Berlin, Deutsche Oper: „LA BOHÈME“ mit Vittorio Grigolo, 03.01.2012
Vittorio Grigolo. Copyright: Deutsche Oper Berlin
Vittorio Grigolo als Gast – das zieht ungemein, und so ist die Deutsche Oper Berlin an diesem Abend ausverkauft. Nur recht selten können sich Berlins Opernhäuser solche Stars für ihre Aufführungen leisten. Die Deutsche Oper greift diesbezüglich seit eh und je relativ häufig in die Schatulle, und die Besucher von nah und fern wissen das zu schätzen. Wenn dann noch Puccinis „La Bohème“ in der Inszenierung von Götz Friedrich (1988) auf dem Programm steht, ist der durchschlagende Erfolg gesichert.
Vittorio Grigolo, knapp 35 Jahre jung, gehört bekanntlich zu den Shooting-Stars, die heutzutage bestens vermarktet werden. Weltweit wird der in seiner Jugend von Pavarotti geförderte italienische Tenor gefeiert. Ich erlebe ihn zum ersten Mal live.
Tatsache, der Mann sieht hervorragend aus. Tolle Figur, Charme und viel schauspielerisches Talent. Das sind heutzutage wichtige Ingredienzien. Wer auch jüngere Menschen in die Oper (oder in klassische Konzerte) locken will, muss mehr bieten als perfektes Können.
Vittorio Grigolo als Rodolfo zeigt sogleich Bühnenpräsenz, singt akzentuiert, mit reiner Intonation und kräftiger Stimme. Doch richtig schön in den Ohren klingt sie mir zunächst nicht. Ich vermisse Schmelz und Klangreichtum und frage mich, ob das nicht ganz sein Tag ist. Erst nach der Pause – bei der schmerzlichen Trennung von Mimi und in der Sterbeszene – kann mich Grigolo, der sich voll in seine Rolle hinein gibt, stimmlich erwärmen.
Carmen Giannattasio. Copyright: Deutsche Oper Berlin
Ganz anders Carmen Giannattasio als Mimi. Die charmante, junge Italienerin singt und gestaltet ihre Rolle äußerst einfühlsam. Ihr klarer, facettenreicher Sopran besitzt Schönheit und Seele, hat auch im Forte keine Schärfe. „Eine Herz zerreißende Stimme,“ flüstert ein Nachbar schon in der Pause. Recht hat er, und das tragische Finale, der Höhepunkt, steht ja noch bevor.
Das lässt dann bei den Zuhörern manche Träne kullern. Zuvor schon haben die beiden viel Zwischenbeifall erhalten, auch an den traurig-intimen Stellen, wo solche Bekundungen besser unterbleiben sollten. Offensichtlich ist nicht nur für mich die bescheidene Carmen Giannattasio die Königin dieses großartigen Abends.
Zum umjubelten Erfolg tragen auch alle anderen bestens bei. So insbesondere Markus Brück, der wie eigentlich immer mit seinem klangvollen Bariton und guter Schauspielleistung überzeugt. An diesem Abend singt er den Marcello. Ihm brausen zuletzt die Bravi entgegen.
Dass er öfter vergeblich seine temperamentvolle Musetta, der alle Männer zu Füßen liegen, zu bändigen versucht, wundert bei Fionnula McCarthy überhaupt nicht. Das Luder mit dem guten Herzen ist ihr wie auf den schick gekleideten Leib (Bühne und Kostüme: Peter Sykora) und den glasklaren Sopran geschrieben. Als ihr wohlbetuchter Begleiter agiert kurz der unverwüstliche Peter Maus.
Für lustige Einlagen ist der wendige Nathan De`Shon Myers als Schaunard genau der richtige Mann. Der springt schon mal auf einen Tisch, macht Faxen und lässt in allen Lagen seinen kräftigen Bariton erklingen.
Als eher nachdenkliche Figur ist der Colline angelegt, hier verkörpert von Ante Jerkunica. Als er in den Schlussminuten schweren Herzens seinem geliebten Mantel zu Gunsten Mimis Adieu sagt, ergreift sein Gesang das Publikum spürbar.
Selbstverständlich tragen auch die sehr ansprechenden Leistungen des Orchesters unter Ivan Repušić und der Chöre unter William Spaulding und Dagmar Fiebach (Kinderchor) zum Gelingen des Abends bei. .
Das Publikum feiert schließlich alle Beteiligten mit intensiven Bravi, die bei den Verbeugungen von Vittorio Grigolo und Carmen Giannattasio noch um einige Phonstärken zunehmen. Sie scheint fast überrumpelt von der lautstarken Begeisterung, doch die hat sie sich redlich verdient!
Ursula Wiegand