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BERLIN/ Deutsche Oper: FRANCESCA DA RIMINI von Riccardo Zandonai. Gestreamte Premiere – ein glanzvoller Coup!

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Sara Jakubiak, Jonathan Tetelman. Foto: Monika Rittershaus

Berlin/ Deutsche Oper: „FRANCESCA DA RIMINI“ von Riccardo Zandonai, gestreamte Premiere. Ein glanzvoller Coup! 14.03.2021

Welch eine großartige Musik, und welch fabelhafte Sängerinnen und Sänger, die ihre Rollen auch glaubwürdig und mit vollem Einsatz verkörpern! Die Deutsche Oper Berlin hat etwas „ausgegraben“, das wohl viele noch nie gehört haben: die Oper „FRANCESCA DA RIMINI“ von Riccardo Zandonai (1883-1944).  Sie wurde am 19. Februar 1914 im Teatro Regio in Turin uraufgeführt und ist bis heute seine meistgespielte Oper, ist dazu zu lesen. Vielleicht in Italien, sei hinzugefügt.

Eine klang- und facettenreiche musikalische Tragödie wird nun als gestreamte Premiere präsentiert, ist aufgrund dessen auch weltweit erlebbar und für viele Musikfans vermutlich eine Neuentdeckung. Das ist die positive Seite dieser Pandemie.

Die Viel-Streamer, die erstaunt und beglückt „Francesca da Rimini“ genießen, fragen sich womöglich, warum gerade diese Oper kaum oder nicht beachtet wird, während die allseits bekannten Erfolgsstücke ständig und überall die Spielpläne dominieren.

Weltweit machen hauptsächlich Mozart, Donizetti, Rossini, Verdi, Puccini, Richard Strauss und Wagner das Rennen. Klar, diese Meisterwerke werden zu Recht geliebt und sorgen normalerweise für volle Kassen. Der Unterschied liegt also nur in der Darreichung. Aus diesem Grund konzentrieren sich die Berichterstatter/innen und das Publikum vor allem auf die mehr oder minder gelungene Regie. Diese und die Ausstattung finden oft weit mehr Aufmerksamkeit, als ihnen eigentlich gebührt.

Wer aber etwas kaum Bekanntes bringt, braucht nicht nur Mut, sondern auch überzeugende Interpreten. Der Deutschen Oper Berlin ist das bestens gelungen. Nach dem Motto „never change a winning team“ wurde die Regie Christof Loy und die Titelrolle Sara Jakubiak anvertraut, die schon Korngolds selten gespielter Oper „Das Wunder der Heliane“ zu einem hoch verdienten Erfolg verholfen haben.

Hinzu kommt der in New York aufgewachsene Chilene Jonathan Tetelman als Paolo il Bello (Pablo der Schöne), der beeindruckend singt und spielt. Er ist tatsächlich ein sehr gut aussehender Mann mit kräftigem, ausdrucksstarkem Tenor. Die anspruchsvolle New York Times hat ihn nach seinen Rollen als Rodolfo in „La Bohème“, Caravadossi in „Tosca“ und Werther sofort als „a total star“ bezeichnet. Nach und nach erobert er mit seiner unverbrauchten Stimme die wichtigsten Bühnen. Die arrivierten Stars müssen sich wohl bald warm anziehen. 

Doch alles dreht sich um Francesca, eine junge Frau, die eigentlich diesen schönen Paolo heiraten soll und möchte. Verliebt überreicht ihm die Selbstbewusste eine Rose. Ihre anhängliche jüngere Schwester Samaritana bittet die Ältere vergeblich, nicht zu heiraten und daheim bei ihr zu bleiben. Sie hat Böses geträumt und klammert sich zitternd an die Große.

Anrührend singt und spielt die Sopranistin Alexandra Hutton, eine junge Australierin im Ensemble der Deutschen Oper, diese ängstliche Kleine und komplettiert gemeinsam mit den ebenfalls jungen, gut singenden Dienerinnen dieses vornehmlich jugendliche Ensemble. Genau so sollten solche Rollen stets besetzt werden, damit eine Oper glaubwürdig ist und auch jüngere Leute anspricht. Dass nun selbst die Jüngeren Opern-Streams abrufen, ist schon der Matthias Schulz, dem Intendanten der Berliner Staatsoper aufgefallen.

Passend zu dieser Feststellung verwandelt sich Alexandra Hutton in der Pause von „Francesca da Rimini“ in eine Besucherführerin und zeigt dem Publikum daheim, wie wichtig die Menschen hinter den Kulissen sind. Sie spricht mit der Souffleuse und dem Inspizienten, die bekanntlich Stichworte geben und dafür sorgen, dass alle rechtzeitig auf zur Stelle sind.

Ein interessanter Pausenfüller, vermutlich abgeguckt von der Met in New York oder der Royal Opera in London. Das große Stream-Angebot animiert offenbar auch deutsche Intendanten, den von daheim Zuschauenden während des Wartens etwas Hintergrundwissen zu vermitteln.   

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Sara Jakubiak, Ivan Inverardi. Foto: Monika Rittershaus

Doch zurück zum Operngeschehen und zu Francesca, die aus politischen Gründen vom geliebten Paolo übel getäuscht wird und ihre Unterschrift ahnungslos auf ein frisiertes Dokument setzt. Auf diese Weise wird Paolos hässlicher älterer Bruder Gianciotto zu ihrem Entsetzen ihr Ehegatte. Ivan Inverardi (mit kräftigem Bariton) gibt sich jedoch als Mann mit Alterscharme und scheint seine deutlich jüngere Frau sogar zu lieben. Sie – Sara Jakubiak – spielt die Gattin wider Willen mit gekonnter Finesse. Ihr klangvoller Sopran  changiert in jeder der wechselvollen Situationen und ist aller Nuancen fähig. Eine Top-Leistung.

