Berlin, Deutsche Oper: Gelungene Premiere von „LOHENGRIN“, 15.04.2012
Klaus Florian Vogt. Foto: Markus Lieberenz im Auftrag der Deutschen Oper Berlin
Ganz zart, wie in tiefer Trauer setzt das Orchester unter Donald Runnicles bei dieser „Lohengrin“-Premiere an der Deutschen Oper Berlin ein. Der Vorhang öffnet sich, tote Soldaten liegen am Boden. Langsam gehen einige Frauen durch die Reihen, suchen unter den Gefallenen nach ihren Männern. Ein ungewohntes, aber starkes Bild.
Der dänische Regisseur Kasper Holten bezieht sich damit auf den deutsch-dänischen Krieg, von dem im Libretto die Rede ist. Auch weitere Kriege prägen nach seiner Ansicht Richard Wagners romantischste Oper.
Im weiteren Verlauf hinterfragt er ebenfalls einige der üblichen Deutungen. Während der Schwan selbst nicht gezeigt wird, betritt der Schwanenritter Lohengrin die von Steffen Aarfing gestaltete Bühne mit weißen, abnehmbaren Riesenflügeln. Die aber legt er selbst beim Gang zum Traualtar nicht ab.
Solchermaßen präsentiert er sich als Friedensengel, aber als einer mit empor gestreckter Kampfesfaust. Durch diese Aufmachung inszeniert er sich als Friedensbringer, meint Holten in einem im Programmheft abgedruckten Interview. Dass es damit nicht weit her ist, zeigt sein Entschluss, gleich nach der Hochzeitsnacht in den Krieg zu ziehen.
Jedenfalls beeindruckt dieser Fremde nicht nur das wankelmütige Volk, dargestellt und kraftvoll gesungen vom Chor der Deutschen Oper Berlin unter William Spaulding. Auch König Heinrich nimmt er gleich für sich ein und begeistert die Soldaten, ihm willig zu folgen. Nur eine kann der Ritter nicht überzeugen oder täuschen: die schlaue Ortrud. Beide streben, so vermittelt uns Holten, gleichermaßen nach der Macht in Brabant.
Den Lohengrin gibt ein „Einspringer“ der Sonderklasse: Klaus Florian Vogt, und er wird zum Helden in jeder Hinsicht. Mit seinem hellen Tenor packt der Hochgewachsene alles perfekt in diese Partie, von lyrischer Süße bis zu klarem metallischem Glanz. An diesem Abend beweist er sich als frischer und schlagkräftiger Wagner-Sänger, der die anderen mitreißt.
In die Inszenierung hat er sich gut hineingefunden und spielt den Retter der todgeweihten Elsa keineswegs als Softy. Als er ihr die Augenbinde löst, erschrickt sie deutlich. Fest packt er sie am Handgelenk, und seine Warnung „Nie sollst du mich befragen“ klingt bei der Wiederholung bereits bedrohlich. Der will sich nicht in die Karten gucken lassen.
Auch die Elsa wird heutzutage oft anders gesehen als früher. Als Jugendliche hat mich ihre Naivität konsterniert. Merkt sie denn nicht, habe ich mich gefragt, dass diese Ortrud die falsche Freundin ist? Warum lässt sie sich von ihr zu der verhängnisvollen Frage an ihren Mann verleiten?
Neuerdings sieht man, so auch Kasper Holten, die Elsa eher als moderne Frau, die wissen will, wer ihr Ehemann ist. Schon weil sie fürchtet, er könnte ebenso schnell verschwinden, wie er gekommen ist. Sie fordert Vertrauen gegen Vertrauen. Schon bei Wagner ist das so angelegt.
Jedenfalls macht ihr Wahnsinns-Wissensdrang, vom Orchester markant untermalt, den Ritter hier nicht nur traurig, sondern wütend. Schluss mit Dir, Elsa, künden Vogts Gesten, Augen und Stimme. Ihr Unglück ist besiegelt. Als Unheil verheißendes Licht-Fanal erscheint der Schwan am Horizont.
Diese Elsa ist bei Ricarda Merbeth – seit 2011 Kammersängerin der Wiener Staatsoper – in bester Kehle. Die zarte Verzweiflung der anfangs zum Tode Verurteilten, dann der jubelnde Gefühlsaufschwung nach ihrer Errettung und schließlich die hektische Befragung des Gemahls gelingen ihr in überzeugender Weise.
Noch mehr kann Petra Lang als Ortrud punkten. Schon wie sie die Konsonanten einiger Worte ausformt, lässt erkennen, dass ihr alle Mittel zur Machtergreifung recht sind. Wie sie den braven, ihr hörigen Telramund zum Denunzianten und bis zum Mörder umformt, kann sie darstellerisch ebenfalls glaubhaft machen. Das Mit- und Gegeneinander von Ortrud und Elsa gehört zu den faszinierendsten Momenten dieser insgesamt großartigen Aufführung.
Dennoch sei angemerkt, dass Gordon Hawkins als der von Ortrud manipulierte Gatte etwas unter dem hohen Niveau bleibt. Sein Bariton klingt zwar voluminös, doch er gestaltet den Text nicht. Der Kernsatz zu Beginn des 2. Aufzugs – „Genossin meiner Schmach“ – kommt fast beiläufig. Das habe ich schon ganz anders gehört! Daher bleiben ihm einige Buhs zuletzt nicht erspart, und solche muss auch Albert Dohmen (Heinrich der Vogler) einstecken.
Der Schluss birgt ebenfalls Überraschungen: Hatte Elsa schon vorher über Soldatengräber geblickt, so mutet der Regisseur ihr (und uns) nun einen weiteren Schock zu.
Der beim Spaziergang verschwundener Bruder Gottfried, dem Lohengrin einige Andenken vermacht, taucht hier nicht als munterer Junge wieder auf. Als Elsa das Tuch wegzieht, sehen wir einen toten Knaben. Vermutlich hat die höhnende Ortrud den designierten Herzog von Brabant in letzter Minute ermordet.
Dennoch hat sie genau wie Elsa letztendlich verloren, schart sich nun doch alles Volk um den Gralsritter mit den Engelsflügeln. Verzückt berühren die Menschen seine Fingerspitzen, wollen ihn festhalten. Wird er wirklich zum Gral zurückkehren? fragt sich Kasper Holten. Vielleicht bleibt er und wird der neue Herzog von Brabant, suggeriert der Regisseur.
Ovationen nun für den spürbar beglückten Klaus Florian Vogt, starker Beifall für Petra Lang, den fabelhaften Chor und Donald Runnicles mit dem Orchester. Gefeiert werden auch Ricarda Merbeth und Bastiaan Everink, der Heerrufer des Königs. Neben den schon erwähnten Sängern muss auch das Regieteam Buhs einstecken, doch der Beifall überwiegt. Insgesamt ist diese Aufführung ein gelungener Vorgriff aufs Wagner-Jahr 2013.
Ursula Wiegand
Nächste Vorstellungen am 19., 22., 25. und 28.04.2012