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BERLIN/ Deutsche Oper: JENUFA – Premiere

05.03.2012 | KRITIKEN, Oper

Berlin, Deutsche Oper: umjubelte Premiere von „JENUFA“, 4.3.2012


Jennifer Larmore, Michaela Kaune und Joseph Kaiser, Foto Monika Rittershaus im Auftrag der Deutschen Oper Berlin.

 Eine gute Wahl erbringt ein großartiges Resultat. Eigentlich ein bekanntes Erfolgsrezept. Die Deutsche Oper Berlin hat sich daran gehalten. Zunächst einmal mit der Wahl des Stückes,  der „Jenufa“ von Leos Janáček.

Einen wunderbaren, aber keineswegs flauschigen Musikteppich legt der den Figuren und ihren Zuhörern zu Füßen. Oft klingen die mährisch-böhmischen Volkslieder durch, die Janáček akribisch gesammelt hat.

Ihre Rhythmen und ihre Melodik durchdringen sein Werk ganz ohne Volkstümelei, und er verharrt auch nicht dabei. Der Mann aus dem kleinen Tschechien hat eine Weltmusik geformt. Ihre Schönheit und gleichzeitige Beschränkung aufs Wesentliche passt in jede Zeit, auch in die unsrige.

Als einer der Ersten hat Janáček auch einen Prosatext, ein Drama von Gabriela Preissová,  als Libretto verwendet und die Melodik seiner Heimatsprache in die Gesangspartien integriert. Die Interpreten singen hier also auf  Tschechisch und nehmen einige Mühen auf sich. Doch musikalisch lohnt sich das. Um was es geht, kann das Publikum mit Hilfe der deutschen Übertitel verfolgen.

Eine weitere gute Wahl, sicherlich die mitentscheidende, betrifft das Regieteam. Christof Loy, schon mehrfach als Regisseur des Jahres ausgezeichnet, arbeitet erstmals in Berlin und überzeugt sehr. Die Unterschiede zu manchen Regietheater-Extravaganzen, die wohl eher das Ziel haben, zu provozieren und die „Macher“  ins Gespräch zu bringen, werden sofort erkennbar.

Christof Loy konzentriert sich ganz im Sinne von Janáček auf die psychologische Situation der Beteiligten. Die kommende Katastrophe ist nicht nur den rigiden Moralvorstellungen der damaligen Zeit und der dörflichen Enge geschuldet. Sie ist bereits in den einzelnen Charakteren angelegt. Loy „bebildert“ all’ das auf eine zurückhaltende, doch umso eindrucksvollere Weise. Unterstützt wird er darin durch das schlichte Bühnenbild von Dirk Becker und die gewollt krasse Beleuchtung durch Bernd Purkrabek.

So spielt das ganze Stück in einem grellen, krassweißen Raum mit verschiebbaren Wänden. Ein Tisch und ein Stuhl sind das einzige Mobiliar. Hier kann sich niemand verstecken. Durch kleine Fenster ist mal ein goldgelbes Kornfeld, mal eine verschneite Winterlandschaft zu sehen.

Alles wirkt ebenso bedrückend und karg wie das Dasein in diesem Dorf, das nur bei Festen überschäumend lebendig wird. Ansonsten bestimmen Ärmlichkeit und religiöse Strenge den Alltag, den sich die Männer durch Alkoholgenuss auf ihre Weise aufheitern.

Zu Beginn sehen wir die Küsterin Buryjovká in einer Gefängniszelle. Ihr Leben rollt nun rückwärts ab. Die zweifache Witwe, stets in strengem Schwarz (Kostüme: Judith Weihrauch), war die moralische Instanz des Ortes. Jetzt aber wartet sie auf die Verurteilung wegen Kindstötung.

Sie ist die eigentliche Hauptperson. Zunächst hatte ja Janáček sein 1904 uraufgeführtes Werk „Die Küsterin“ genannt. Diese Frau hat bekanntlich das uneheliche Baby ihrer Stieftochter Jenufa ertränkt, um die Restfamilie vor Schande zu bewahren und dem Mädchen eine Heirat zu ermöglichen. Eine böse Hexe ist sie nicht.

Jennifer Larmore singt und spielt diese Partie in eindrucksvoller Weise und findet insbesondere nach der Kindstötung ergreifende Töne der Reue und schierer Panik. Das Grauen vor der eigenen Tat lässt die Zuhörer ebenfalls frösteln.

Was den Gesang betrifft, kann Michaela Kaune in der Titelrolle noch intensiver glänzen. Es wird ihr Abend! Ihr klarer Sopran kennt keine Mühen und fördert im Verlauf der Handlung immer neue Facetten zu Tage.

In Stimme und Haltung macht sie die Wandlung von der leichtsinnig-verliebten Dorfschönheit zur bangen Schwangeren und zur jungen Mutter auf anrührende Weise deutlich. Die Tatsache, dass Steva Buryji als Vater des Kindes nichts mehr von ihr wissen will und den angeblich natürlichen Tod ihres Söhnchens trägt sie mit entsagungsbereiter Fassung. Als gläubige Katholikin kann sie schließlich auch allen verzeihen, selbst ihrer Stiefmutter und Steva, und sie Gottes Gnade anempfehlen.

Diesen hübschen, aber trunksüchtigen Burschen gibt in passender Weise Joseph Kaiser. Ein verwöhnter Liebling seiner Großmutter, der alten Buryja. In dieser Rolle ist noch einmal die ehemalige Wagner-Sängerin Hanna Schwarz zu bewundern.

Weit weniger beliebt bei allen ist Stevas Halbbruder Laca (Will Hartmann), dessen Frust und Streitlust sich mitunter gefährlich entladen, selbst gegenüber der heiß begehrten Jenufa. Im Disput verletzt er absichtlich ihre schönen Wangen, für die sein Halbbruder Steva  schwärmt. Lacas Rechnung geht auf: Nach dieser Verschandelung des Gesichts lehnt es der nur auf Äußerlichkeiten bedachte Frauenheld ab, Jenufa zu heiraten.  

Beide Sänger haben im munteren ersten Akt, volumig musiziert von Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der zupackenden Leitung von Donald Runnicles, die besten Profilierungsmöglichkeiten und nutzen sie bestens.

Im dritten Akt, genau am Hochzeitstag von Jenufa und dem schließlich von ihr akzeptierten Laca, überstürzen sich die Ereignisse. Auch das wird hier durch die musikalische und szenische Darbietung großartig deutlich. Während die Dorffrauen fröhliche Weisen trällern (Chöre: William Spaulding)  und selbst Steva und seine Braut Karolka (spritzig: Martina Welschenbach) eingeladen sind, erreicht das Drama durch das Auffinden der Babyleiche seinen Höhepunkt.

Alle – auch der Dorfrichter und seine aufgedonnerte Gattin (Stephen Bronk und Liane Keegan) stürzen entsetzt davon. Übrig bleiben die beiden, die eigentlich von Anfang an füreinander bestimmt waren, was Jenufa erst jetzt begreift. Nein – sie fallen sich nicht um den Hals. Zwei sehr erwachsen gewordene Menschen gehen nebeneinander, die Rücken zum Publikum gekehrt, in eine gemeinsame, aber durchaus ungewisse Zukunft. Ein bemerkenswerter Schluss für einen äußerst bemerkenswerten Abend und ein großer, mit Bravos und kräftigem Applaus bedachter Erfolg für alle Mitwirkenden.    

Ursula Wiegand

 

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