BERLIN Lady Macbeth von Mzensk, Deutsche Oper, 31.1.2015
Evelyn Herlitzius und Sir John Tomlinson triumphieren stimmgewaltig in grandiosen Charakterstudien
„Oh Steppe, du dehnst dich so unermesslich weit. Die Tage und Nächte ziehen sich endlos hin, Unsere Gedanken sind so freudlos und die Wachen ohne Herz“ Schlusschor der Gefangenen.
Evelyn Herlitzius, John Tomlinson. Foto: Marcus Lieberenz
Man wähnt sich doch in einem Gastspiel der koproduzierenden Den Norske Opera Oslo, so sehr hat Regisseur Ole Anders Tandberg das Lokalkolorit auf eine schwarzfelsig nass-kahle Schären-Insel verlegt. Das gesichtslose gelbe Haus der (statt Mehl) mit Fisch handelnden Familie Ismailow kann auf heftig rotierender Drehbühne rasch sein karges Inneres zeigen. So karg und dürr wie die habgierig verhärteten Seelen, die es bewohnen. Gummifische aller Größen (Bühne Erlend Birkeland) wackeln grotesk in der Luft, als überdimensionale Gummipenisse zwischen den Beinen der Arbeiter oder werden in wilder Polsterschlachtmanier geworfen. Ach ja und darauf schlafen kann man auf den Silikonmonstern auch noch. Ein nicht wirklich überzeugendes, letztlich allzu zahnloses Konzept. Die markantesten Szenen der Aufführung bleiben im Gegensatz zur „grauslichen Optik“ merkwürdig schaumgebremst und stilisiert. Mit einer Blechbläserinnenkompanie (darunter auch blondperückte bärtige Männer à la Conchita) , die immer wieder als Projektion de Sehnsucht und der Botschaft „Es ist alles nicht so schlimm“ dient, wird es vollends banal.
Schostakowitsch ist mit 26 Jahren mit dieser 1934 in Leningrad uraufgeführten Oper die Partitur seines Lebens gelungen. Gesellschafts- und Politfarce, Tragödie um Liebe und Verrat, reicht der schier unendliche musikalische Reichtum von zartesten kammermusikalisch-romantischen Klängen zu Beginn und am Ende der Oper bis zu grell-dissonanten Blasmusikmärschen die meist als ironisch-sarkastisches Ausdrucksmittel der Brechung dienen bis zu und Fugen à la Falstaff. Donald Runnicles kennt die Partitur (1. Fassung) aus dem ff und dirigiert mit dem fabelhaft disponierten Orchester der Deutschen Oper Berlin einen eher sensibel-ausgewogenen und klangbedachten als hart-grellen Schostakowitsch. Das kommt dem Verständnis um das individuelle Drama der Katerina Lwowna Ismailowa eher als der Gesellschaftssatire und unverhüllten Sinnlichkeit (eine amerikanische Zeitschrift hat das als „Pornophonie“ bezeichnet) zu Gute.
Evelyn Herlitzius spielt und singt diese nach Liebe und menschliche Wärme hungernde Frau von leise verhaltener Melancholie bis zu stürmendem Aufbrausen, von schuldbeladenen Alptraum bis zu heroisch spontaner Rache nach resigniert erkanntem Scheitern des Liebestraums in allen Facetten höchst eindringlich mit unverwechselbarem Timbre. Stimmlich braucht die große hochdramatische Sopranistin allerdings etwas Anlaufzeit. In der „Hierarchie aller Leiden“, die das Leben in einem totalitären Polizeistaat bereit hält, ist das letalste dem letztlich fatalen, aber dem der freien Entscheidung entspringenden Fehlgriff in Liebesdingen zugesprochen. Die Polizeimacht in der 7. Szene ist erschreckend und lächerlich zugleich (der Regisseur lässt die Hüter der Staatsgewalt im Takt in Unterhosen bügeln), die Gewalt ist als Leitmotiv einer degenerierten und materiell korrumpierten Gesellschaft unausweichlich mit Gegenwehr und Protest verbunden. Diese brutale und vollkommen unmenschliche Seite in Schostakowitsch Oper wird vom alten Kaufmann Boris Timofejewitsch Ismailow verkörpert. Sir John Tomlinson in der Altersrolle seines Lebens verkörpert großartigst den reaktionär doppelbödigen Finsterling mit vollkommen intaktem schwarzem Bass. Seiner Stimme stehen alle düster-herrisch-brutalen Ausdrucksnuancen zur Verfügung, man hört auch noch den einst faszinierenden Wotan durchschimmern. Die Todesszene nach Auspeitschung des Sergej und Verzehr der mit Rattengift gewürzten Pilze ist ein darstellerisches Kammerstück, das jeder Sprechbühne Ehre gemacht hätte. Thomas Blondelle kommt als charakterschwacher Sohn und lendenlahmer Ehemann der Katerina zwar gut über die Rampe, vermag in der kurzen Rolle des Sinowij Borissowitsch Ismailow aber vokal keinen wirklichen Akzent zu setzen. Das gelingt Maxim Aksenov als Weiberhelden Sergej schon wesentlich besser. Nachvollziehbar, dass die des Lesens unkundige Katerina in all der stumpfsinnigen Langeweile eine sexuelle Beziehung mit dem fleischig-feschen Arbeiter beginnt. Dieser Sergej bringt mit hell-metallenem Tenor erotisches Licht in das Leben der Frauen, die ihm begegnen. Neben Wodka ist Sex das einzige Mittel, der Finsternis und Einförmigkeit des russischen Alltags in der Novelle des Nikolai Leskow zu entrinnen. Dass so ein Tunichtgut aber nicht sonderlich treu ist und sich ausgerechnet beim Marsch in die sibirische Zwangsarbeit vom Katerina abwendet und sich einer jungen Gefangenen namens Sonyetka (deftig Dana Beth Miller) anschließt, wird zum Auslöser des finalen Selbtsmordes des Katerina.
Wie bei Mussorgsky gehrt es aber in Schostakowitsch Oper nicht nur um das Drama einzelner scharf gezeichneter Protagonisten, sondern um das Schicksal eines ganzen Volks, das als Chor bzw. als symbolhafte Einzelfiguren auftritt. Der versoffene, verlogene Klerus wird da von Schostakowitsch ebenso wenig verschont (als Pope stimmgewaltig Tobias Kehrer) wie die ränkisch-opportunistische Polizei, die durch Seth Carico als Polizeichef scharf karikiert wird. In die Rolle des von Neid und Schadenfreude zerfressenen Schäbigen, der auf der Suche nach Wodka die Leiche des Sinowij im Keller der Ismailows entdeckt, schlüpft der formidable Edward Mout (Ensemblemitglied an der Staatsoper Hannover) mit großem Erfolg nach der krankheitsbedingten Absage von Burkhard Ulrich. Stephen Bronk hat einen berührenden Auftritt als Alter Zwangsarbeiter im 4. Akt.
Die Deutsche Oper kann mit dieser Aufführung jedenfalls musikalisch (fast) alle Register ziehen. Das Meisterwerk von Schostakowitsch gehörte ohnedies in alle Spielpläne wie Tosca oder die Zauberflöte. Das Publikum hat es den Solisten und dem Chor anhaltend und laut gedankt.
Ingobert Waltenberger