht nach dem allen.” Theodor Fontane Oceane  von Perceval

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Detlev Glanert hat “Oceane“, ein Sommerstück für Musik in zwei Akten (und sechs Bildern) nach einem Libretto von Hans-Ulrich Treichel frei nach dem Fragment „Oceane von Parceval“ von Theodor Fontane als Auftragsarbeit für die Deutsche Oper Berlin komponiert. Durchwegs tonal, waren Richard Strauss (Salome, Elektra, Arabella), aber auch Korngold und Britten musikalische Paten einer knackig eineinhalbstündigen Oper über eine naturwesenhafte, zügellose femme fatale. Die dazugehörige Liebesgeschichte geht natürlich schlecht aus.

 

Ganz dem Zeitgeist getreu, handelt „Oceane“ vom Missverhältnis von Natur, Fortschritt und damit einhergehende gesellschaftlicher Entfremdung. Also ein wichtiges Thema, symbolisiert durch die autistische, in ihren Gefühlen eingekerkerte Frauenfigur der Oceane. Eine im Realeren verankerte Verwandte der Melusine, der Rusalka, der Mélisande, der Salome, ja eine fremde Frau vom Meer ist sie, ein wundersam urwüchsiges Wesen zwischen zwei Welten, das sich am Ende von all den feindlichen Menschen trennt.  

 

“Die Schöpfer der Oper folgen Fontane, indem sie die Geschichte einer Frau in Wort und Ton fassen, die aufgrund ihres Andersseins gleichermaßen Liebe und Misstrauen erweckt, am Ende jedoch erkennen muss, dass sie ohne völlige Selbstaufgabe keinen Platz in der Gesellschaft hat. Bei Fontane wird die Fremdheit Oceanes durch ihr Unvermögen ausgedrückt, angesichts menschlicher Schicksale Mitleid zu empfinden. Dem Tod und der Liebe steht sie gleichmütig gegenüber und auch ihr Versuch, eine Beziehung mit dem jungen Gutsbesitzer Baron Martin von Dircksen einzugehen, ist so zum Scheitern verurteilt.” 


Doris Soffel, Nikolai Schukoff, Maria Bengtsson, Albert Pesendorfer, Nicole Haslett. Copyright: Bernd Uhlig/Deutsche Oper Berlin

 

Die karge Handlung ist schnell erzählt: Ein Sommerball in einem herabgekommenen Ostseekaff. Der Forstwirtschaftler Baron Martin von Dircksen (Nikolai Schukoff) ist mit dem Privatdozenten Albert Felgentreu (Christoph Pohl) auf Sommerfrische. Auch ein  widerlicher, großmauliger Pastor (Albert Pesendorfer) ist da. Oceane (Maria Bengtsson) und ihre Gesellschafterin Kristina (Nicole Haslett als koloraturfanatischer Fiakermilliverschnitt) logieren ebenfalls in Madame Louises (Doris Soffel) nach Renovierung und Krediten schreiendem Etablissement. Dircksen und Felgentreu tanzen und verlieben sich in die zwei Frauen. Oceane verstößt  mit einem wilden ekstatisches Tanz-Solo die biedere Landpartie (Salome schau oba). Dazu gibt es viel Meer, versuchte Küsse, Sturm, eine Leiche eines im Sturm ertrunkenen Fischers. Bei einem Picknick merkt Oceane, dass Küssen und Erotik ihr Ding nicht sind. Der naive Landjuncker Dircksen gibt dennoch die Verlobung mit Oceane bekannt, die Gästeschar reagiert kalt und abweisend. Nach einer missionarisch aufgeputschten Hasspredigt des Pastors Baltzer haut Ozeane richtigerweise ab. Martin liest alleine am Strand den Abschiedsbrief. Vorhang.  