Francescas Leben wird nun – trotz oder wegen der Verbindung mit einem ihr aufgezwungenen Ehemann – ebenfalls reich an Nuancen, so wie es im Libretto von Tito Ricordi steht, das sich auf das gleichnamige Theater- und Skandalstück von Gabriele D’Annunzio bezieht, uraufgeführt 1901 in Rom mit Eleonora Duse in der Titelrolle.  

Die Story ist jedoch, vermutlich vorsichtshalber, im Mittelalter angesiedelt, mitsamt den Kämpfen der Familien Maletesta und Polenta gegeneinander. So gesehen führt Zandonais Francesca aus damaliger Sicht ein unüblich selbstbewusstes und skandalträchtiges Leben. Die Zwangsverheiratete liebt Paolo trotz seiner Täuschung nach wie vor. Der bereut seinen Verrat zutiefst, kann vor Sehnsucht nach ihr in der Fremde keine Ruhe finden und kehrt alsbald nach Hause und in ihre Nähe zurück.  

Ein weiterer Bruder Malatestino (Charles Workman, Tenor) hat ebenfalls mehr als das eine Auge – das ihm nach dem Gefecht mit den Feinden erhalten geblieben ist – auf Francesca geworfen. Er scheut sich auch nicht, sie aufdringlich zu begrabschen und eilt mit dem Beil in den Kerker, um einen Gefangenen, der mit seinem Wimmern ihre Nachtruhe stört, zu töten. Grinsend kommt er zurück. Schließlich verrät er Gianciotto, dass Francesca und Paolo Ehebruch betreiben, was den Alten vor Eifersucht fast in den Wahnsinn treibt.

Die verführerische Francesca als Frau zwischen drei ihr verfallenen Männern – das konnte ohnehin nicht gut gehen, obwohl sie sich – stets schwarz und ladylike gekleidet (Kostüme Klaus Bruns) – kühl gibt. Sie will sogar Paolo weismachen, sie habe sich mit ihrem Schicksal abgefunden.

Doch im rosa Unterkleid und in seinen Armen explodiert auch sie vor Liebeslust. Ein altes Buch mit der Sage von „Tristan und Isolde“, das sie stets bei sich trägt, und die Verse, die Paolo sie hat lesen lassen, haben alle Fesseln gesprengt. Wagner lässt grüßen. Ein mittelalterlicher Spielmann mit Fidel (Dean Murphy), der anfangs von den Palastbewachern übel zugerichtet wurde, ist seither als stiller Beobachter unerkannt an ihrer Seite.

Das gesamte Geschehen spielt sich weitgehend auf den Stufen von Francescas Palast ab. Hier wird die Ehe mit dem alten Bruder eingefädelt und geschlossen, dort liegen später die blutenden Soldaten (Bühne Johannes Leiacker). Wenn sich mal die Türen zu einem Zimmer öffnen, zeigt sich eine friedliche Landschaft (die Kopie eines Bildes).

Eine schon erwähnte freundlich-friedliche Schar junger, gut singender Frauen sorgt und tröstet „La Madonna“ Francesca. Sie flechten ihr im März – das passt terminlich gut – den gewünschten Veilchenkranz. Von dem hat schon Paolo beim Weg zurück zu ihr geträumt. Heftig rauscht die Musik auf, als beide im Liebeswahn todessüchtig alle Vorsicht fallen lassen. Gianciotto stürmt ins Zimmer, erdolcht die beiden, und der böse Malatestino lacht.    

Dennoch hält Dirigent Carlo Rizzi mit dem in voller Besetzung spielenden Orchester der Deutschen Oper alles bestens in Balance. Der Chor wird Corona bedingt aus dem Orchester-Proberaum zugespielt. Dem Musikgenuss tut das aber keinen Abbruch. Ansonsten läuft eigentlich alles wie früher. Die Liebesszenen sind wirklich welche. Dass alle Mitwirkenden täglich getestet wurden und die Produktion der Oper unter strengen Hygieneauflagen vonstatten ging, hatte Intendant Dietmar Schwarz schon vor dem Beginn der Übertragung betont.

Die Aufzeichnung steht, gerechnet ab 14.03., drei weitere Tage kostenfrei als Video on Demand auf takt1.de zur Verfügung, ist dort auch danach – dann gebührenpflichtig – weiter abrufbar. Und das lohnt sich!

Etwas Neues gibt es außerdem, beteiligt sich doch die Deutsche Oper Berlin gemeinsam mit Theatern und der Philharmonie an einem Pilotprojekt, bei dem die Möglichkeit künftiger Live-Aufführungen mit reduzierter Besucherzahl getestet wird. Tagesaktuell muss sich auch das Publikum testen lassen und den entsprechenden Code auf dem Smartphone vorzeigen. Die Tickets sind online erhältlich und überall bereits ausverkauft.

Die Schnellen werden „Francesca da Rimini“ live am 04. April erleben und machen sich damit selbst ein Ostergeschenk, dem hoffentlich demnächst weitere folgen mögen. Das nun getestete Procedere bleibt wegen der wieder steigenden Corona-Infektionen, vermutlich, wenn überhaupt, noch einige Zeitlang die neue Normalität beim Kulturgenuss

Ursula Wiegand

 

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