 

“Fontanes Fragment hat nicht viel äußere Handlung, deshalb musste ich in die Figuren kriechen, um ihr Drama nach außen zu stülpen. Oceanes Leitklänge sind ein zerstörter D-Dur-Akkord und viele Spaltklänge, also nur hohe und niedrige Töne und in der Mitte nichts. Die Figur hat eine Unwucht – während bei ihrem Gegenspieler Martin von Dircksen in der Mitte alles voller Akkorde ist. Man kann hören, dass die beiden einfach nicht kompatibel sind“, so Komponist Detlev Glanert. Mit Riesenorchester tönt Glanert in seiner elften Oper von rauschenden Naturstimmungen und den Befindlichkeiten/unauflösbaren Zwängen seiner Antihelden. Windmaschinen, Röhrenglocken und Harfen sorgen für die exotisch düstere Grundstimmung. Der instrumentale Part fasziniert über weite Strecken, auch ohne im mindestens innovativ zu sein. Er gelingt ihm besser als die bisweilen nicht der Banalität und unfreiwilligen Komik entgehenden Gesangslinien. Vor allem das “Buffo-Paar” Kristina und Albert  bleiben als Charaktere außerordentlich blass. 

 

Die Oper lebt vor allem von der handwerklich gekonnten musikalischen Vertiefung der Figur der Oceane. Maria Bengtsson kann sich mit dieser Rolle einen ganz großen persönlichen Erfolg ersingen. Von der Regie als kapriziöse mondän reiche Frau gezeichnet, hat der Komponist ihr den vokal interessantesten Part reserviert. Eine Schwester der Salome, ist Oceane mit ihren Gefühlen völlig alleine. Von hemmungsloser Raserei, staunendem Entsetzen bis zu stillem Verzicht darf sie ihre samtigen Melismen in höchster Lage über Orchesterfluten hinweg balsamisch in den Zuschauerraum verströmen. 

 

Ihr als Figur ebenbürtig, nur vom Komponisten mit einer ebenfalls an Strauss erinnernden Tenorwurzenpartie ausgestattet, glänzt Nikolai Schukoff als der emotional unausgelastete Baron von Dircksen. Mit jugendliche heldischer Attacke, aber auch operettenhaften Charme und differenzierter Dynamik liefert Schukoff ein erstklassiges Bravour- und Kabinettstück. Am Ende alleine zurückgelassen am Strand, berührt dieser schöne, an seiner Gutgläubigkeit gescheiterte Mann.

 

Eine pralle Charge liefert Doris Soffel als der Vergangenheit in Paris nachtrauernder Wirtin. Rein stimmlich lässt sie mit ihrem dunkel mächtigen Mezzo keinen Wunsch offen.

 

Donald Runnicles dirigiert das Orchester der Deutschen Oper Berlin laut und ausdrucksstark zugleich. Der Chor (Einstudierung Jeremy Bines) macht diesmal einen exzellenten Job. 

 

Ganz zum Schluss zur Regie aus der Inszenierungsindustriewerkstatt des Robert Carsen: Die Oper wird  eher hübsch bebildert, denn psychologisch gedeutet. In schickem schwarz weiß sehen wir ansprechende, an die Gemälde Richters erinnernde Meeres- und Wellenprojektionen (Robert Planz). Im Bühnenraum gibt es wenige Requisiten, wie das Ballbüffet, Liegestühle, einen Picknickkorb. Im Programmheft teilt uns Robert Carsen seine Überlegungen mit: Er spricht von einer szenischen Psychoanalyse eines Menschen, der sich nicht analysieren lässt. “Die Figuren des Stücks schaffen es nicht, diese andere Seite ihres Wesens, die durch Oceane repräsentiert wird, zu akzeptieren und finden nicht  zu einer Bewusstwerdung  ihres selbst, der Individuation Jungs.”  Und ach ja, die Handlung spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, “die Zeit kurz vor dem ersten Weltkrieg. Die Katastrophe, in die diese autoritätsgläubige  und fremdenfeindliche Gesellschaft schlittert, steht hier unmittelbar bevor.”  Auf der Bühne hat sich dieser Gedanke allerdings nicht konkretisiert.

 

Am Schluss unglaublicher, ungetrübter Jubel für alle Beteiligten, besonders für den Komponisten. Buhs gibt es diesmal keine zu vermelden. Da hätte sich früher das Leading Team durchaus gefragt, was es denn falsch gemacht habe?

 

Weitere Vorstellungen sind für den  3., 15., 17. und 24. Mai 2019 anberaumt. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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